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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Ehmcke, Fritz H.: Zum Streit um die Fraktur
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0139

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ZUM STREIT UM DIE FRAKTUR

□ Man vergegenwärtige sich das elende Aussehen unserer
Schulbücher, die trostlose Langeweile des Schönschreibe-
unterrichts, die beide nur dazu angetan scheinen, jede
natürliche Veranlagung einer charakteristischen Schrift-
auffassung bei unserer Jugend zu verkümmern. Man wird
sich zum Schluß einig darüber sein können, daß es hier
nichts zu verlieren gibt. n
□ Was an Formenkraft, an Eigenwüchsigkeit einst im
deutschen Schriftum vorhanden war, das ist im offiziellen
Schulbetrieb, in der Massenabfertigung des populären
Druckwesens längst dahingesiecht. □
□ Wenn nicht einige opferfreudige Verleger, eine kleine
Schar um die Sache besorgter Künstler und Kunstfreunde
für die Pflege guter Schriftformen und guten Schriftsatzes
bemüht gewesen wäre, so würde der Zusammenhang mit
der Tradition längst aufgehoben sein. Es ist tatsächlich
diesen treibenden Kräften zu danken, daß noch einige
Schriften vergangener Jahrhunderte in größerer Menge
im Gebrauch sind, die man mit wenigen neuesten als die
einzig künstlerischen Druckschriften bezeichnen kann. □
o In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ging
von München die kunstgewerbliche Bewegung aus, die zu
dem Schlagwort »Unserer Väter Werke« sich bekannte
und nunmehr auch historisch geworden ist. Sie bediente
sich in ihren typographischen Äußerungen einer mittel-
alterlichen Deutschschrift, die nach alten überlieferten Ma-
trizen gegossen war und die noch heute von der Schrift-
gießerei Gentzsch & Fleyse in Hamburg als »Alte Schwa-
bacher« in den Handel gebracht wird. Hupps Münchener
Kalender, Wilhelm Büschs Werke und manches andere
für die Zeit Bezeichnende ist darin gedruckt. □
d Eine zweite aus früheren Jahrhunderten überkommene
Schrift ist die »Breitkopffraktur«, so genannt nach ihrem
Schöpfer Joh. Gottl. Imman. Breitkopf, einem Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts in Leipzig lebenden Drucker
und Stempelschneider. Das alte Geschäftshaus Breitkopf
& Härtel hatte die Matrizen unter seinen Beständen über
die Zeiten hinübergerettet, und jüngst brachte die um unser
modernes Schriftwesen hochverdiente Gießerei der Ge-
brüder Klingspor in Offenbach sie weiter in den Handel,
leider mit einigen Neuschnitten der größeren Grade, die
der Schönheit der Originalschrift nicht entsprechen. □
o Diese Schrift, geboren aus der Gesamtkultur ihrer Zeit,
aus deren Fülle mit Schwungkraft der Linien und Adel
der Form bedacht, hat sich in kurzer Zeit einen großen
Teil unserer besten Literatur erobert. Der Erfolg dieser
zwei Typen hat dann eine Reihe anderer alter Schwabacher-
und Frakturschriften ans Tageslicht gefördert, die mit den
erstgenannten das Zeitgemeinsame haben und die nur ein
genauer Kenner auseinanderzuhalten vermag. Einigen
alten Druckhäusern, so vor allem der Leipziger Offizin
W. Drugulin gebührt das Verdienst, die gute Tradition ge-
pflegt und auch uns einen Abglanz von der Schönheit
erhalten zu haben, der in den Druckwerken der Vorväter
etwas Selbstverständliches war. Wenn die alten Schwa-
bacherschriften und die Frakturen des achtzehnten Jahr-
hunderts jede für sich einen gemeinsamen Typ aufweisen,
so ist das bei einer dritten überlieferten Deutschschrift nicht
der Fall, die in ihrer Einzigkeit gewissermaßen, als ein
Vorläufer der individuellen Schriflschöpfungen vom Ende
des vorigen Jahrhunderts gelten kann. Es ist die Type des
Berliners Druckers und Schriftschneiders Joh. Fried. Unger,
die sogenannte Ungerfraktur, die letzte historische Äuße-
rung deutscher Schrift. Ihr Schöpfer, der einer alten Schrift-
schneiderfamilie angehörte, verfolgte — darin ein Kind
seiner Zeit — bewußt die Absicht, deutsche Formerfindung
mit antiker Auffassung zu verbinden, und das hat seine
Schrift um einen wesentlichen Teil von Lebenskraft ge-

