ANGEWANDTE KUNST IM PARISER HERBSTSALON 1911
86
Schlafzimmer
Andre Groult, Paris
methoden und des Ausstellungswesens gehalten, die
aber leider wie Strohfeuer ohne Folgen blieben. Die
veralteten Unterrichtsprinzipien, die in der alten, bau-
fälligen Kunstgewerbeschule geübt werden, sind in
keiner Weise erschüttert worden. Die Ecole Boulle
hält zäher denn je an der Stilimitation fest und ver-
schließt sich hartnäckig den sozialen Aufgaben, deren
Lösung die Zeit gebieterisch fordert. Allein in den
Kreisen junger unabhängiger Künstler wirkte der
Eindruck der Münchener Ausstellung weiter fort.
Sie allein haben im Laufe des letzten Jahres energisch
und opfermutig gearbeitet, um den Vorsprung, den
Deutschland im Kunstgewerbe seit Jahren einnimmt,
einzuholen. Was deutsche Künstler im Laufe zehn-
bis zwanzigjähriger Arbeit mühsam errungen haben,
kann eine Handvoll junger Idealisten jenseits des
Rheins innerhalb von zwölf Monaten nicht nachholen.
Das geht über menschenmögliches Maß. Trotzdem
aber verdient die diesjährige Ausstellung angewandter
Kunst Frankreichs im Herbstsalon unsere höchste Be-
wunderung, gerade weil wir wissen, daß sie das
Werk einzelner, alleinstehender Künstler ist, die weder
langjährige Erfahrungen ausnutzen konnten noch im
großen Publikum einen Resonanzboden finden. Wir
dürfen darum auch die französischen Leistungen von
heute kaum zu den unseren in Parallele sehen, be-
sonders weil die französischen gewissermaßen aus
dem Nichts heraus entstanden sind und gleichsam
erste Versuche darstellen; denn die erste Episode im
Suchen nach einem neuen Stil, die Fachleuten durch
Zitierung von Namen wie Carabin, Cheret, Charpen-
tier, Galle, Majorelle gewiß ins Gedächtnis gerufen
wird, ist infolge ihrer ungesunden Schwulstigkeit,
ihres Mangels an konstruktivem und praktischem Sinn
längst gescheitert. Aus ihren Trümmern konnte neues
Leben nicht erwachen. Es galt, ganz von vorne an-
zufangen. Zu einem solchen Wiederanfangen haben
die Münchener den Franzosen die Anregung gegeben.
Durch sie wurden den Franzosen die leitenden Grund-
gedanken allen kunstgewerblichen Strebens großen
Stiles überzeugungskräftig vermittelt, so daß sie die
Ziellosigkeit jenes im Kleinlichen begrenzten Kunst-
wollens erkannten, das für große Aufgaben zu kurz-
sichtig Gebrauchsgegenstände mit einer weder immer
dem Material noch dem Zweck entsprechenden Orna-
mentik überlud und im Schmücken und Verzieren
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Schlafzimmer
Andre Groult, Paris
methoden und des Ausstellungswesens gehalten, die
aber leider wie Strohfeuer ohne Folgen blieben. Die
veralteten Unterrichtsprinzipien, die in der alten, bau-
fälligen Kunstgewerbeschule geübt werden, sind in
keiner Weise erschüttert worden. Die Ecole Boulle
hält zäher denn je an der Stilimitation fest und ver-
schließt sich hartnäckig den sozialen Aufgaben, deren
Lösung die Zeit gebieterisch fordert. Allein in den
Kreisen junger unabhängiger Künstler wirkte der
Eindruck der Münchener Ausstellung weiter fort.
Sie allein haben im Laufe des letzten Jahres energisch
und opfermutig gearbeitet, um den Vorsprung, den
Deutschland im Kunstgewerbe seit Jahren einnimmt,
einzuholen. Was deutsche Künstler im Laufe zehn-
bis zwanzigjähriger Arbeit mühsam errungen haben,
kann eine Handvoll junger Idealisten jenseits des
Rheins innerhalb von zwölf Monaten nicht nachholen.
Das geht über menschenmögliches Maß. Trotzdem
aber verdient die diesjährige Ausstellung angewandter
Kunst Frankreichs im Herbstsalon unsere höchste Be-
wunderung, gerade weil wir wissen, daß sie das
Werk einzelner, alleinstehender Künstler ist, die weder
langjährige Erfahrungen ausnutzen konnten noch im
großen Publikum einen Resonanzboden finden. Wir
dürfen darum auch die französischen Leistungen von
heute kaum zu den unseren in Parallele sehen, be-
sonders weil die französischen gewissermaßen aus
dem Nichts heraus entstanden sind und gleichsam
erste Versuche darstellen; denn die erste Episode im
Suchen nach einem neuen Stil, die Fachleuten durch
Zitierung von Namen wie Carabin, Cheret, Charpen-
tier, Galle, Majorelle gewiß ins Gedächtnis gerufen
wird, ist infolge ihrer ungesunden Schwulstigkeit,
ihres Mangels an konstruktivem und praktischem Sinn
längst gescheitert. Aus ihren Trümmern konnte neues
Leben nicht erwachen. Es galt, ganz von vorne an-
zufangen. Zu einem solchen Wiederanfangen haben
die Münchener den Franzosen die Anregung gegeben.
Durch sie wurden den Franzosen die leitenden Grund-
gedanken allen kunstgewerblichen Strebens großen
Stiles überzeugungskräftig vermittelt, so daß sie die
Ziellosigkeit jenes im Kleinlichen begrenzten Kunst-
wollens erkannten, das für große Aufgaben zu kurz-
sichtig Gebrauchsgegenstände mit einer weder immer
dem Material noch dem Zweck entsprechenden Orna-
mentik überlud und im Schmücken und Verzieren