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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Klopfer, Paul: Baugewerkschule und Heimatschutz
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Hellwag, Fritz: Arbeitermöbel, [2]: Musterausstellung im Berliner Gewerkschaftshause
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0186

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ARBEITERMÖBEL IM BERLINER GEWERKSCHAFTSHAUSE
179

a Industrie und Kunst stehen in keinem Gegensatz. Es
hat sich bisher nur darum gehandelt, daß das viele Neue,
was die Industrie gebracht hat, nicht sofort in die rechte
Form gezaubert werden konnte — weil — eben weil dem
Architekten und Kunstgewerbler noch der überkommene

Wust von klassischen Formen im Kopfe saß. Nun, nach-
dem dieser heruntergeschüttelt ist, wird es eine Lust der
neuen Zeit sein, aus neuen Anschauungen heraus Werke
zu schaffen, die in engster Beziehung zu unserer Heimat
und zu unserer deutschen Art stehen. p. KLOPFER.

□ □ □

□ Kürzlich protestierte der Innungsverband deutscher
Baugewerksmeister, doch sind seine Forderungen und Be-
hauptungen mehr auf wirtschaftliche Dinge gerichtet,
während sie in ästhetischer Hinsicht den Verdacht er-
erwecken: Qui s'excuse, s’accuse. □
□ Auf einem unlängst stattgehabten Verbandstage wurden
nämlich die Meinungen der Baugewerksmeister vom Maurer-
und Zimmermeister E. Jurth-Brandenburg in nachfolgen-
der Resolution niedergelegt: n
□ 1. Bei dem Erlaß der Ortsstatute bezw. Ortsgesetze
zum Gesetz gegen die Verunstaltungen von Ortschaften
und landschaftlich hervorragenden Gegenden ist zu erfordern,
daß in der im Gesetz vorgesehenen Prüfungskommission
von Sachverständigen resp. in dem künstlerischen Beirat
an den einzelnen Orten unbedingt auch ein befähigter
erfahrener Bauwerksmeister vertreten sein soll. □
o Unter allen Umständen gehören in diese Kommissionen
auch Männer der Praxis hinein, nicht nur höhere Bau-
beamte, Privatarchitekten oder Ingenieure. Seitens des
Innungsverbandes Deutscher Baugewerksmeister muß den
Innungsmitgliedern in einzelnen Orten zur Pflicht gemacht
werden, durch geeignete Agitationen dafür zu sorgen, daß
der Baugewerksmeister hierbei nicht einfach beiseite ge-
schoben wird. o

□ 2. Wenn dem Bauherrn durch die Anwendung des
Landesgesetzes, des Ortsstatutes oder Ortsgesetzes ein
wirtschaftlicher Nachteil oder Kostenaufwand erwächst,
so ist derselbe durch die Landesregierung bezw. Gemeinde
angemessen zu entschädigen. a
□ 3. Der I.V. D. B. legt energisch dagegen Verwahrung
ein, daß von den verschiedenen Seiten von Architekten, Pro-
fessoren usw. in öffentlichen Blättern und Zeitschriften der
Stand der Baugewerksmeister hingestellt wird, als trügen
seine Mitglieder vor allem die Schuld, daß in früheren
Jahren die Städte- und Landschaftsbilder durch unschöne
Bauten verunstaltet worden wären; ferner daß dieselben
Leute dem Baugewerksmeister nur die allernotwendigsten
Handwerksarbeiten zugewiesen sehen wollen. Es bedeutet
ein Herunterdrücken des gesamten Baugewerks-Standes,
wenn derartige Ansichten über ihn in der Öffentlichkeit
unwidersprochen weiter verbreitet werden. n
o 4. Der I. V. D. B. setzt eine Kommission ein, die
alle die in das Gebiet »Heimische Bauweise« schlagenden
Fragen — soweit sie seine Interessen berühren — zu be-
arbeiten hat. Diese Kommission, die in Permanenz bleibt,
soll auch den Verbands-Innungen und -Mitgliedern bei
Anfragen, Beschwerden usw. mit Rat und Tat zur Hand
gehen. a

ARBEITERMÖBEL
II. MUSTERAUSSTELLUNG IM BERLINER GEWERKSCHAFTSHAUSE
Hierzu 2 Abbildungen auf Seite 181.

