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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0111

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

104

□ Professor J. V. Cissarz im Stuttgarter Landes-
Gewerbemuseum. Mit berechtigtem Stolze darf das
Stuttgarter Landes -Gewerbemuseum alljährlich auf einen
der vornehmsten Zweige seiner Tätigkeit, das kunstgewerb-
liche Ausstellungswesen, blicken. Rastlos und meist ohne
irgendwelche Pause wird dem zahlreichen getreuen Be-
sucherstamm auf eine hinreichend kurze Spanne Zeit immer
und immer wieder Gelegenheit gegeben, ebenso irgend-
ein interessantes Gebiet des alten Kunstgewerbes, als auch
führende moderne Künstler und Schulen zu studieren. Im
bunten Wechsel von graphischer Kunst, Glasmalerei-Ent-
würfen, Tapeten, Gmünder Metallarbeiten, den großartigen
Schätzen alter schwäbischer, kirchlicher Kunst, alten
Schmuckes und der vielen anderen kleinen Sonderkollek-
tionen verleiht es eine Fülle der wertvollsten Anregungen
einerseits, übt einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf
die künstlerische Erziehung des Volkes andererseits und
schafft endlich nicht zuletzt einen innigen Kontakt zwischen
Künstler, Erzeuger und Konsumenten. □
□ Diese stolze Reihe der Ausstellungen nun schloß letztes
Jahr mit Arbeiten Professor J. V. Cissarz' ab. Eine be-
deutende Zusammenfassung — die übrigens nach Stuttgart
auch in anderen deutschen Städten gezeigt werden wird,
somit besonderer Erwähnung dringend bedarf — insofern,
weil sie erstmalig einen Überblick über das kunstgewerb-
liche Schaffen der letzten Stuttgarter Jahre des Künstlers
gibt, der als ein Führender längst in weiten Kreisen be-
kannt und geschätzt ist. Denn nennt man die Namen
jener Männer, die unser modernes Kunstgewerbe schon
vor Jahren entscheidend beeinflußt und in die Höhe ge-
bracht haben, so wird jener Cissarz’ sicherlich nicht fehlen,
und es ist auch bekannt, wie sich schon in den ersten
Jahren seiner Schaffenszeit eine so reiche Fülle an Formen
und Farben — besonders zur Zeit seiner Zugehörigkeit
zur Darmstädter Künstlerkolonie — ergoß, die bei ihm
in Fesseln zu schlagen, kaum für möglich schien. Die
reiche Quelle des reinsten ornamentalen Grundwassers ist
ihm gewiß nicht versiegt. Aber es scheint eine Art Regu-
lierungsarbeit vor sich gegangen zu sein, ein Eindämmen
der unzähligen Verzierungselemente und ihrer farbigen
Ausgestaltung in Schranken, die der Geschmack, die Kom-
position und der Zweck allzeit aufgerichtet haben. Freilich
nicht im Sinne jener puritanischen Zweckkunst, die vieler-
orts berechtigt und geradezu erlösend, oft aber auch lang-
weilig und übertrieben einfach wird und nur von selten
wenigen derart meisterhaft gehandhabt werden kann, daß
sie bei der angestrebten denkbarst möglichen Einfachheit
eine Bereicherung des künstlerischen Vermögens bedeutet.
Cissarz aber verfolgt andere Ziele, ist Ornamentist durch
und durch, einer, der nur aus Liebe zu ornamentalem
Schmuck und Farbe, und fast scheint es, nur für diese
schafft. Es gehört aber wahrlich ein außergewöhnlicher
Geschmack und eine große Beherrschung dazu, bei solchen
überreichen Fähigkeiten nicht übers Ziel hinaus und an
der Kunst vorbeizuschießen. Cissarz aber hat beides und
weiß ebenso, eine bei als Lehrer wirkenden Künstlern
seltene Gabe, dieses Sichzähmen seinen Schülern beizu-
bringen. Seine Berufung an die Stuttgarter Lehr- und
Versuchswerkstätte war daher für die heimischen kunst-
gewerblichen Verhältnisse eine sehr nachhaltige Akquisition,
und es ist anzunehmen, daß die berufenen Faktoren ihm
die Ausarbeitung seiner Pläne nach Möglichkeit erleichtern.
Gerade für Stuttgart, einem Hauptplatz des Buchgewerbes,
kann die Wirksamkeit des Buchkünstlers Cissarz von großer
Wirkung sein. o
□ Von des Künstlers buchgewerblicher Tätigkeit zu be-
richten, hieße unbekanntes Bekanntes als Neues vorzu-
tragen. Das zeigt die Ausstellung. Fort und fort grüßen

einen liebe Freunde, Bucheinbände, deren Besitz vor den
Buchhandlungen vornehmer Straßen der stille, leider ach
oft unerfüllte Wunsch manches Bücherfreundes gewesen,
graphische Kunstblätter, die beim Betrachten und liebe-
vollem, interessierten Studium gewißlich mehr Freude ge-
bracht haben, als man für gewöhnlich bei derartigen Kunst-
produkten zu erhoffen wagt. Und so geht es uns mit
allen Dingen, die seiner künstlerischen Phantasie ent-
stammen, und wären es die einfachsten ihrer Art, wie
Signete, Mitgliedskarten, Buchumschläge, Briefköpfe, Buch-
händlerplakate, Vorsätze, Bücherzeichen, Innentitel, Diplome
und Verwandtes. □
□ Nicht weniger bedeutend ist Professor Cissarz auch in
einem an die Buchkunst anschließenden Gebiete: den tex-
tilen Künsten. Im scharfen Gegensatz zu dem nerven-
anstrengenden Liniengewirr moderner Musterhenker ist
hier alles sorgsam und wohl durchdacht und überaus ge-
schmackvoll in der Linienführung. Die Kleinheit verschie-
dener Motive, welch erstere eine öftere Wiederkehr des
Rapportes bedingt, gestaltet die Musterung eines Tapeten-
stoffes oder einer Decke, die doch zumeist schon der
Technik wegen nach einer gesetzmäßigen Reihung, einer
harmonisch-rhythmischen Folge direkt verlangen, ungemein
wechselreich. □
□ Die Ebenbürtigkeit der ausgestellten Arbeiten gestattet
nicht, sogenannte spezielle »Hauptwerke« hier anzuführen.
Nur die durch die Bestimmung besonders beachtenswerte
Glückwunschadresse der Stadt Stuttgart zur Silberhochzeit
des württembergischen Königspaares sei besonders er-
wähnt. Auch die »Cissarz-Latein«, deren vielseitige Ver-
wendung die Ausstellung in großem Maße zeigt, soll eigens
angeführt werden. Es ist eine Antiquaschrift, schlank und
elegant, aus der Schriftgießerei Ludwig 8t Mayer in Frank-
furt a. M. n
□ Zusammengenommen durchwegs hervorragende Erzeug-
nisse, die in besonderem Maße die Beachtung der Fach-
leute und der weitesten Kreise ansprechen dürfen, denn
sie bestimmen bei einem nicht zu kleinen Teil des Kunst-
gewerbes unserer Zeit, dem neben der unzweifelhaft not-
wendigen technischenWollkommenheit und Gediegenheit
eine noch innigere Fühlungnahme mit den Schaffenden zu
wünschen ist, die Richtung und werden in späteren Tagen
wertvolle Denkmäler unseres Kunststrebens sein. Kubina.


Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hell wag, Berlin-Zehlendorf
Verlagjjvon_E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h. in Leipzig
 
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