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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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2. Dezemberheft
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Müller, A. W. F.: Erinnerungen an Lichtwark
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0200

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Bibliothekar am Berliner Kunstgewerbemuseum nach
Hamburg als Direktor der Kunsthalle berufen, sich
schnell in den Organismus des lnstituts einarbeitete,
sich in Kürze über den Bilder- und Kupferstichschatz
orientierte und gleich im Anfang, neben der gründlichen
Neuordnung der Galerie, in sich die Saaten für die kiinf-
tige Ausgestaltung und neue Pläne keimen und wachsen
ließ. So hatte er gleich bei der Ordnung der Bilder
Hamburgischer Meister die Idee einer planmäßigen
Ausgestaltung der Sammlung dadurch verraten, daß er
mich auf Liicken aufmerksam machte, die ein syste-
matisches Zusammcnfügen erschwerten. Diese Idee
verarbeitete er zunächst, und bis an sein Lebensende
blieb er bemüht, die Sammlung der Hambürger zu ver-
vollständigen. Daß Lichtwark seine Tätigkeit in Ham-
burg nicht ausschließlich in den Dienst der bildenden
Künste stellen wollte, erhellt daraus, daß er in seinem
ersten öffentlichen Vortrage: „Über die Kleidung“
sprach. Um weite Kreise fiir seine Ideen und für seine
künstlerischen Belehrungen auszubilden, scliuf er sich
gewissermaßen Vorschulen, in deren Dienst er eine
Lehrerschaft stellte. Ftir diese Lehrer eröffnete er einen
Kursus, in dem er angesichts der Bilder seine Lehr-
methode erläuterte. Der Weg zur verständigen Be-
trachtung mußte durch Frage und Antwort geebnet
werden. Hierdurch wurden dem Schüler die Augen ge-
öffnet. Mit seinem Sehen verbanden sicli Begriffe, die
in die richtige Foriti zu bringen, Aufgabe des Lehrers
war. Die Frucht dieses Unterrichtes reifte in der
Schrift: ,,Die Betrachtung von Kunstwerken“. Wenn
Lichtwark einen Boden bestellt, nachdem er ihn ge-
pfliigt und besäet liatte, überließ er das Wachstum
seiner Zeit im Vertrauen auf die weitere ersprießliche
Arbeit der belehrten Interessenten und wandte sich un-
verztiglich neuen Arbeiten zu. Aus Gesprächen, Wün-
schen und Vorschlägen von Freunden, Bekannten und
Galeriebesuchern schöpfte sein reger Geist neuen Be-
lehrungsstoff, wenn auch die Materie seitab von seinem
speziellen Arbeitsgebiet lag. Seinen energischen Ein-
griffen in die Bewegung der Amateurphotographen ist
cs allein zu danken, daß die von Herrn Ernst Juhl ge-
gebenen Anregungen mit vollem Erfolg gekrönt wurden.
Noch erfüllt von den Eindrücken seiner beruflichen Tä-
tigkeit im Kunstgewerbemuseum in Berlin plaidierte er
kurz nach seinem Amtsantritt in Hamburg mit seinem
Programm über die innere Ausstattung des Kathauses
fiir die Heranziehung hamburgischer Kunstgewerbler
und Handwerker. Eür Gartenbaupflege und Architek-
tur zeigte Lichtwark besonderes Interesse. Die Korre-
spondenz mit seinem Freunde Liebermann iiber die An-
lage des Gartens in Wannsee bekundet ein tiefes sacli-
liches Verständnis für diese Kunst. In Schriften und
Vorträgen lehrte er seine Hörer über Städtebau und
deutsche Königsstädte. Die Briefe an die Kommission
für die Verwaltung der Kunsthalle beschäftigen sich ein-
gchend mit Architektur und werfen schwere Schatten

auf seine Wertschätzung der hieSigen Bauherren, deren
schmücküberladene Fassaden und unpraktischen Raum-
einteilungen keineswegs seinem Geschmack entspra-
chen. Er richtete schroff aber sachlich. Als ehemaliger
botanischer Lehrer wandte Lichtwark sein Interesse
aucli der Blumenkultur zu. Der Rat für Verwendung dcr
wildwachsenden Pflanzen für Zimmerschmuck wurde
zunächst von Bekannten mit Freuden befolgt und all-
mählich übertrug sich diese Freude in praktischer
Weise auf die Blumenhändler auf den Straßen. Erst
allmählich verstanden sich die größeren Blumenhändler
dazu, narnentlich nachdem Lichtwark auch praktische
Blumengefäße auf dcn Markt brachte, die nach Zeich-
nungen aus dem Kreis seiner Kunstgemeinde angefer-
tigt wurden.

Die Vorträge Lichtwarks waren impromptu ge-
halten, die Ausarbeitung erfolgte erst, wenn sie publi-
ziert werden sollten nach dem Vortrage. Nur mit einer
kurzen Disposition versehen, betrat er das Podium. Ich
fragte einmal den Direktor, warum er seine Vorträge
nicht vorher ausarbeitete, da erwiderte er mir, daß das
Auswendiglernen ihn verwirre, und er sicher stecken
bleiben würde; durch die Dispositionen seien seine Ge-
dankeu wohl in der Richtung abcr nicht im Ausdruck
beschränkt. Seine Vorträge waren nur geistreiche
Plaudereien, keine Aufbauten gelehrter, gedanklich
wohlerwogener Sentenzen, waren Allen verständlich
dureh die einfache zwanglose Bekleidung der Ideen.
Während in der ersten Zeit die Gedanken nicht so
schnell den Worten den Weg weisen konnten, ver-
mochte er später fließend in gut gebauten Sätzen zu
sprechen. Im Gegensatz zu seinen Vorträgen waren
seine amtlichen Mitteilungen und für die Behörden be-
stimmten Programme lapidar gefaßt, die Kernpunkte
klar und deutlich hervorgehoben, das Wesentliche sach-
lich begründet, aus innerster Überzeugung dargelegt,
so daß rnanche Schrift dieser Art den Charakter einer
apodiktischen Forderung trug, deren ebenso sachliche
Beantwortung, oder gar Widerlegung dem Adressaten
schwer fallen mußte.

In der von Lichtwark gleich nach seinem Amts-
antritt gegrtindeten Gesellschaft von Kunstfreunden,
liat er es verstanden, dem Dilettantismus die rechten
Wege zu zeigen, ilni der Allgemeinheit insofern dienst-
bar zu maclien, als er ihm Aufgaben stellte, die irn Han-
del ihre Nutzanwendung finden konnten, wie z. B. bei
der Anfertigung von Blumengefäßen, beim Bücher-
schmuck durch Randverzierungen. Man ersieht wolii
aus diesen Mitteilungen die Vielseitigkeit der Interessen
Lichtwarks, sowie seine vielseitige Betätigung, auf
allen mit der Kunst iu irgend einer Beziehung stehenden
Gebieten. Auf allen vön ihm betretenden Wegen hat
er Gründlichps' geleistet, und noch viele Saaten gesäet,
die erst nach seinem Tode reiferi werden.

Er war ein Mann des Wollens und des Könnens, des
Wägens und des Vollbringens.


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