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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Geller, Johannes: Rudolf Bosselt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0075

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ARBEITEN VON RUDOLF BOSSELT


gestellt werden. Aber wer’s kann, tut’s; Shaw sagt
es: He who can, does, he who cannot, teaches. n
□ Die in den folgenden Abbildungen gezeigten Werke
leiten dann unmittelbar zur neuesten Schaffensperiode
Bosselts über. Ihre stärksten Werte sind in der Über-
windung des Motivs, der Vereinfachung der Formen-
bildung, der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und der
vollkommenen Durchgeistigung und Verschmelzung
der Formen mit psychischen Elementen zu finden. □
o Für den Plastiker ist das Motiv nicht weniger
wertvoll wie für den Musiker. Sicher wird ein Genie
auch aus einem undankbaren, schlechten Motiv noch
immer ein Kunstwerk gestalten können, so sicher wie
ein Stümper mit dem besten Motiv nichts anzufangen
weiß. Aber es hat doch nur sekundäre Bedeutung
und bedingt lediglich eine graduelle Vervollkommnung,
wenn das Motiv kurz, eindrucksvoll und variations-
fähig ist. Es verrät Ängstlichkeit vor der Durch-
führung der thematischen Verwicklung und die Un-
sicherheit der Hand, wenn ein Künstler sich schon
durch Weitschweifigkeit und Reichtum des Motivs
eine stärkere Wirkung gleichsam im voraus sichern
will. Und es spricht nur für das Selbstvertrauen
Bosselts und die Stärke seines künstlerischen Instinkts,

daß er stets das Motiv auf die knappste Formel zu
bringen sucht. Um ein Beispiel anzuführen; für die
Darstellung des Schmerzes, der Trauer läßt er sich
lediglich eine stehende oder sitzende weibliche Ge-
stalt genügen, deren strenge Haltung durch vielfältige
Horizontalen und Diagonalen gleichsam gebrochen
wird. Hierdurch erzielt er so suggestive Wirkungen,
wie sie etwa von der gotischen S-Linie oder von
dem Donatelloschen Standmotiv ausgingen, Vorgänge,
die für die Entwicklung der plastischen Kunst von
elementarer Bedeutung gewesen sind. Wie fruchtbar
an plastischen Darstellungsmöglichkeiten dieses so
schlichte neue Formprinzip sich erweist, kann man an
den Reliefs des Mülheimer und Braunschweiger Grab-
mals sehen (Abb. S. 64—66). Auch das Bonner
Grabmal (Abb. oben) rechnet dazu. Nur hat es durch
die Zusammenfassung zweier Gestalten, einer sitzenden
und einer knienden, ein reicheres, bewegtes Linien-
spiel erhalten. Fassungsloser Schmerz läßt das kauernde
Mädchen sein Antlitz in den Knien der Mutter bergen,
die tiefgesenkten Hauptes mit zarter Geste die Tochter
umfängt. Der menschlich so echte Zug, in der Trauer
sich innig aneinanderzuschließen, ist hier wichtigstes
Element der Formgestaltung geworden. In den
 
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