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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 16.1973

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Nr. 2
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Buchbesprechungen
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Classen, Carl Joachim: [Rezension von: Gerhard Binder, Aeneas und Augustus. Interpretationen zum 8. Buch der Aeneis, Beiträge zur klassischen Philologie 38]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33067#0062

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die Schüler unserer Zeit scheint es besonders fruchtbar und anregend, sich den politi-
schen Aspekten der Dichtung zuzuwenden - der Stellung Vergils zur Geschichte, zu
Rom, zu Italien, zu Augustus und dessen Politik — Themen, die in jüngster Zeit von
der Forschung stärker beachtet sind und denen auch die vorliegende Kölner Habili-
tationsschrift (1968) von G. Binder gilt.
Der Verfasser hat sich zum Ziel gesetzt, dem Leser zu zeigen, „wie Vergil die
Größe Roms und besonders der augusteischen Epoche im Gewand des traditionellen
Mythos sichtbar werden läßt“ (5). B. wählt für seine Untersuchung das 8. Buch, in
dem Vergil selbst den Gegenwartsbezug durch einzelne Szenen (etwa 359 ff.) und vor
allem durch die Schildbeschreibung hervorhebt. Doch versucht B. nicht, eine allegorische
Deutung zu geben, die für jeden Einzelzug des Mythos eine Entsprechung im Real-
geschehen der eigenen Zeit des Dichters aufzuzeigen hätte; vielmehr versteht er (im An-
schluß an Pöschl u. a.) die Aeneis - mit Recht - als symbolhafte Dichtung, die in sehr
verschiedener Art über die Welt des Mythos hinaus auf die Zeit des Dichters verweist.
Daher bemüht er sich, durch eine schrittweise Interpretation des ganzen Buches den
Symbolgehalt in der Darstellung der frühen Könige und Heroen zu ermitteln und im
Einzelnen „typologisch“ zu erfassen, um den Bezug zur eigenen Zeit, zur Persönlich-
keit des Augustus, zu dessen Politik und zu dessen „Ideologie“ (72 u. ö.) verständlich
zu machen.
Der Fülle der nützlichen Beobachtungen und förderlichen Ergebnisse, die B. bei
seinen Interpretationen an den jeweils ausführlich zitierten Texten gewinnt, kann eine
knappe Rezension nicht gerecht werden. Sie betreffen bald das sachliche oder sprach-
liche Verständnis eines einzelnen Verses (z. B. 22 Anm. 62 zu 46) oder dessen Funktion
im Zusammenhang, die Symbolkraft eines Namens (z. B. Tiber, Tiberinus) oder das
Verhältnis zu einem Vorbild (zu Ennius, selten zu Homer oder anderen griechischen
Dichtern), die Komposition des achten Buches (etwa 22 f.; 51; 71; 157, andere Belege
im Index), dessen Grundmotive B. mehrfach hervorhebt (16; 129, s. auch den Index),
die Verbindung zu anderen Büchern (z. B. 140; 207ff.: Auflösung von Widersprüchen)
oder auch die Komposition des Ganzen. Wie die Erklärung der Einzelheiten die Ge-
samtintention erhellt, wirft diese Licht auf die Einzelheiten und läßt sie besser ver-
ständlich werden (z. B. 142). Und um die Erhellung der alles prägenden Absicht des
Dichters ist B. besonders bemüht.
Den Zeitbezug verdeutlicht B. an der Schildbeschreibung (150-282 zu 626-728) und
anhand einzelner Ereignisse oder Gegebenheiten der eigenen Zeit (sogar an Bau-
werken: z. B. 124; 134 zu 355 ff.), an die der Dichter seine Leser zu erinnern weiß,
vor allem aber durch die typologische Interpretation der Großen der Vorzeit, die alle
- den Darstellungsmitteln einer symbolischen Dichtung entsprechend - durch Einzel-
züge miteinander verbunden, aufeinander bezogen und untereinander ähnlich erschei-
nen, vor allem aber zu Vorläufern des Augustus werden und auf das durch ihn ver-
körperte Idealbild hinweisen (47), mit ihm oft durch eine aitiologische Geschichte be-
sonders verknüpft.
Gelegentlich stößt man auf ein ungelöstes Problem (185-188 zu Manlius Capito-
linus und Camillus) oder eine Unklarheit, bisweilen wollen einem Einzelheiten der
Interpretation nicht einleuchten (Hinweise auf die Doppelherrschaft: 136; 176; 231;
der Hieb auf Caesar: 207 f.) oder mit römischen Vorstellungen (zur Apotheose: 144),
jedenfalls Vorstellungen der Zeit (zu Romulus: 159 ff.; 162 ff.) nicht vereinbar er-
scheinen. Besonders aber wirft der allgegenwärtige Bezug auf Augustus, dessen ideali-
siertes Bild oft in sehr allgemeinen Zügen vorausgesetzt wird, grundsätzliche sachliche
und aesthetische Probleme auf. Zunächst; wie weit gab es überhaupt „seiner Zeit ge-
läufige Vorstellungen von der virtus des Princeps“ (52)? Ferner: wie weit vermochten
die zeitgenössischen Leser, in deren Vorstellungswelt B. sich immer wieder ausdrücklich

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