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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

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1. Maiheft
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Schottmüller, Frida: Die Sammlung Silten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0438

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Unter 13 Elfenbeinwerken befindet sich die drama-
tische, vielmehr theaterhaft pathetische Schilderung
eines Bethlemitischen Kindermords (Nr. 21), die schon
Scherer, der beste Kenner dieses Sondergebiets keinem
geringeren als Ignaz Elhafen zugeschriebcn hat. Noch
bedeutsamer ist Algardis Beweinung Christi, eine
Gruppe von drei Freifiguren und einer Wolke mit kla-
genden Engelkindern in Relief vor einer Hölüe aus
dunklem Nußholz (Nr. 20). Nur das hohe Kreuz ist
modern; nach der Beschaffenheit der Bodenfläche muß
indessen hier ein solches oder vielleicht noch eher eine
vierte Figur dicht neben der trauernden Maria gewesen
sein. Posse hat bereits vor Jahren auf dies einzigartige,

Leinberger, Heilige

Mit Genehmigung der C. Grote’schen Verlagsbuchandlung, Berlin

ja in seiner relativen Yollständigkeit ganz einzigartige
Werk des italienischen Barock hingewiesen, das schon
bei seinem einstigen Besitzer, dem Principe Rospigliori
zu Rom den Namen des berühmten Berninikonkurrenten
getragen haben dürfte. Man weiß, daß Algardi viele
Elfenbeinwerke, besonders in jungen Jahren, geschaffen
hat, aber keine beglaubigte Schnitzerei in diesem Werk-
stoff ist von ihm erbalten. So muß sich die Zuweisung
aus Gründen der Stilkritik auf sene monumentalen Ar-
beiten berufen und die Statue der hl. Magdalena in S.
Silvestro al Quirinale zu Rom, mehr noch die Michaels-
gruppe im Museo Civco zu Bologna, die Muiioz im
Jahrbuch der römischen Akademie S. Luca 1912 ver-
öffentlichte, dürften dafür selir geeignet sein. Auch eine
gewisse Glätte und Zierlichkeit in der Oberflächenbe-
handlung und der gesamte Aufbau passen gut zur Fortn-
auffassung des Bolognesen.

Nicht ganz so einwandfrei erscheint die Zuweisung
der zwei Statuetten weinender Engel (Nr. 14/15) an
Duquesnoy. Gewiß sind sie dem bogenspannenden
Eros im Grünen Gewölbe zu Dresden verwandt, den
Scherer mit sehr viel Wahrscheinlichkeit Fiammingo
taufte; aber die Formgestaltung ist bei jenem sehr viel
raffinierter und zarter. Doch ist noch heute manche
Kinderdarstellung in öffentlichem und privatem Besitz
mit dem Namen des Puttomeisters geehrt, die keines-
wegs von besserer Qualität ist, als die „weinenden
Engel“.

Nicht ganz gesichert ist auch die Herkunft der
Paulus(?)-Statuette in Alabaster (Nr. 40). Swarzenski
hat den Kreuzigungsaltar im Liebighaus, zu dem die
Siltensche Figur mit andern in verschiedenen Samm-
lung zerstreuten stilistisch gehört, einem rheinisch-
italienischen Kunstkreis zugewiesen, während Volbach,
der auch a. a. O. auf andere wenig bekannte Alabaster-
werke des 15. Jahrhunderts hingewiesen hat, mit mehr
Wahrscheinlichkeit eine niederrheinische bezw. nieder-
ländische Herkunft vermutet.

Unter den größeren Bildwerken stehen im Katalog
drei florentinische Madonnenreliefs vornan; die zwei
in bemaltem Stuck (Nr. 28 u. 29) sind in mehreren Re-
pliken erhalten, während die etwas kleinere Arbeit in
unbemaltem Ton (Nr. 27) vorläufig als Uuikum gelten
kann. Sie gehört zu der Gruppe, die Bode mit Ghiberti
in Zusammenhang gebracht hat, und steht in Typus und
rundlich-weichem Faltenstil den älteren Werken dieses
Meisters entschieden nahe. — Die italienische Ton-
plastik ist schon seit längerem und eingehender studiert
worden, als die in Deutschland, und doch wäre gerade
eine zusammenfassende Untersuchung auch für ger-
manische Schöpfungen sicher sehr fruchtbringend. Viel-
leicht würde manche Stileigentümlichkeit, die man heute
auf den Einfluß des Schnitzmessers zurückführt, sich
ebensogut aus der Tonkneterei erklären lassen.

Ein Prachtstück durch Größe und wirkungsvollen
Aufbau ist die Madonnenstatue (Nr. 44), deren Gewand-
motiv der „schönen Madonna“ im Mainzer Dom und
Figuren in Kiedrich sehr ähnlicli ist, während der Um-
riß strenger und geschlossener, der Typus herber und
schlichter ist. So muß sie derselben Gegend entstam-
men, aber etwas älter sein, und ist als eins der überaus
seltenen Stticke der mittelrheinischen Tonplastik vom
Ende des 15. Jahrhunderts auch kunsthistorisch wichtig.

Aus gleichen Jahren (Volbach datiert mit 1460 n.
m. D. hier etwas zu früh) stammt der Kriegerkopf in
hellem, unbemaltem Ton (Nr. 34) der von dem Hoch-
relief einer Gefangennahme oder anderen Passions-
szene französischer Herkunft stammen soll. Sinnfällig
hier die romanische Eleganz gegenüber der bis zur Kar-
rikatur gesteigerten Charakteristik deutscher Interpre-
tationen von Schergen und Henkersknechten. Selbst
die deutschen Madonnen erscheinen neben ihm herb,
freilich ein Hauptstück der Sammlung, die ganzfigurige,
sitzende Madonna in Holz, aus der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts (Nr. 36), hat ohne den Formenreich-

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