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DER ERSTE ADLERSCHE MEISTERKURS IN NÜRNBERG
starken Anreger und Meister fand, die seinem heißen
Sehnen nach einer in unmittelbarer Naturanschauung
wurzelnden Kunst entgegenkamen und ihm die Wege
wiesen, die aus dem Dunkel tellurischer Grundstim-
mungen zur Klarheit künstlerischen Gestaitens empor-
führen. In den von diesen beiden Meistern gegrün-
deten Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und
freie Kunst war er mehrere Jahre als Lehrer tätig, bevor
er nach Hamburg berufen wurde. Mit seinem künstle-
rischen Fühlen tief in der Natur wurzelnd, deren sich
auf die letzte Einzelheit erstreckende peinlich genaue
Darstellung ihm der Anfang aller künstlerischen Lehre
ist, verschmäht er doch als gestaltender und schmuck-
schaffender Künstler jeden Naturalismus, sondern ver-
steht er es, in jedesmaliger Anpassung an die ideellen,
zwecklichen und materialen Forderungen der Aufgabe
aus dem gegebenen Naturmotiv gerade das an Formen-
und Farbenwerten herauszuholen, was sich dem Stil-
ganzen harmonisch einfügt und sich mit diesem zur
Einheit verbindet. Seine Phantasie ist ganz auf das
Ornamentale eingestellt und kommt so dem Schmuck-
bedürfnis unserer Zeit in der günstigsten Weise ent-
gegen. Dabei verschmäht er jede fremde Anleihe.
Es ist ihm Ernst mit der freien ornamentalen Ge-
staltung, denn er ist davon überzeugt, daß nur auf
diesem Wege den Altsachen vergleichbare künstle-
rische Dinge entstehen, während umgekehrt jeder
mit historischen Kunstmitteln gewonnene ornamentale
Reichtum eine Hemmung und Beeinträchtigung des
eigenen künstlerischen Lebens bedeutet. Und er
versteht es, seine Überzeugungen und Erkennt-
nisse auf andere zu übertragen. Begabt mit einem
außergewöhnlichen Lehrtalent, versteht er es, aus den
Werdenden die Keime künstlerischen Fühlens und
Könnens hervorzulocken und in stetiger Entwicklung
zur Entfaltung zu bringen. Wie er seine lebhafte
Phantasie jedem Material und jeder Technik anzupassen
weiß, so besteht für ihn auch das Wesen der Kunst-
lehre darin, künstlerische Individualitäten zu erzielen.
Der Tod aller Kunst ist ihm der Formalismus. □
□ Zur Bekämpfung des sich in Nürnberg mit beson-
derer Zähigkeit behauptenden historischen Formalismus,
zugleich aber auch, um den Gefahren zu begegnen,
welche der eben erblühten jungen Kunst aus der
Oberflächlichkeit und Willkür des Jugendstils erwuchsen,
hatte im Jahre 1901 der Leiter der Bayerischen Landes-
gewerbeanstalt Oberbaurat Theodor von Kramer die
kunstgewerblichen Meisterkurse ins Leben gerufen und
mit deren Leitung nacheinander Peter Behrens, Richard
Riemerschmid und Paul Haustein betraut. Die Kurse
haben ihre Mission erfüllt. Nürnberg hat seitdem eine
Reihe tüchtiger Kunsthandwerker von ausgesprochen
moderner Tendenz und Eigenart, welche wissen, worauf
es beim modernen Schaffen ankommt und die sich
dessen bewußt sind, daß sie damit keinem Modebe-
dürfnis genügen, sondern eine Forderung unserer
Kultur erfüllen. Adler fand den Boden gut vorbereitet.
