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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Septemberheft
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Singer, Hans Wolfgang: Neue Graphik: Paul Vahrenhorst und Carl Strauß
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0019

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mal, vier Meter davon, drei Birnen aufglühen! Noch
lieber, allerdings, wäre es mir im Jahre 2022 selbst
wieder mit einigen Kollegen eine Auferstehung zu er-
leben, um deren Gesichter zu prüfen, wenn sie hören
oder lesen, was man von der Kunst des Jahres 1922
sagt, Jedenfalls wiirde es heißen: „aber es gab damals
auch Oasen“, — und unter den Oasen würde Vahren-
horsts Graphik eingereiht werden.-

Carl Strauss nicht mehr aufnehmen zu können, be-
dauerte ich bereits 1914 in der Einleitung zu meiner
„Modernen Graphik“. Vielleicht noch weniger als
Vahrenhorst, lassen sich Beziehungen von ihm zu den
bekannten, — nun schon wieder verebbenden, — Zeit-
strömungen feststellen: weder als Künstler noch als
Mensch. Als Mensch ist er ein glühender, deutscher, —
halt! mein blondes Haar wird sich noch nicht gut im
Zuchthaus machen. Also will ich vorsichtig sein.
Hoffentlich gefährde ich die Republik nicht wenn ich
ihn einen, — Antipoincaretisten nenne! Strauss ist in
Boston zur Welt gekommen und der Ausbruch des
Krieges überraschte ihn wohl in Italien, von wo er sich
nach der Schweiz verzog. Er hat mit Konsulaten viele
Scherereien gehabt, namentlich, nachdem sie fest-
stellten, das einzig Amerikanische an ihm scheine zu
sein, daß er eben dortzulande geboren sei.

Vor kurzem schrieb er mir aus Zürich: „Ich frage
mich, was ich in diesem Nest während des heißen Som-
mers eigentlich anfangen soll, — denn es reizt mich
wenig. Wenn ich nur auf’s Land könnte! Denn die
Politik interessiert mich allzusehr und da kommt’s zu
leicht zum Zeitung lesen“. Die Politik hat auch seiner
Kunst keine Ruhe gelassen. Verschiedene, mit „vollem
und ganzen Herzen“ geschaffene Radierungen, in denen
er Wilson und der Entente ihre Schande vorhält, sind
entstanden. So das umfangreiche Blatt „Traum der
Pax“. Formal spukt Botticelli darin: man stößt auf
viele Inschriften, und es gibt auf kleinerer Platte in
säuberlicher Schrift radiert eine Erläuterung dazu. Die
Allegorie ist aber dermaßen mit rein Gedanklichem be-
schwert, daß keine Macht der Erde, nicht einmal die
„Potestazität“, — (hoffentlich übernimmt eine dankbare

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Paul Vahrenhorst: Straße am Ouai in Neapel

Paul Vahrenhorst: Alte Häuser in Tölz

Nachwelt diesen genialen Taufnamen an, für die nocli
zu entdeckende Kraft, gegen die unsere heutige Elek-
trizität ein niedliches Kinderspicl ist), — sie als Kunst-
werk überm Wasser zu halten im Stande wäre.

Strauss ist einer unserer besten Landschafter mit
der Nadel. Er pflegte einen Linienstil, der uns schon
zu einer Zeit, als wir nur den heut als zahm verpönten
Impressionismus kannten, „streng zeichnerisch“ vor-
kam. Wieviel herber er zur gegenwärtigen Zeit wirkt,
brauche ich nicht zu betonen. Wer sich in das feste
Gepräge einer solchen Zeichnung hineinsieht, wird von
mal zu mal größere Schönheiten in ihr entdecken. Die
Sterrerische Luftlosigkeit kommt daher, daß der Kiinst-
ler sein Auge auf die Klarheit des Südens oder der
dünnen Hochalpenluft eingestellt hat. Der große kiinst-
lerische Reiz beruht wohl darauf, daß er das leicht-
geschiirzte, flinke Mittel zu e.inem gemessenen, fast
feierlichen Schritt erzogen hat. Wohl ist die ungeheure
Beweglichkeit die Hauptstärke, zum mindesten die eine
große Stärke der Nadel. Aber Carl Strauss weiß rnit
ihr, ohne ihr einen lähmenden Zwang anzutun, eine gar-
nicht nervös unruhige, sondern bedächtig sirenge
Unterhaltung zu führen. Er ist der Rhetor, der seinen
Wortreichtum nicht einschränkt, ihn aber überiegt und
in gesetzter Form verwendet. AIs Folie für die Linie
bedient er sich oft eines Tons, der die Freiheit des
Sandpapiermezzotintos hat, aber durchsichtiger als
dieser ist, und vielleicht durch einfache Behandlung der
glatten Platte mit Sandpapier, — ohne Ätzung, — er-
zeugt wird.

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