bracht, wenn auch keineswegs so viel, daß sie nicht die
Zeiten überdauern und in unserer Epoche noch einmal
Verwendung und gar Nachfolge finden konnte. □
□ Die Leipziger Druckerei Poeschel & Trepte, die im
modernen Druckgewerbe eine hervorragende Rolle spielt,
unternahm es, die preziöse Schrift der Vergessenheit zu
entreißen, und mit Glück besonders bei Neudrucken der
Romantiker wieder zu verwenden. o
n Die großen Verleger, wie Diederichs, der Inselverlag,
S. Fischer usw. gingen mit gutem Beispiel voran, ihre
Bücher in diesen bewährten älteren Deutschschriften zu
drucken, und es ist immerhin ein nicht unerheblicher Teil
unserer wertvollen Literatur auch in einer würdigen Type
niedergelegt worden. a
d So stellen denn diese drei alten Schriftgattungen, die
durch die gemeinsame Arbeit der Besten uns erhalten
blieben, einen wirklichen Schatz dar, der durch den Macht-
spruch des Parlaments uns auf immer verloren gegangen
wäre. □
□ Denn es ist klar, daß das Aufgeben der deutschen
Schreibschrift nur einen Anfang bedeutet, und in der Folge
die völlige Entfernung der Fraktur aus dem Allgemein-
unterricht nach sich ziehen würde. □
□ Verböte man die Deutschschrift in den Schulen, so
würde schon die nächste Generation nicht mehr in der Lage
sein, Goethes Werke in der Ausgabe letzter Hand zu lesen.
Die herrlichen alten Kurfürstenbibeln, die sich noch in
vielen Familien finden, würden angesehen werden, wie
irgend ein kurioses Buch in russischer oder aramäischer
Sprache. Der altniederdeutsche Erstdruck des »Reinicke
Vos«, der »Theuerdannck« mit Hans Schäuffelins köstlichen
Holzschnitten, der Dichter vom Palmbaum famose barocke
Reimereien, Klopstocks Messias und all die vielen Bücher,
deren Originalausgaben man nicht ohne einen Schauer der
Ehrfurcht in die Hand nimmt und deren ehrlich deutsche
Worte uns doch so vertraut anmuten, als wären sie eben zu
uns gesprochen, all diese ehrwürdigen und geliebten Bücher,
sie würden unsern Kindern und Kinderskindern schon
Bücher mit sieben Siegeln sein, erstaunlich und fremdartig
wie ein ägyptischer Papyrus oder die Keilschrift der Ba-
bylonier. o
a Aber abgesehen von diesem deutlichen und genau
abzuschätzenden Verlust, welche Möglichkeiten neuer
Formbildungen gingen uns verloren! Gerade in den letzten
Jahren regt es sich überall in den künstlerischen Kräften,
und es ist für die Neugestaltung unserer deutschen Schrift
schon bemerkenswerte Vorarbeit geleistet. Wir sind ja
leider in Deutschland auf künstlerischem Gebiet nicht so
weit, um vorurteilslos über die Tätigkeit der Lebenden in
sachliche Eröterungen eintreten zu dürfen, ohne befürchten
zu müssen, bei nicht unbedingter und kritikloser Zustim-
mung persönlicher Voreingenommenheit bezichtigt zu
werden. Ich möchte mich darum auch jeglicher Stellung-
nahme im einzelnen enthalten und hier nur die Namen:
Peter Behrens, Rudolf Koch und E. R. Weiß als in der
einen oder anderen Hinsicht bedeutungsvoll für die Neu-
und Weitergestaltung der deutschen Schrift anführen. a
p Wo derartige schöpferische Kräfte am Werk sind, da
ist es, gelinde gesagt, verfrüht, ihnen von Amts wegen in
die Arme zu greifen und jeden weiteren Fortschritt zu ver-
bieten. □
□ Welches sind denn nun die Vorteile, die der Beschluß
der Reichstagskommission vermeintlich bieten sollte?
□ »Die Antiqua solle geeignet zur Weltschrift sein. Das Bei-
spiel der englisch sprechenden und der romanischen Völker
wird hingestellt, die die Fraktur als zwecklos aufgegeben
hätten, sie höchstens noch als Zierschrift bei gewissen Ge-
legenheiten führten.« □
 
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