BERLINER ARCHITEKTUR UND MÖBELKUNST
auch Provinzmöbel verkauft; warum geschieht das;
spielt vielleicht der Ortszuschlag zu den Löhnen und
den übrigen Kalkulationsfaktoren eine Rolle? Gibt es
einen Berliner Stil; irgend etwas, wovon man sagen
kann, daß es nur in Berlin fabriziert wird? Haben
die in der Reichshauptstadt wirkenden Architekten,
soweit sie Möbel machen, irgend ein berlinisches
Spezifikum? Kann man überhaupt von einer Berliner
Möbelindustrie reden oder nur von Möbelindustrie in
Berlin? — Die Sache entbehrt nicht einer gewissen
Komik: es läßt sich kaum auf irgend eine dieser
Fragen Bescheid geben. □
o Und es handelt sich dabei wirklich nicht um
müßige Dinge. Zuweilen leuchten
Ereignisse plötzlich und grell in
solche Unwissenheit und machen die
Verwirrung und die Traditionslosig-
keit doppelt fühlbar. Solch ein Er-
eignis ist zum Exempel der Kampf
der Tischlermeister mit den Händ-
lern. Er ist im vollen Gange; was
bedeutet er? Daß er für den Kon-
sumenten nicht völlig gleichgültig
sein kann, beweist eine seiner Kon-
sequenzen: die Möbelmesse. Und
dann wiederum: wie ist jener merk-
würdige Vertrag zu deuten, der
neulich durch die Zeitungen ging,
der die Tischlerinnung den Abzah-
lungsgeschäften verband? Leicht wäre
es, in ungehemmter Reihe die Bei-
spiele zu mehren: warum das Publi-
kum ein Interesse an solcher Inqui-
sition der sogenannten Berliner Möbel-
industrie haben muß. Warum, so
könnte ein Spreepatriot wohl fragen,
warum gibt es eigentlich in Berlin
so viele Siedelungen von auswärts:
die Vereinigten Werkstätten aus
München, die Deutschen Werkstätten
aus Dresden, Herrn Schulze aus
Saaleck, Herrn Stadler aus Paderborn,
Herrn Pössenbacher aus München,
Herrn Kohn aus Wien. Bedeuten diese
Gäste für die Reichshauptstadt eine
Armutsurkunde; oder: sind sie viel-
leicht erst durch Berlin lebensfähig
geworden? Wenn ja, warum mußte
solche sieghafte Art von auswärts
kommen, warum konnte sie nicht
in Berlin selber wachsen? □
□ Diese Verwirrung läßt sich noch
steigern. Mit schmerzhafter Klarheit
ließe sich fragen: wie kommt es
eigentlich, daß, wenn man von mo-
dernen Möbeln spricht, man zumeist
an jene Gäste denkt und hier und
da wohl noch an eines der großen
Warenhäuser, das auch sonst jedem
lebendigen Gedanken eine Stätte zu
bereiten weiß. Nichts ist verkehrter
als eine Politik der Verschleierung; so sagen wir es
offen: seifen, sehr selten wurde in der Geschichte
jener Bewegung, die Deutschland den Ruf eines neuen
Kulturträgers einbrachte, die Berliner Möbelindustrie
genannt. Wo waren die J. C. Pfaff, die Flatow
& Priemer, die Gebrüder Bauer, die Kimbel und
Friedrichsen? Sie haben nicht mitgemacht. Und
doch läßt sich nicht leugnen, daß sie auch heute
noch einen Weltruf besitzen. Sie sind die Qua-
lität der Möbelindustrie in Berlin; ob sie aber in
höherem Maße als jene Gäste aus Dresden, München
und sonst woher die berliner und ganz speziell die
berliner Möbelindustrie sind, dafür läßt sich nichts