— Außer neun Nürnbergern stellten sich zwei auswär-
tige Kunsthandwerker zu dem Kurse ein: drei Dekora-
tionsmaler, zwei Kunstschreiner, zwei Elfenbeinbildhauer
und je ein Holzbildhauer, Kunstdrechsler, Kunsttöpfer,
Juwelier, Graveur und eine Kunstweberin. Verschie-
dene von den Teilnehmern hatten sich schon an den
früheren Kursen beteiligt, mit deren häufigem Leitungs-
wechsel man glücklich die Festsetzung eines modernen
Formalismus verhütet hatte. Dem abstrakten Behrens-
schen Linearstil hatte die die Konstruktion betonende
Weise der Riemerschmidschen Kunst paroli geboten,
und dann war Paul Haustein gekommen und hatte
die gar zu ernst und gedankenhaft gewordene Kunst
mit seiner zierlichen Ornamentik auf einen mehr heiteren
und gefälligen Ton gestimmt. Adler brachte von allen
seinen Vorgängern etwas mit. Mit der lebhaftesten
Freude an einerreichen naturlebendigen Ornamentation
verbindet sich bei ihm ein ausgesprochener Sinn für
die Schönheit eines durch mathematische Gesetzmäßig-
keit bedingten Linienrhythmus und für die logische
Folgerichtigkeit eines materialgerecht durchgeführten
konstruktiven Gefüges. Wie durch naturnotwendige
Synthese scheint alles bei ihm verbunden zu sein und
die Vorzüge seiner Kunst finden wir auch in den aus
seinem Kurs hervorgegangenen Arbeiten, von denen
sich die meisten im Besitz der Bayerischen Landes-
gewerbeanstalt befinden, auf deren Bestellung sie
nach den im Kurs entstandenen Entwürfen ausgeführt
worden sind. Eine Ausnahme bildet die auf S. 111
abgebildete Ladeneinrichtung, die, eine gemeinsame
Schöpfung des Kunstschreiners Wilhelm Baldauf und
des Dekorationsmalers Josef Baumann, für die Wall-
brechtsche Delikatessenhandlung in Nürnberg ausge-
führt worden ist. Mit ihrem grünen Holzwerk, von dem
sich buntfarbige Malereien und durchbrochene Schnit-
zereien abheben, hat die elegante Ladeneinrichtung einen
prickelnden Reiz, wie ihn die Zweckbestimmung des
Raums verlangt. Die Farben sind ungebrochen und
kontrastreich, aber dabei äußerst geschmackvoll zu-
sammengestimmt. Sie zeigen, wie Bauernmalereien ins
Städtische zu transponieren sind. Von dem Charakter
der zügigen Holzschnitzereien gibt die durchbrochene
Füllung auf S. 112 eine gute Vorstellung. Sebastian
Schrobenhauser, der diese schuf, hat zu jenen das ge-
schnitzte Modell geliefert. Schrobenhauser ist ein Sohn
der Berge. Obersalzberg bei Berchtesgaden ist seine
Heimat und mit der Holzschnitzerei ist er von Jugend
an vertraut. Ein richtiges Gefühl sagte es ihm, wie
sehr die heimische Holzschnitzkunst der Auffrischung
bedürfe und veranlaßte ihn schon im Jahre 1904, den
damals von Riemerschmid geleiteten Meisterkurs zu
besuchen. Seitdem fehlt er in keinem. Die Verbin-
dung von moderner Stilempfindung und einer auf alter
Tradition beruhenden technischen Fertigkeit verleiht
seinen Sachen einen besonderen Reiz. Die nach Berchtes-
gaden kommenden kunstverständigen Fremden staunen
darüber und finden dafür nicht ohne weiteres eine
Erklärung. Die so markig geschnitzte und dabei so
anmutige durchbrochene Rosenfüllung, die bei strenger
Geometrisierung der Einzelformen so viel natürliches
Leben zeigt, findet sich in achtfacher Wiederholung
