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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Hilig, Hugo: Der kunstgwerbliche Arbeiter, [8]: der Lithograph
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BERLINER ARCHITEKTUR UND MÖBELKUNST



Hermann Muthesius, Wohnraum im Hause Bernhard in Grunewald

das Arbeitsfeld des Lithographen noch mehr, es entstand
die Merkantillithographie, die nun freilich an sich fähig
gewesen wäre, viel besseres zu schaffen als die zu jener
Zeit künstlerisch vollkommen verlotterte Buchdruckerei.
Aber beide hielten sich die Wage und standen also auch
so vollkommen im Banne ihrer Zeit. Die Lithographie war
für die Buchdruckerei ein mächtiger Rivale, um so mehr,
als die deutschen lithographischen Erzeugnisse Export-
artikel zu werden begannen. Große lithographische Eta-
blissements entstanden, die jahraus, jahrein zum größten
Teil für den Export fabrizierten. Da blieb für den Litho-
graphen als künstlerische Persönlichkeit gar nichts mehr
übrig, er wurde in die Fabrikordnung eingespannt oder
wurde als Privatlithograph zum Heimarbeiter, der wohl

in ungehemmter Arbeitsfreiheit, das heißt
in unbeschränkter Arbeitszeit einen
Akkordwochenlohn verdiente, den an-
dere Berufe selten erreichten; aber es
war das eben auch [nur die Freiheit,
seine Arbeitskraft bis zum Äußersten
auszuschöpfen, solange die Konjunktur
die Produktivität anspannte. n
□ Denn es stellte sich heraus, daß diese
lithographische Industrie dem Wechsel
der Konjuktur unterworfen war; sie
erzeugte nicht mehr nach alter Weise,
sondern sie produzierte Waren, Massen-
auflagen, für den Vorrat und für den
industriellen und kommerziellen Güter-
verkehr. Wie dieser selbst den Schwan-
kungen des Weltmarktes unterworfen
war, so mußte das auf die lithographi-
sche Industrie zurückwirken. Auch die
Saison übte einen anregenden oder
hemmenden Einfluß auf die Arbeits-
intensität in der lithographischen In-
dustrie und so war der vordem so idylli-
sche lithographische Beruf in den Mahl-
strom der kapitalistischen, industriellen
Produktion geraten und mußte dessen
blinde Zufälligkeiten über sich ergehen
lassen. Daß die lithographische Industrie immer mehr
und deutlicher zur Exportindustrie wurde, glich zwar
manche inländische Krise aus, aber immer mehr zeigt es
sich, daß der Weltmarkt in seinen Fundamenten von gleichen
Kräften und zu gleicher Zeit erschüttert wird und so bleibt
denn nach und nach auch der Ausgleich zwischen den
Absatzländern für die geschäftliche Lage ohne wohltätige
wirtschaftliche Wirkung. □
□ Dann aber hatte die Industrialisierung des lithographi-
schen Berufes noch etwas anderes gebracht: die Speziali-
sierung des Berufes. Was vordem nur in einzelnen An-
fängen vorkam und von langer Dauer war: daß der Kupfer-
stecher und der Kupferdrucker nicht mehr einunddieselbe
Person zu sein brauchte, das wurde in der lithographischen
Industrie zum System und es separierte
sich vom Lithographen der Steindrucker.
Dessen Beruf trennte sich so streng,
daß der Lithograph nicht mehr drucken
kann, daß der Steindrucker eine beson-
dere Lehrzeit hat und daß er nun nur
noch technischer Arbeiter ist, der mit
einer immer reichlicher werdenden Ein-
wanderung billiger weiblicher Arbeits-
kräfte zu rechnen hat. Das lithographi-
sche Druckverfahren ist so erweitert,
daß das Drucken vom Stein eine kom-
plizierte Arbeit geworden ist, die schließ-
lich nur ein kleiner Teil der Stein-
drucker vollkommen beherrscht und die
so mechanisiert wird, daß der größte
Teil der anderen Steindrucker nur noch
Arbeitskraft, nicht mehr gelernter Ar-
beiter zu sein braucht. □
□ Und mit der Industrialisierung des
Steindruckers war auch noch eine un-
gemein weitausgreifende Weiterbildung
der Technik verbunden. Es kamen die
photomechanischen Verfahren; nachdem
man schon früher gelernt hatte, durch
andere Verfahren originale lithographi-
sche Arbeit zu sparen, wurde sie von

Karl Richard Henker

Speisezimmer
 
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