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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Westheim, Paul: Friedhofsbetrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0233

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EINE FRIEDHOFAUSSTELLUNG IN HAMBURG

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sich ganz wohl befinden, die ohne ein Wort des
Protestes sich mit jeder Änderung eines kirchlichen
Zeremoniells abfinden würden, die aber bei allem,
was mit dem Tod zusammenhängt, unzugänglich und
konservativ bleiben. Nirgends offenbart sich ja die
Eitelkeit und Kleinheit alles menschlichen Getues mehr
als an einem offenen Grab, nie glaubt der Mensch
mehr an das Walten einer überirdischen Macht, als
wenn Freund Hein ihm urplötzlich entgegengetreten
ist. Wie dieses sensenschwingende Gerippe ein jahr-
hundertealtes unveränderliches Symbol geblieben ist,
so glaubt das Volk das Zeremoniell des Todes nicht
antasten zu können, zu dürfen. o
□ Pietät ist eine von jenen Gefühlswelten, die man
selbst mit den feinsten künstlerischen Absichten nicht
herausreißen sollte aus den Herzen der Menge. Die
Pietät mag sich manchmal in der Wahl des Ausdrucks
vergreifen, mag sich für unsere Begriffe etwas kitschig
äußern; sofern sie echt ist, wirkt sie immer rührend,
wie ein schlichtes Stück Natur. Pietät, die sich an

einem Grabmal äußert, ist die Spur der Liebe, die
ein Dahingeschiedener in irgendeinem Herzen hinter-
lassen hat, ist das äußerliche Zeichen, daß einer in
der Erinnerung geblieben und weiterlebt. Also eine
Sache des Herzens, die nicht mit Notwendigkeit auch
eine Sache der Kunst zu sein braucht. Man gehe
auf irgendeinen Proletarierfriedhof, wo eine trauernde
Hand ein bescheidenes Kindergräbchen sorgsam pflegt,
mühsam in Ordnung hält und vielleicht mit ein paar
billigen Feldblumen bestreut, und man denke gleich-
zeitig an eines der großen Marmormale, das von einem
berühmten Künstler gemeißelt und von einem renom-
mierten Gärtner gegen ein schweres Jahrgeld unter-
halten wird. Haben wir das Recht, mit der ätzenden
Lauge einer ästhetischen Kritik in das Gemütsleben
der Anderen hineinzutapsen? o
a Der Friedhof ist eine Einrichtung der Allgemeinheit
für die Allgemeinheit. Der Einzelne genießt den
Vorteil der Organisation und — so sehr man seine
Gefühle gerade hier schonen möchte — muß man
doch fordern, daß er auch im Tode
gute Nachbarschaft zu halten ver-
sucht. Das Soziale an dieser sozialen
Institution müßte ihn oder seine An-
gehörigen zwingen, das zu tun, was
er bei Lebzeiten Tag um Tag getan:
sich einordnen in das Ganze. Es
ist heute keiner so hoch gestellt,
daß er sich nicht in der Mehrzahl
seiner Handlungen unterwerfen müßte
sozialen Gesetzlichkeiten. In der
Bahn, auf der Straße, im Wohnhaus,
vor Gericht und beim Vergnügen,
überall ist der individuelle Spiel-
raum begrenzt, und wer ihn über-
schreitet, gilt als Störenfried. Warum
sollte man den Menschen, der mit
schlechter, protziger Plastik auf
dem Todesacker ein aufdringliches
Geschrei anhebt, nicht auch einen
Störenfried heißen? Ein Grabmal,
das eine so ernste Stätte wie einen
Friedhof verschandelt, bedeutet ein
Attentat auf die Gesellschaft, auf
einen Ort, der doch als Ganzes ehr-
würdig zu behandeln wäre. n
□ Immerhin erhebt sich die Frage,
ob unsere heutigen Friedhöfe über-
haupt noch verschandelt werden kön-
nen. Sehen sie nicht so schlimm
aus, daß es auf eine Barbarei mehr
oder weniger gar nicht ankommt?
Gewiß, in allen Städten gibt es ein-
zelne Grabmale, die, von bewährter
Hand geformt, ästhetisches Behagen
spenden. Sie geben sehr hübsche
Vorbilder ab und sie sind zum Teil
auch von kundiger Hand gesammelt
worden; allein was wollen sie inner-
halb der Masse des ganz Schlech-
ten bedeuten und was besagen ein
 
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