auf den Glasscheiben des von dem Kunstschreiner
Paul Rohlert in Nürnberg aus amerikanischem Nuß-
baumholz ausgeführten Teetisches auf S. 111, dessen
massiver Fuß an seinen Ecken ein wie organisch auf-
DER ERSTE ADLERSCHE MEISTERKURS IN NÜRNBERG
starken Anreger und Meister fand, die seinem heißen
Sehnen nach einer in unmittelbarer Naturanschauung
wurzelnden Kunst entgegenkamen und ihm die Wege
wiesen, die aus dem Dunkel tellurischer Grundstim-
mungen zur Klarheit künstlerischen Gestaitens empor-
führen. In den von diesen beiden Meistern gegrün-
deten Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und
freie Kunst war er mehrere Jahre als Lehrer tätig, bevor
er nach Hamburg berufen wurde. Mit seinem künstle-
rischen Fühlen tief in der Natur wurzelnd, deren sich
auf die letzte Einzelheit erstreckende peinlich genaue
Darstellung ihm der Anfang aller künstlerischen Lehre
ist, verschmäht er doch als gestaltender und schmuck-
schaffender Künstler jeden Naturalismus, sondern ver-
steht er es, in jedesmaliger Anpassung an die ideellen,
zwecklichen und materialen Forderungen der Aufgabe
aus dem gegebenen Naturmotiv gerade das an Formen-
und Farbenwerten herauszuholen, was sich dem Stil-
ganzen harmonisch einfügt und sich mit diesem zur
Einheit verbindet. Seine Phantasie ist ganz auf das
Ornamentale eingestellt und kommt so dem Schmuck-
bedürfnis unserer Zeit in der günstigsten Weise ent-
gegen. Dabei verschmäht er jede fremde Anleihe.
Es ist ihm Ernst mit der freien ornamentalen Ge-
staltung, denn er ist davon überzeugt, daß nur auf
diesem Wege den Altsachen vergleichbare künstle-
rische Dinge entstehen, während umgekehrt jeder
mit historischen Kunstmitteln gewonnene ornamentale
Reichtum eine Hemmung und Beeinträchtigung des
eigenen künstlerischen Lebens bedeutet. Und er
versteht es, seine Überzeugungen und Erkennt-
nisse auf andere zu übertragen. Begabt mit einem
außergewöhnlichen Lehrtalent, versteht er es, aus den
Werdenden die Keime künstlerischen Fühlens und
Könnens hervorzulocken und in stetiger Entwicklung
zur Entfaltung zu bringen. Wie er seine lebhafte
Phantasie jedem Material und jeder Technik anzupassen
weiß, so besteht für ihn auch das Wesen der Kunst-
lehre darin, künstlerische Individualitäten zu erzielen.
Der Tod aller Kunst ist ihm der Formalismus. □
□ Zur Bekämpfung des sich in Nürnberg mit beson-
derer Zähigkeit behauptenden historischen Formalismus,
zugleich aber auch, um den Gefahren zu begegnen,
welche der eben erblühten jungen Kunst aus der
Oberflächlichkeit und Willkür des Jugendstils erwuchsen,
hatte im Jahre 1901 der Leiter der Bayerischen Landes-
gewerbeanstalt Oberbaurat Theodor von Kramer die
kunstgewerblichen Meisterkurse ins Leben gerufen und
mit deren Leitung nacheinander Peter Behrens, Richard
Riemerschmid und Paul Haustein betraut. Die Kurse
haben ihre Mission erfüllt. Nürnberg hat seitdem eine
Reihe tüchtiger Kunsthandwerker von ausgesprochen
moderner Tendenz und Eigenart, welche wissen, worauf
es beim modernen Schaffen ankommt und die sich
dessen bewußt sind, daß sie damit keinem Modebe-
dürfnis genügen, sondern eine Forderung unserer
Kultur erfüllen. Adler fand den Boden gut vorbereitet.
