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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Februarheft
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Amersdorffer, Alexander: Aus Carl Blechens letzten Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0285

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gegen dieselbe zu Felde gezogen, so muß zwar die
Wiederherstellung schwierig und langwierig sein,
indeß ist die Hoffnung auf Genesung aus diesem un-
glücklichen Zustand für unseren Professor noch
keineswegs aufzugeben.

Mit der ausgezeichneten Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren
ganz crgebenster Diener
B e r 1 i n , den 26. Aug. 1837. Dr. Horn.“

Der Bericht, aus dem nach Ton und lnlialt ein leb-
haftes Interesse Dr. Horns fiir seinen Patienten spricht,
läßt das Schauerliche, was Bettina über die Behandlung
des Kiinstlers in der Hcilanstalt erzählt, nach unglaub-
hafte'r erscheinen, als es an sich schon ist.

In seiner Schilderung des traurigen Verfalls eines
zu Großem berufenen Geistes hat dieses Dokument
etwas Ergreifendes; seine Wertung fiir die Beurteilung
der Krankheit, deren zerstörender Macht Geist und
Körper Blechens verfallen war, muß dem ärztlichen
Fachmann iiberlassen bleiben. Der Heidelberger Psy-
chiater Professor Dr. Karl Jaspers, dessen geistvolle
Untersuchung über die Geisteskrankheit Vincents van
Gogh auch in den Kreisen der Kunstfreunde bekannt ist,
hat auf meine Bitte Dr. Horns Bericht geprüft. Sein
Urteil geht dahin, daß das durch diesen Bericht gege-
bene Material fiir eine fachmännische Beurteilung der
Krankheit nicht ausreicht: „Eine Geisteskrankheit und
zwar ein sogenannter Krankheits p r o z e ß (im Gegen-
satz zu einer bloßen Veranlagung oder dauernden Kon-
stitution) ist sicher. Aber eine Diagnose wiirde ich nicht
wagen.“ Professor Jaspers hat darauf verwiesen, daß
die Briefe Blechens und das sonstige biographische
Material auf den ersten Beginn der Krankheit hin zu
prüfen, ferner die künstlerischen Arbeiten in der Reihen-
folge ihrer Entstehung auf Veränderungen hin zu stu-.

dieren sein würden, um weiteres Material, das positiv
gewertet werden könnte, zu gewinnen. Blechens
eigene Briefe geben aber auch nach dieser Richtung hin
kaum einen Anhalt, denn selbst die letzten, die uns er-
lialten sind und zu diesen gehören sicher die oben er-
wähnten, sind klar und zeigen keine Störungen in der
Schrift, die auf die beginnende geistige Umnachtung
schließen lassen könnten. Die Laien-Äußerungen über
seine Krankheit, die in Briefen Anderer enthalten sind,
diirften dem Fachmann aucli keinen Aufschluß geben.
Alle uns bekannten Werke Blechens schließlich, aucli
die aus den letzten Jahren, in denen er noch die akade-
mischen Ausstellungen beschickte, verraten niclits von
der beginnenden Geisteskrankheit. Weshalb uns aus
seiner schwersten Leidenszeit keine Bilder erhalten
sind, das erklärt uns der Bericht Dr. Horns: Der Kiinst-
ler pflegte das, was er damals noch mit seinern Pinsel
schuf, immer wieder zu vernichten. Und docli ist uns
eine kleine Arbeit als einziges künstlerisches Dokument
aus seinen letzten Jahren erhalten: eine Zeichnung,
die sich im Besitze der Nationalgalerie befindet und
durch eine Beischrift von Frau Blechens I land als
„seine letzte Zeichnung vom 7. März 1838“ bezeugt
ist. *) Wie eine letzte ferne Erinnerung an eine einst
geschaute sonnige Welt berührt uns diese in Sepia
hingetuschte Skizze: durchaus künstlerisch in der leich-
ten Improvisation und docli zurückgesunken in eine
primitive Kindlichkeit der Darstellung. In einer naiven
Schlichtheit verdämmert hier die Kunst des großen
Landschaftsmalers — ruhiger, versöhnender als Alfred
Rethels Meisterschaft in seinen letzten Zeiclmungen er-
lischt, in denen wirr kritzelnde, zerstörende Striche die
geistige Auflösung andeuten.

D Hier mit giitiger Erlaubnis des Verlags Bruno Cassirer,
Berlin, r.ach der Abbildung in G. J. Kern „Carl Bleclien, seiu
Leben und sein Werk“ wiedergegeben.

L..
J

?4S

Carl Blechen

Scinc letzte Zeichnung
 
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