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ARBEITEN VON RUDOLF BOSSELT
trachtung eines solchen Modells hervorgegangen,
sondern die psychologische Stimmung, Trübsinn und
Schwermut haben die Umrisse der Form und ihren
Charakter bestimmt. Nicht Schlaf, nicht körperliche
Erschöpfung lassen das Weib mit den heroischen
Gliedmaßen (Abb. S. 76) zusammensinken, sondern der
Druck seelischen Leides. Entsprechend ist die Kom-
position (Abb. S. 77) aufzufassen. Auch in der schönen
Marmorskulptur des »Erschauerns« (Abb. oben) sind
es keine physiologischen Vorgänge, die das Weib
in die aufs äußerste erregte Haltung zwingen; ein
inneres Erlebnis, eine brennende Sehnsucht, alle
Wonnen dunkler Nächte, lassen den wundervollen
Körper in seligen Schmerzen erschauern. □
□ Und als ob der Künstler alles, was er bisher an
psychologischen Impressionen erlebt hat, in einem
gewaltigen Zuge hätte zusammenfassen wollen, läßt
er die Menschheit in dem Museumsrelief (Abb. S. 82/83)
vor dem Thron der Kunst erscheinen, nicht geführt,
nicht geordnet, nicht mit Weihgeschenken und Sym-
bolen, sondern nackt und ohne Schmuck, nur durch
Haltung und Formgestalt erkennen lassend, wem der
heilige Schein geleuchtet, wen er im Innersten gerührt
oder wen er kalt gelassen, freudlos, abseits gestellt
ausgeschlossen von dem Kreis der Auserwählten. □
n Noch eine letzte Bemerkung: solche Eigenschaften
wie Motivüberwindung, Formvereinfachung, Durch-
geistigung der Materie machen zugleich das Wesen
der Monumentalität aus. Und Monumentalität ist der
Schrei der Gegenwart, ist das unstillbare Verlangen
aus dem Elend der Motivspielerei, der Überladung, der
Unwahrheit, der Konvention herauszukommen. □
□ Bosselts Werke zeigen wahre Monumentalität, und
das wird ihn zur Anerkennung bringen und ihm
einst die gebührende Stellung in der Plastik des
20. Jahrhunderts zuweisen. Vorläufig ist das freilich
noch Glaubensartikel und nicht weiter beweisbar.
Zurzeit ist er in großer Gefahr. Für die Massen ist
seine Kunst zu ernst und zu »klassisch«, und für die
Kenner und Propheten des Modernen nicht »stark«
genug, was hier so viel wie gewaltsam, sonderbar und
auffallend bedeutet. Er steht auf schwanker Brücke,
noch nicht geschätzt oder unterschätzt! But where
is danger, there is hope. □
□ Die nächsten 10 Jahre werden die Entscheidung
darüber bringen. a
JOHANNES GELLER
ARBEITEN VON RUDOLF BOSSELT
trachtung eines solchen Modells hervorgegangen,
sondern die psychologische Stimmung, Trübsinn und
Schwermut haben die Umrisse der Form und ihren
Charakter bestimmt. Nicht Schlaf, nicht körperliche
Erschöpfung lassen das Weib mit den heroischen
Gliedmaßen (Abb. S. 76) zusammensinken, sondern der
Druck seelischen Leides. Entsprechend ist die Kom-
position (Abb. S. 77) aufzufassen. Auch in der schönen
Marmorskulptur des »Erschauerns« (Abb. oben) sind
es keine physiologischen Vorgänge, die das Weib
in die aufs äußerste erregte Haltung zwingen; ein
inneres Erlebnis, eine brennende Sehnsucht, alle
Wonnen dunkler Nächte, lassen den wundervollen
Körper in seligen Schmerzen erschauern. □
□ Und als ob der Künstler alles, was er bisher an
psychologischen Impressionen erlebt hat, in einem
gewaltigen Zuge hätte zusammenfassen wollen, läßt
er die Menschheit in dem Museumsrelief (Abb. S. 82/83)
vor dem Thron der Kunst erscheinen, nicht geführt,
nicht geordnet, nicht mit Weihgeschenken und Sym-
bolen, sondern nackt und ohne Schmuck, nur durch
Haltung und Formgestalt erkennen lassend, wem der
heilige Schein geleuchtet, wen er im Innersten gerührt
oder wen er kalt gelassen, freudlos, abseits gestellt
ausgeschlossen von dem Kreis der Auserwählten. □
n Noch eine letzte Bemerkung: solche Eigenschaften
wie Motivüberwindung, Formvereinfachung, Durch-
geistigung der Materie machen zugleich das Wesen
der Monumentalität aus. Und Monumentalität ist der
Schrei der Gegenwart, ist das unstillbare Verlangen
aus dem Elend der Motivspielerei, der Überladung, der
Unwahrheit, der Konvention herauszukommen. □
□ Bosselts Werke zeigen wahre Monumentalität, und
das wird ihn zur Anerkennung bringen und ihm
einst die gebührende Stellung in der Plastik des
20. Jahrhunderts zuweisen. Vorläufig ist das freilich
noch Glaubensartikel und nicht weiter beweisbar.
Zurzeit ist er in großer Gefahr. Für die Massen ist
seine Kunst zu ernst und zu »klassisch«, und für die
Kenner und Propheten des Modernen nicht »stark«
genug, was hier so viel wie gewaltsam, sonderbar und
auffallend bedeutet. Er steht auf schwanker Brücke,
noch nicht geschätzt oder unterschätzt! But where
is danger, there is hope. □
□ Die nächsten 10 Jahre werden die Entscheidung
darüber bringen. a
JOHANNES GELLER