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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Hellwag, Fritz: Die k. k. Kunstgewerbeschule in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0217

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210

DIE K. K. KUNSTGEWERBESCHULE IN WIEN

Wege zu ziehen. Denn trennen mußten sich beider Völker Wege, wenn man auch vielleicht gewünscht hätte,
daß es noch nicht so bald geschähe. Man darf sich doch nicht darüber täuschen, daß die kunstgewerbliche
Frage für beide Völker im Grunde eine wirtschaftliche Existenzfrage ist. Und auch darüber nicht, daß jetzt,
seit der Begründung des Österreichischen Werkbundes, beide Kunstnationen unverhüllt Konkurrenten auf dem
Weltmarkt geworden sind. Möge dieser nun beginnende Wettkampf ein, wenn auch scharfer so doch ein
friedlicher sein! * * □
*
d Dieselbe Verschiedenheit in der kunstgewerblichen Entwickelung Österreichs und Deutschlands zeigt sich
auch deutlich im öffentlichen Schulwesen. In Deutschland wollte die Regierung Herr der Situation bleiben.
Indem sie die Fortschritte der Künstler freundlich begünstigte, suchte sie zugleich den richterlichen Ausgleich
zwischen beiden Parteien zu finden. Handwerker- und Kunstgewerbeschulen waren und blieben größtenteils
lokale und administrative Einheiten. Und selbst da, wo eine Schule zur reinen Kunstgewerbeschule erhoben
wurde, sorgte die Regierung dafür, daß ihr Hauptziel eine Hebung des vorhandenen Arbeiterstandes blieb.
Erst vor ganz kurzer Zeit ist wieder ein Erlaß des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe erschienen,
der es als erwünscht bezeichnete: »für die Zulassung von Tagesschülern der Kunstgewerbeschulen mehr als
bisher die Zuriicklegung einer bestimmten praktischen Tätigkeit
zu verlangen«. Und begründet wird dieser Erlaß bemerkenswert
damit, daß die Kunstgewerbeschulen Schüler ohne jede praktische
Vorbildung aufnähmen, die dann auf der Schule »zwar zu tüch-
tigen Zeichnern ausgebildet« würden, die aber, weil ihnen die
praktische Vorbildung fehle, für das Knnstgewerbe meist un-
brauchbar seien. In Deutschland wünscht man also deutlich ein
Zurückfluten der ausgebildeten Kräfte von der Kunstgewerbe-
schule in das praktische Kunstgewerbe. Schließlich und endlich
ist dies also in Deutschland das Prinzip des »gehobenen Hand-
werkers«. So richtig und so »deutsch« dies auch klingen mag,
so birgt die Methode doch eine große Gefahr in sich: über kurz
oder lang werden wir (das heißt, falls sich die Wünsche der
Regierung erfüllen) eine so große Zahl von anständig ausge-
bildeten Handwerkern und Werkmeistern der mittleren Linie
haben, daß die Künstler für überflüssig gehalten, von der direkten
Beeinflussung der Produktion ausgeschaltet und fast ganz auf die
indirekte Beeinflussung (als Kunstgewerbe-Schullehrer) beschränkt
werden. Das aber wäre sehr schlimm, da bei uns der Schwung
der nationalen künstlerischen Schöpferkraft ohnedies nicht sehr
stark ist. Dabei soll natürlich der Vorteil, der in der Schaffung
eines ehrlichen, anständigen Gesamtniveaus liegt, nicht verkannt
werden. Doch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt verlangt mehr!
Soll uns dort der spritzige, künstlerisch talentiertere österreichische
Bruder den Rang ablaufen? Wir brauchen also in Deutschland
eine oder zwei Kunstgewerbeschulen, die sich, ähnlich der Wiener
Kunstgewerbeschule, vor allem der Erziehung der Künstler widmen.
(Vielleicht ließen sich die Schulen in Düsseldorf und in Ham-
burg zu diesem akademischen Zweck umgestalten?) □
* *
n Die zwei oder drei österreichischen Knnstgewerbeschulen, ins-
besondere natürlich die Wiener als die bedeutendste, sind ganz
von dem Handwerkerunterricht getrennt und sind Lehrstätten
zur Heranbildung künstlerischer Kräfte, die zum Schöpfen und
Leiten befähigt sein sollen. Die Wiener Kunstgewerbeschule ver-
langt daher nicht, wie dies in Deutschland immer energischer
geschieht, eine praktische, handwerkliche Vorbildung. Im Gegen-
teil, die handwerkliche Übung, resp. die fakultative Übung der
Handwerker ist ganz an den Schluß des bedeutend längeren Lehr-
ganges gestellt. Die normalen Schüler kommen alle zuerst in
die Allgemeine Abteilung. Hier unterrichten im ersten Jahre:
Prof. Dr. Strnad in der allgemeinen Formenlehre, Prof, cizek in
der ornamentalen Formenlehre, Prof, von Larisch in Schrift und
Heraldik; im zweiten Jahre: Prof. Böhm im Naturstudium; im
dritten Jahre: Prof, von Kenner im Aktstudium und endlich


Josef Kratschmer, Hl. Florian. Entwurf u. Ausführung
(Schule Professor Breitner)
 
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