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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Maiheft
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Schottmüller, Frida: Die Sammlung Silten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0437

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habt, ein kleines Museum zusammen zu bringen, obwohl
manches Stiick jeder öffentlichen Sammlung zum
Schmuck gereichen würde, und W. von Bodes Vorwort
zum Katalog das hohe Niveau der ganzen Sammlung
verbürgt. Aber sie ist doch — zum mindesten in ihren
Anfängen — wohl gleichsam zufällig zusammengekom-
men. Die Limousiner Emaillen dienen einer diskreten
Belebung der dunklen Täfelung im Herrenzimmer,
Gobelins und Gemälde sind in erster Linie auch ein
dekorativer Wandschmuck und das alte Silbergerät aus
Augsburg, Nürnberg und Danzig eignet sich trefflich
zum Schmuck einer festlichen Tafel. Geschmackvoll
und ohne Prätension fügen sich auch die kleinen und
größeren Bildwerke dem Gharakter geschmackvoller
und behaglicher Wohnräume an.

Ausländische Werke sind natürlich in der Minder-
zahl; nur die kleine Abteilung Keramik mit feinen
Stücken aus Deruta, Castell Durante und Urbino ist
ganz italienisch. Deutsche Kunst des 15. bis späten
17. Jahrhunderts überwiegt, und Stilzusammenhänge
verbinden die in Material und Technik so verschiedenen
Arbeiten zu einer geschlossenen Wirkung.

Am bedeutsamsten ist die Sammlung der 32 kleinen
Bildwerke in Buchs, jenenr harten Holz mit spiegelnd
glatter öberfläche und warmer, tiefbrauner Patina, das
bei intimer, nicht kleinlicher Formgestaltung den Reiz
der kostbareren Bronze haben kann. Das gilt in erster
Linie von der süddeutschen, so anmutigen Madonna
(Nr. 105), bei der die großzügige Draperie und die
weiche Durchbildung des nackten Kinderkörpers den
Einfluß des italienischen Barock (im besonderen Du-
quesnoys) erkennen läßt, ohne daß alle Tradition deut-
scher Gotik verioren gegangen wäre. Entschiedener
im Stil des 17. Jahrhunderts zwei andere Madonnen
(Nr. 85 u. 86) sowie die hl. Anna selbdritt (Nr. 82) und
S. Joseph mit dem Christusknaben und einem Engel-
putto (Nr. 81). Diese Gruppe fällt nicht nur durch ihre
Größe (37,4 cm), sondern mehr noch durch ihren pathe-
tischen Ausdruck und den pompösen Aufbau mit wallen-
den Draperien auf; dazu üppige Kinderkörper, die an
Rubens gemahnen, daß die hypothetische Zuweisung an
einen Niederländer kaum zweifelhaft erscheint. Auch
eine andere, nur wenig kleinere Gestalt, die trauernde
Maria von einer Kreuzigungsgruppe, mag diese Her-
kunft haben. Hier ist das reiclie Faltenwerk freilich
etwas anders behandelt; in wenige, stark kontrastie-
rende Formmotive zusammengeschlossen, betont es den
pathetischen Aufblick voll leidenschaftsvoller Trauer. —
Merkwürdig befangen mutet daneben die kleine Figur
eines hl. Joseph (?, Nr. 22) an, der trotzdem — seinem
Gegenstück, dem hl. Nikolaus von Bari (Nr. 23) zu-
liebe — in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert
worden ist. — Dazu kommen mehrere z. T. ausgezeich-
nete Aktdarstellungen vom leidenden Christus und eine
Adam und Evagruppe (Nr. 83), die zum Vergleich zu
einer derberen Verbildlichung desselben Themas in
Elfenbein (Nr. 17) auffordert. Buchsarbeiten in diescr

Zahl und Qualität dürften in einer anderen Privatsamm-
lung kaum wieder anzutreffen sein.

Eine Rarität bilden auch sechs Bernsteinskulpturen,
zumal sich unter ihnen primitive Arbeiten der Spätgotik
befinden, die in Pelkas Bernsteinbuch überhaupt nicht
erwähnt sind. Bei der Madonna auf der Mondsichel
(Nr. 108) spricht Gewandstil und weiche Modellierung
fiir eine Entstehung um 1450, während ihr Gegenstück
(Nr. 110) trotz des gotischen Bewegungsmotivs richtig
in den Anfang des 17. Jahrliunderts gesetzt ist. Ins
15. Jahrhundert gehört dagegen auch die kleine Figur
eines jugendlichen Mannes (Apostel ?, Nr. 109), eine
derbe, nicht uncharakteristische Gestalt in befangener
Bewegung. Bemerkenswert ist, daß so frühe Bern-
steinarbeiten auch im Museo Nazionale zu Florenz zu
finden sind und die Reliefs am Sockel der ältesten
Madonnenstatuette der Silten-Sammlung entschieden
italienischen Charakter haben — freilich nur diese —
während das goldbraune, eigenartige Material viel eher
an eine Entstehung nahe der Ostseeküste denken läßt.
— Als Kuriosum mag hier noch die ganz kleine Figur
eines liegenden Ritters in voller Rüstung — die Nach-
bildung eines altertiimlichen Grabsteins — (Nr. 112)
Erwähnung finden.

Unter den Wachsarbeiten ist die Büste eines
Kindes (Nr. 115) liervorzuheben. Die kühne Bewe-
gung, die vollen Formen und die breitflächige Model-
lierung führten zu der Bezeiclmung „Italienisch
17. Jahrhundert“. Denn bei Duquesnoy, dem vlämisch-
italienischen Meister des barocken Putto ist die Ober-
flächenbehandlung flüßiger und sehr viel raffinierter im
Detail und seine nordischen und südlichen Nachahmer
versuchen es, ihm darin gleich zu kommen und verzich-
ten gleich ihm niemals auf leicht posierende Anmut.
Hier dagegen sind die Formen merkwürdig breitflächig
gegeben, und in den derben Zügen und der kecken Be-
wegung fehlt ganz jene theaterhafte Hiibschheit zu
gunsten einer durchaus kindhaften Natürlichkeit. Mir
scheint hier eine unmittelbare Naturstudie vorzuliegen,
die vielleicht doch eher dem deutschen Barock ange-
hört. Nur die Art des rundlich geöffneten kleinen
Mundes ist Fiamingo und den Italienern abgesehen.

Ebenso selten wie vollplastische Arbeiten in Wachs
und Bildnerqien in Bernstein sind solche in Nashorn
heute anzutreffen. Neben der eigenartigen Wirkung
des halbdurchsichtigen, grauen Werkstoffs machte der
Glaube, daß im Horne des Rhinozeros wirksame Kräfte
gegen allerlei Gifte verborgen wären, Gefäße dieser
Art beliebt. Aus den Kunst- und Wunderkammern der
Barockzeit gelangen etliche solche Stücke ins Wiener
Hofmuseum, ins Grüne Gewölbe zu Dresden und das
Berliner Schloß-Museum. Silten besitzt einen reliefier-
ten Becher, auf dessen Cuppa — dem fremdländischen
Material gemäß — indianenhaft aufgeputzte Knaben
verbildlicht sind (Nr. 17). Aucli an den größeren
Werken dieser Gattung im Berliner Schloß-Museum
sind exotische Menschen und Tiere zu sehen.

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