— Außer neun Nürnbergern stellten sich zwei auswär-
tige Kunsthandwerker zu dem Kurse ein: drei Dekora-
tionsmaler, zwei Kunstschreiner, zwei Elfenbeinbildhauer
und je ein Holzbildhauer, Kunstdrechsler, Kunsttöpfer,
Juwelier, Graveur und eine Kunstweberin. Verschie-
dene von den Teilnehmern hatten sich schon an den
früheren Kursen beteiligt, mit deren häufigem Leitungs-
wechsel man glücklich die Festsetzung eines modernen
Formalismus verhütet hatte. Dem abstrakten Behrens-
schen Linearstil hatte die die Konstruktion betonende
Weise der Riemerschmidschen Kunst paroli geboten,
und dann war Paul Haustein gekommen und hatte
die gar zu ernst und gedankenhaft gewordene Kunst
mit seiner zierlichen Ornamentik auf einen mehr heiteren
und gefälligen Ton gestimmt. Adler brachte von allen
seinen Vorgängern etwas mit. Mit der lebhaftesten
Freude an einerreichen naturlebendigen Ornamentation
verbindet sich bei ihm ein ausgesprochener Sinn für
die Schönheit eines durch mathematische Gesetzmäßig-
keit bedingten Linienrhythmus und für die logische
Folgerichtigkeit eines materialgerecht durchgeführten
konstruktiven Gefüges. Wie durch naturnotwendige
Synthese scheint alles bei ihm verbunden zu sein und
die Vorzüge seiner Kunst finden wir auch in den aus
seinem Kurs hervorgegangenen Arbeiten, von denen
sich die meisten im Besitz der Bayerischen Landes-
gewerbeanstalt befinden, auf deren Bestellung sie
nach den im Kurs entstandenen Entwürfen ausgeführt
worden sind. Eine Ausnahme bildet die auf S. 111
abgebildete Ladeneinrichtung, die, eine gemeinsame
Schöpfung des Kunstschreiners Wilhelm Baldauf und
des Dekorationsmalers Josef Baumann, für die Wall-
brechtsche Delikatessenhandlung in Nürnberg ausge-
führt worden ist. Mit ihrem grünen Holzwerk, von dem
sich buntfarbige Malereien und durchbrochene Schnit-
zereien abheben, hat die elegante Ladeneinrichtung einen
prickelnden Reiz, wie ihn die Zweckbestimmung des
Raums verlangt. Die Farben sind ungebrochen und
kontrastreich, aber dabei äußerst geschmackvoll zu-
sammengestimmt. Sie zeigen, wie Bauernmalereien ins
Städtische zu transponieren sind. Von dem Charakter
der zügigen Holzschnitzereien gibt die durchbrochene
Füllung auf S. 112 eine gute Vorstellung. Sebastian
Schrobenhauser, der diese schuf, hat zu jenen das ge-
schnitzte Modell geliefert. Schrobenhauser ist ein Sohn
der Berge. Obersalzberg bei Berchtesgaden ist seine
Heimat und mit der Holzschnitzerei ist er von Jugend
an vertraut. Ein richtiges Gefühl sagte es ihm, wie
sehr die heimische Holzschnitzkunst der Auffrischung
bedürfe und veranlaßte ihn schon im Jahre 1904, den
damals von Riemerschmid geleiteten Meisterkurs zu
besuchen. Seitdem fehlt er in keinem. Die Verbin-
dung von moderner Stilempfindung und einer auf alter
Tradition beruhenden technischen Fertigkeit verleiht
seinen Sachen einen besonderen Reiz. Die nach Berchtes-
gaden kommenden kunstverständigen Fremden staunen
darüber und finden dafür nicht ohne weiteres eine
Erklärung. Die so markig geschnitzte und dabei so
anmutige durchbrochene Rosenfüllung, die bei strenger
Geometrisierung der Einzelformen so viel natürliches
Leben zeigt, findet sich in achtfacher Wiederholung
auf den Glasscheiben des von dem Kunstschreiner
Paul Rohlert in Nürnberg aus amerikanischem Nuß-
baumholz ausgeführten Teetisches auf S. 111, dessen
massiver Fuß an seinen Ecken ein wie organisch auf-