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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Vorwort
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Hellwag, Fritz: Neuzeitliche Berliner Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0010

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Gebäude solcher Art, z. B. nach einem Vereinshause
der machtvollen Gewerkschaften oder dergleichen. Ein
Führer jener Millionen antwortete mir: »Jede Ge-
meinschaft kann erst dann für ihre geistige Art den
künstlerischen Ausdruck finden, wenn sie zur Herr-
schaft gelangt ist.« Herrschaft? Sollte nicht (nach
meinen Träumen) gerade die freiwillige Vereinbarung
einer vereinfachten, niemanden verletzenden Lebens-
formel die Menschen binden? Ach, Utopia! Zu
allen Zeiten war’s wohl Gebrauch, Andersdenkende
zur Anerkennung der Konvention zu zwingen und
durch die Konvention zu herrschen. Aber welche
Konvention ist es denn in unseren Tagen, deren Macht
wir anerkennen, von der wir uns »geistig« beherrschen
lassen? Ist es das Fürstentum? Wo sind seine der-
zeitigen künstlerischen Manifestationen? Ihr sucht
nach ihnen und findet sie nicht? Alles, was sich von
solchem künstlerischen Ausdruck aufweisen ließe,
wären die totgeborenen Steinpuppen der Siegesallee?
— Aber welche Konventionen werden denn allgemein
anerkannt? Wer herrscht in diesem geistigen Sinne?
Ist’s das Volk? Ist’s das Bürgertum? Der Kapitalis-
mus? Lebt in ihnen die stilbildende Kraft, nach der
wir uns so, ach so sehr sehnen? °
□ Man sollte denken, daß innerhalb einer so großen,
wenn auch nur zufälligen menschlichen Gemeinschaft,
wie sie von der Riesenstadt Berlin dargestellt wird,
sich die Gleichdenkenden und dadurch Starken, die
zum Herrschen Berufenen leichter und notgedrungen
zusammenfinden müßten und ihren Geist, ihre Kon-
vention auch künstlerisch zum Ausdruck bringen
könnten. Wohl sind Einzelne zu finden, die mit
Führerqualitäten begabt sind, doch sie haben noch

nicht die Macht und ihnen stemmen sich noch erfolg-
reich bürokratischer Unverstand und reaktionäre Tücke
entgegen; wohl besitzen wir befähigte Architekten,
denen es gelingen könnte, den mystischen Ewigkeits-
gehalt großer Konventionen in ihren Bauwerken zu ver-
körpern, doch sie müssen stumm zusehen, wie man
ihnen die großen Aufgaben vorenthält und sie an die
Unternehmer vergibt — sie leiden an der pestartigen
Verseuchung ihres einst so geachteten Standes. Und wo
sind, ich frage wieder, die großen Gedanken, die in
unserer Zeit mächtige Konventionen bilden könnten?
□ Sie liegen im Volke, im Bürgertum! Nicht in
jenem Bürgertum, von dem Friedrich Nietzsche sagte,
daß es aus einer Unzahl von eigensüchtigen Indivi-
dualitätlein bestände und deshalb auf ewig zur Ohn-
macht verurteilt wäre; nicht in jenem Bürgertume,
das große Töne redete, und ohne etwas geben zu
wollen, maßlose Forderungen aufstellte; dem die
Macht gegeben war und das sich nachher als eine
Gründergesellschaft entpuppte, die alle gemeinsamen
Interessen verkommen ließ, um desto profitlicher
die, ach so unbedeutenden Individualitäten auf-
päppeln zu können. Nein! Aber in einem demokra-
tischen Bürgertum von ehrlichen Männern, die ent-
schlossen und fähig wären, zuerst und rückhaltlos der
gemeinsamen Notwendigkeit sich unterzuordnen, eine
für alle gültige vereinfachte Lebensformel zu suchen
und zu bilden, auf der allein erst der Einzelne seine
Existenzberechtigung erweisen könnte. Im Oemeinleben
die Ausschaltung und das Unmöglichmachen jeglicher
persönlicher Motive und Vorteile —, das wäre ein
Gedanke, der Ideale, die nicht an die Sonne kommen
können, freimachen würde. □

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