Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 4./​5.1922/​23

DOI Heft:
1. Juniheft
DOI Artikel:
Martin, Wilhelm: Zur Rembrandtforschung: eine Entgegnung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0484

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
größten älteren Rembrandtforscher, Dr. C. Hofstede de
Groot, anerkannt wird, welcher in einer Broschüre „die
Holländische Kritik der jetzigen Rembrandt-Forschung
und neuest wiedergefundene Rembrandt-Bilder (Stutt-
gart und Berlin, Deutsche Verlagsanstalt 1922)“ Bre-
dius’ Entgegnungen und die Auffassungen des Unter-
zeichneten in scharfen Worten tadelt. Mit Bedauern
muß festgestellt werden, daß die gegen mich gerich-
teten Kapitel (W. Martin und die heutige Rembrandt-
forschung; W. Martin und die künftige Rembrandt-
forschung) den Eindruck erwecken niüssen, als würden
die ganzen bisherigen stilkritischen Untersuchungen
von rnir absolut als minderwertig verachtet und als
wäre mein Bestreben ein aus dctn Studierzimmer her-
aus konstruiertes theoretisches Wollert. Das Gegeir-
teil ist der Eall: betont wurde gerade, daß zwar Vieles
erreicht worderi ist, daß aber die Methodik vervoll-
komnrnet werden sollte und daß wir zu allererst die-
jenigen Rembrandts zu revidieren haben, deren Zu-
schreibung nicht absolut, sondern nur durch Tradition
feststeht. Und zweitens habe ich, als auf einen der zu-
erst zu beachtenden Umstände, auf den Atelierbetrieb
Rembrandts hingewiesen, und zwar nicht — wie Hof-
stedc de Groot meint — aus Studierzimmergründen,
sondern aus Motiven, welche im engsten Zusammen-
hange mit den Erfahrungen stehen, welche ich mir seit
22 jahren nicht nur irn Museum durch die dortigen
Rembrandts, sonderu auch durch Studienreisen bis
nach Amerika zu -Teil geworden sind. Auch wirkte
dasjenige nrit, was mir selber aus jahrelangem Umgang
mit lebenden Künstlern klarer geworden sein mag als
so manchem, der nur Bilder studiert und Bücher liest,
aber uie den Pinsel in die Hand genonunen, oder wenig-
stens geistig und materiell das Entstehen von Bildern
anderer mitgemacht hat.

Indem Dr. Hofstede de Groot also den Ausgangs-
punkt und das Bestreben meiner ganzen Ausführungen
bedauerlicherweise gänzlich falscli verstand, schuf er
durch die betreffenden Kapitel ein Mißverständnis, wel-
ches einfach nicht auszuwischen ist, es sei denn, daß
man ihn Punkt fiir Punkt widerlegt und damit ein sogar
für den Fachmann langweiliges Opus prodüziert ')•
Verständiger scheint mir, ruliig die Forschung selbst
weiter sich entwickeln zu lassen und da können wir mit
Genugtuung feststellen, daß seit Valentiner’s Publika-
tion und de Groot’s Broschüre sicli schön wieder
einiges Wichtige gebessert hat. Nicht nur hat Bredius
in einem Aufsatz iiber Böl’s Selbstbildnisse (Burlington
Magazine Febr. 1923) in überzeugender Weise von
neuem den sog. Rembrandt der Sammlung Evans in
Boston als F. Bol verfochten, sondern auch andere
Bilder sind „ent-Rembrandtet“ worden; eines davon
in origineller Weise, nämlich der „Neger“ in der Wal-
lace-Sammlung in London. Dieses Bild, welches man
schon längst uicht mehr au serieux nahm, aber vvelches
trotzdem von Valentiner g a r n i c h t e i n m a 1 m i t

') Mcine Stellimg zur Stilkritik der Holländischen ßilder im
Allgemeinen geht hervor aus: W. Martin, Altholl. Bilder, 2. Aufl..
Berlin, k. C. Schrnidt & C'o. 1921.

Vorbehalt erwähnt wird, ist inzwischen eine Etage
höher gehängt und als „ S c h u 1 e Rembrandts“ eti-
kettiert worden! Einen zweiten Rembrandt dort, das
männliche Bildnis (Valentiner Nr. 146, ebenfalls ohne
jcdeu Vorbehalt als echt verzeichnet) brachte man mir,
während eines Besuches im verflossenen Frühjahr,
ohne Glas freundlichst zur näheren Prüfung, weil er bei
der Direktion starke Zweifel hervorrief. Es war aller-
dings eine Fälschung und zwar von demselben einst-
weilen noch unbekannten Nachahmer, von dem mir
auch friiher schon flüssig und barock hingeworfene
Bilder vorgekomrnen sind.

Ähnliches ist seitdem mit einem Kasseler Rem-
brandt geschehen. Der dortige sog. Architekt2) ist
weder im großen Bode—de Groot—Sedelmeyer Werk
(Band V 1901 Nr. 383) nocli bei Valentiner (S. 385) mit
irgendwelchem Vorbehalt erwähnt. Nun hatte aber
schon Eisenmann im Kasseler Katalog von 1888 S. 150
die bereits damals existierenden Zweifel besprochen.
Und zuletzt hat noch Gronau im Kasseler Katalog 1913
(S. 53 Nr. 246) wörtlich gesagt; „Die Urheberschaft
Rembrandts wird von maßgebenden Kennern be-
stritten“. Von alledem verlautet aber auch in Valen-
tiners Supplementband (1921) noch kein Sterbenswort!

Man sieht, wie oberflächlich in solchen Fällen bei
der Zusammenstellung der Kompendia der Rembrandt-
forschungs-Ergebnisse gearbeitet wurde, was doch Va-
lentiner’s Bücher sein sollten. Und da soll man Unrecht
haben, wenn man um Revision der Einzelresultate bittet
und vorschlagt, in Sammelwerken von Rembrandt-
Abbildungen etwa eine Abteilung unanfechtbarer und
unangefochtengebliebener, und eine Abteilung strittiger
und niclit überprüfter Bilder zu schaffen, was doch das
Mindeste wäre was nötig ist, um uns klar zu werden
über den wahren Sachverhalt. Wer aber jetzt die
Rembrandt-Klassiker-Bände durchsieht, bekommt den
Eindruck, als wäre der Wallace-Neger und der Kasseler
Architekt genau so echt und unangefochten wie das
Haager Selbstbildnis, die Staalmeesters oder der Ber-
liner Anslo. Daß dies eine üngeeignete Art des Vor-
gehens sei, darein wird ein jeder zustimmen, der noch
zu objektivem Urteil im Stande ist.

Gerade im Hinblick auf das genannte Kasseler Bild
konnte ich an eigener Person erfahren, wie unrichtig
Valentiners Vorgehen ist, unangefochtene und bezwei-
felte Bilder sang- und klanglos durchejnander zu
mengen. Ich kannte die Existenz früherer Bedenken
gegen Rembrandt’s Urheberschaft bei diesem Stücke
niclit. Als ich es anläßlich eines Vortrags projektierte,
bekani icli unerwartet und zu meinem Schrecken deu
bestimmten Eindruck, daß mit dein Bilde etwas niclit
in Ordnung sei. Eine Reise nach Kassel wurde ange-
treten, Kollege Gronau stellte in liebenswürdigster
Weise das Bild in vortreffliches Liclit auf eine Staffelei,
und . . . es war wirklich kein Rembrandt! Und zwar
aus folgenden Gründen;

ä) Aucli Apostel Bartholomeus oder l'homas genannt (Val-
Suppl. S. 126, Anmerkung zu 386).

408
 
Annotationen