MAN muß es nur einmal gesehen haben, wie diese
Arbeitermöbel-Ausstellung betrachtet wird! Um
6 Uhr, nach Feierabend, öffnet sie ihre Pforten
und herein strömen bedächtigen Schrittes die
jungen und alten Arbeiter, aber hauptsächlich junge mit
ihren Bräuten. Sachlich, sachverständig prüfen sie die aus-
gestellten Zimmer, die sie sorgfältig an ihren eigenen Be-
dürfnissen messen. Hier und da ein unterdrückter freu-
diger Aufruf, wenn sie etwas entdecken, wo der entwer-
fende Architekt praktischer, klüger und zweckgerechter
gehandelt hat, als sie es sich selbst wohl ausgedacht
haben oder gar im Beruf ausführen müssen. So wandern
sie von einem Zimmer zurück ins andere, vergleichend,
messend und beklopfend. Alles stimmt, alles ist zweck-
gerecht, keine schwindelhaften Betrügereien: die Firma
Dibbelt & Rothe hat ihre Sache gut gemacht! □
□ Und nun, nachdem so ein behagliches, vertrauendes
Gefühl in den Beschauern erblüht ist, geht es ans Blättern
im Katalog, ans Nachrechnen der Preise. Da ist dann des
Staunens und der Freude kein Ende! Alles viel billiger,
wie in den marktschreierischen Abzahlungsgeschäften, und
das nicht nur relativ hinsichtlich der zehnmal besseren
Qualität, sondern auch effektiv im geforderten Preise billiger.
(Sind’s doch nahezu die Selbstkosten.) Dazu, und das ist
die Hauptsache: hier kann ebenso wie dort auf Raten
gekauft werden, doch ohne schmählichen Halsabschneider-

vertrag, denn was daran abbezahlt ist, gehört dem Raufer,
auch wenn er nach zwei fälligen Raten nicht weiter zahlen
kann. Ein Drittel der Gesamtsumme wird angezahlt, das
übrige in Monatsraten von mindestens 25 Mark abgetragen
und der Restbetrag mit 6 °/0 verzinst. □
□ Nach diesen beiden materiellen Vorstufen der Betrach-
tung kommt die Ästhetik zu ihrem Rechte. Ganz natür-
lich, daß sie zuletzt kommt, ist doch hier kein in die Augen
springendes Teufelsblendwerk ausgestellt, sondern ruhige,
ehrliche Dinge, deren Schönheit erst durch die gute, zweck-
und materialgerechte Arbeit hindurchleuchtet. Und in der
Tat, sie leuchtet, sie erleuchtet und durchwärmt die Herzen
und die Köpfe! — Man denke, es sind die arbeitenden
Klassen, die im niederträchtigsten Geraffelwerk der Würge-
geschäfte, im angeleimten Renaissancetrara, im Bettlerrokoko,
im elendesten Abklatsch aller Abklatsche groß geworden
sind, doch sie fühlen es: hier ist Geist von ihrem Geiste,
Zeit aus ihrer Zeit. Es ist eine wahre Herzensfreude,
dieser aufdämmernden Erkenntnis zuzusehen! □
□ Nicht wahr ist es, wenn immer gesagt wird, daß un-
seren einfachen Zweckmöbeln, die von Künstlerhand ent-
worfen sind, die Schönheit fehle! Wenn ihr euch, entsetzt
und unbefriedigt durch den gewollten Mangel an Ornament-
orgien, ab wendet und den Stab brecht, der Arbeiter sieht
die Schönheit. Er weiß und fühlt, wo und worin der
Künstler über den reinen Gebrauchszweck hinausgegangen
 
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