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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Septemberheft
DOI Artikel:
Singer, Hans Wolfgang: Neue Graphik: Paul Vahrenhorst und Carl Strauß
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0018

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Paul Vahrenhorst: Aus dem Hafen in Genua

das Gebotene glei.chsam aus der Vogelperspektive
schauen. Gewiß ist das, weil er dadurch ein gleich-
mäßig bedecktes Gesichtsfeld erhält, da nun der hohe
Himmel fehlt. Er hat dann eben nicht den schroffen
Gegensatz zwischen der dunklen Hrde und dem hellen
Himmel künstlerisch zu verarbeiten.

Schroffe Gegensätze liebt er überhaupt nicht. Selbst
die sammetne Tiefe des Grates verwertet er nur gele-
gentlich in solchen Platten, wie „Blick vom Ponte!(
Garibaldi in Rom“ (unsere Wiedergabe wird den besten
Drucken dieser Radierung nicht ganz gerecht) und
„Reval“. Meist begniigt er sich damit, mittels der Barbe
nur kleine Akzente in die Platte zu bringen, z. B. in der
„Straße am Quai in Neapel“ oder „Mittelmeerhafen“ oder
„Alte Häuser in 'I'ölz“. Sie beleben das Bild nicht un-
ähnlich den klernen Pinseldrückern, mit denen
Guardi eine venezianische Volksscene rythmisiert.
Spriihend belebt sind iiberhaupt, trotz des allgemeinen,
gleichförmig lichtgrauen Tons, alle die Radierungen
Vahrenhorsts. In detn Blick auf den „Konstantinbogen
in Rom“ von oben. zittert das grelle Sonnenlicht mit den
fast aufgehobenen Schatten iiberall, so daß wir beim
Anschauen fast blinzeln möchten. An der „Quaistraße,
Neapel“ rühren sicli die alten soliden, stämmigen Bau-
ten, als wollten sie einen Tanz wagen. Noch stärker
tritt das im „Arbeiterpalais“ hervor, in deni ein wacke-
liger Schritt in das alte Gemäuer kommt, und wir das
Gefiihl haben, wir miissen es mit unserem Blick zu-
sammenhalten, sonst kippt es um. Und gar erst „Reval,

Blick auf die Sadt“ scheint in einer Art Wirbel erfaßt
zu sein, der Stein und Mauer ihre Glaubwiirdigkeit be-
läßt, sie aber doch mit einern Willen zum Reigentanz
begabt. Es ist merkwiirdig, wie alles ganz richtig steht
und doch den Anschein einer inneren Beweglichkeit
erweckt. ln Dresden wird in Korngolds „Tote Stadt“
das Bild des alten Briigge aur den Fortuny Hintergrund
mit Scheinwerfer geworfen, und im Strudel des zwei-
ten Aktes fängt mit der ausgelassenen Gesellschaft die
ganze Stadt an hin und her zu tanzen. Daran wird rnan
bei diesen Blättern von Vahrenhorst erinnert.

Vahrenhorst hat einen großen Erfolg mit seiner
Kunst gehabt: er wird sich wohl bewußt sein, daß die
Ausnutzung des Erfolgs schwerwiegende Gefahren mit
sich bringt. Eine gewisse Art von Kritikern wird von
Blatt zu Blatt gleiten und sie abtun mit der geistreichen
Bemerkung „ immer dasselbe“. Es sind die braven
Jünglinge, die immer nach „neuen“, zum mindesten
„umwälzenden Anschauungsproblemen“ fahnden, und
die auf Stilreinheit mitleidlos herabblicken. Ihnen ist
nun einmal nicht beizubringen, daß Kunst vom Können
kommt: ihr Wulst kommt vom Wollen. Das reizende
Wort „stammt“ übrigens von Liebermann aus einem
Brief an einen Dresdener Gelehrten: In „Kunst und
Künstler“ stand es neulich, ohne Angabe der Quelle.

Zum Trost für die unsrigen, verweise ich auf
Vahrenhorsts „Kanal in Venedig“. Da finden sie eine
völlig neue Formenauffasung, eine ganz andere Tech-
nik, ein durchaus abweichendes Gebilde; — und ein
ebenso treffliches, wie jenes ist, das uns in den oben ge-
nannten Blättern entgegentritt. Wir stehen nicht vor
einem Meister, der nur über ein Rezept verfügt. Und
wenn schon, — Millet, Manet, Helleu, Zorn verfügten je
auch nur über eins. Aber ich wiederhole, bei Valiren-
horst ist das nicht der Fall.

Es ist doch ein Jammer, daß manehes einfache
nicht zu bewerkstelligen ist auf dieser Erde. Was gäbe
ich drum, wenn ich Sokrates wieder lebendig machett
könnte um ihn an der Hand zu führen und sein Gesicht
|zu studieren, wenn ich an der Türe knipse und auf ein-

Paul Vahrenhorst: Blick auf Reval

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