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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Segmiller, Ludwig: Der moderne kunsthistorische Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0224

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DER MODERNE KUNSTHISTORISCHE UNTERRICHT

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Kopie nach Dürer (Schüler H. Häusler), Kopie in Farbe nach germanischen und gallischen Mustern (Schüler O. Preziger), Kopie in Farbe
im Louis XVI.-Stil (Schüler O. Deike); darunter: Volutenschema nach Lichtbild skizziert (Schüler E. Riester), Kopie in Farbe nach dem
Entwurf einer Umlege von Hans Mielich (Schüler E. Riester). (Klasse Prof. L. Segmiller in Pforzheim)

ersetzen vermöchte. Aber erstens besitzen nicht alle Städte
solche Museen und zweitens kann ich mir auch eine Er-
gänzung selbst dieser Sammlungen durch Diapositive aus
anderen Museen denken. □
□ Auf Grund des folgenden Lehrprogramms an der Groß-
herzogl. Bad. Kunstgewerbeschule in Pforzheim gelangte ich
zu den unten besprochenen Resultaten. Die Unterrichtszeit
umfaßt zwei Jahre, in denen die Kunstform und ihr Ent-
stehen von den prähistorischen Zeiten an bis zum Empire
in Vorträgen erläutert wird, wobei Lichtbilder (auch Kostüme)
gewissermaßen illustrativ während der Besprechung vor-
geführt werden. Im Skizziersaal erfolgt dann das Zeichnen
und Modellieren der besprochenen Formen nach Lichtbild.
Ist ein Original oder eine gute Nachbildung vorhanden,
so ermöglicht sich das Skizzieren auch nach episkopischer
Projektion. Naturgemäß gibt es rasche und langsame
Zeichner. Der Unterschied kann leicht insofern ausgeglichen
werden, als die ersteren Kopien nach Originalen oder Vor-
lagen anfertigen, bis die weniger Geübten nachgefolgt sind.
Der Vortrag beansprucht wöchentlich zwei Stunden, das
Skizzieren erfordert ebensoviel Zeit. Eine große Schüler-
zahl belegte jedoch vier und sechs Stunden in der Woche.
Etwa 50 °/0 der Zöglinge gelang es, alle verlangten Formen
wiederzugeben, 20°/0 sammelten sich aber mehr als den
doppelten Schatz von Motiven. Die Skizzen von etwa 9 °/0
erwiesen sich als unvollkommen; es zeigte sich aber selbst
durch wenig genügende Zeichnung eine ganz wesentliche
Unterstützung des Gedächtnisses, insbesondere wenn es
sich darum handelte, selbständige Stilunterscheidungen zu
treffen. 10°/o der Teilnehmer (meist Gold- und Silber-
schmiede) fertigten außer dem Zeichnen des Lehrganges
in Heften Originalkopien in Farbe wiederzugeben. Drei
Schüler versuchten sich im Modellieren nach Lichtbildern
und erreichten gute Resultate. Der beste Beweis, daß die
neue Methode eine bedeutende Vertiefung gegenüber allen
anderen in sich schließt, ist jedoch die Güte der Kon-
kurrenzarbeiten und Entwürfe, die im gotischen Stil, in dem
der Renaissance, des Rokoko usw. gefertigt wurden. Auf
Grund zweijähriger Versuche ergeben sich folgende Fest-
stellungen: Bedeutende Vertiefung der Auffassungsgabe

und Schärfung des Gedächtnisses aller, auch der schlech-
testen Schüler. Zweitens ein Ansammeln von mehreren
Hundert Stilformen aller Zeilen und Völker durch mindestens
die Häifte der Kursteilnehmer, endlich die Fähigkeit von
15 °/0 der Schüler, frei in historischen Stilarten zu entwerfen.
Dazu gesellt sich die Tatsache, daß der Besuch nicht nur
nicht geringer wurde, sondern in den Vorträgen bis nahezu
auf 200, in den Skizzierabenden auf eine Gesamtzahl von
140 Schülern stieg. Mit anderen Worten: gerade jene
Stunden, in denen die Stilarten, welche sonst das Interesse
einer Zuhörerschaft von 18—25 Jahren wenig zu fesseln
vermögen, ist ein hervorragend guter Besuch festzustellen.
□ Nicht nur im kunsthistorischen Unterricht scheint mir
diese kunstgeschichtliche Arbeitsschule praktisch Verwert-
bares darzubieten, auch für den Entwurf nach modernen
Gesichtspunkten und zwar ohne über ihren Rahmen hinaus-
zugehen. Zunächst wird der Lernende den Begriff »Stili-
sieren«, der sonst langatmiger Erklärungen bedarf, richtiger
fassen. Wir dürfen ihm nur z. B. im Sinne Meurers Bären-
klau und den Akanthus im Lichtbild gegenüberstellen oder
irgend eine Farnart und ein gotisches Ornament. Der
Studierende wird ohne weiteres gewahr, daß unsere
modernen Grundsätze genau die gleichen sind wie jene
der Alten: die Unterordnung der Naturform unter Zweck
und Zeitcharakter, was von einem großen Teil des Kunst-
mobs heute immer noch bestritten wird. Fernerhin be-
steht die unleugbare Tatsache: wir können von den Meister-
werken früherer Jahrhunderte immerhin auch für den neu-
deutschen Stil in Komposition, Vereinfachung, Farbe noch
etwas lernen. Es sei nur an die herrlichen Werke aus der
altchristlichen und byzantinischen Zeit erinnert. Meister
wie Julius Mössel, die auf dem gesättigten Boden des
»Alten« stehend modern schaffen, gehören wahrhaftig nicht
zu den schlechtesten. Noch auf einen Punkt sei hin-
gewiesen. Um endlich stabile allgemein gültige Kunst-
anschauungen, fußend auf den letzten großen deutschen
Ausstellungen in München, Brüssel, Paris usw. zu erhalten,
ist es nötig, ohne der Entwicklung Daumenschrauben an-
zulegen, dem Schülerkreis die Gesetze vom Zweck, der
Echtheit, dem Material zu verdeutlichen und zu eigen zu
 
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