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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 16.1973

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Nr. 3
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Seeck, Gustav Adolf: Die alten Griechen in der neuen Gesellschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.33067#0088

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und das Eigentümliche liegt gerade darin, daß man sich ihm mehrfach erneut
zuwandte, nachdem die bewußte Tradierung praktisch abgerissen war. Das
Griechische hängt also nicht an einer institutionalisierten Tradition und noch
weniger an zeitbedingten Institutionen und bildungspolitischen Strukturen. Zu
einer Gleichsetzung von Gegenstand und Institutionen kam es im 19. Jahrhun-
dert, als W. v. Humboldt das Griechische ins Zentrum einer bildungstheoreti-
schen Konzeption stellte, die in der Form des humanistischen Gymnasiums in die
Praxis umgesetzt wurde. Die bildungspolitische Identifikation mit einer be-
stimmten Institution, die damit vollzogen wurde, erschien kritischen Griechen-
freunden in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bereits als höchst bedenklich;
von Nietzsche etwa ließe sich manch bissige Bemerkung dazu zitieren. In der
heutigen Diskussion um Bildungssysteme und Schulformen spielt diese Gleich-
setzung eine irreführende Rolle; denn sie erweckt den Eindruck, daß die Argu-
mente für die Beibehaltung des Griechischen dieselben sein müßten, die man
zur Verteidigung des humanistischen Gymnasiums vorgebracht hat. Das Grie-
chische ist jedoch nicht an eine bestimmte Schulform gebunden, und es muß des-
wegen auch unabhängig davon begründet und für die bildungspolitische Dis-
kussion definiert werden.
2. Der heutige Bildungspolitiker kann ein Fach nicht ungeprüft akzeptie-
ren, sondern fragt nach seiner Unentbehrlichkeit und Verwendbarkeit im
Rahmen eines umfassenden Bildungssystems. Da das Griechische als Exponent
einer Bildungskonzeption gilt, die die einen grundsätzlich überwinden, die an-
deren den veränderten Verhältnissen anpassen wollen, ist es in Konfrontation
zu den Reformbemühungen geraten, und in der Auseinandersetzung zwischen alt
und neu scheint es die Sache einer heute allseits angezweifelten Bildungstheorie
zu vertreten. Wenn das Griechische an der bildungspolitischen Diskussion teil-
nehmen will, muß es sich auf den Boden dieser Auseinandersetzung begeben
und darf nicht aus einer grundsätzlichen Opposition heraus argumentieren.
Ebensowenig wie es mit einer bestimmten Schulform identifiziert werden darf,
ist es mit irgendeiner Bildungskonzeption gleichzusetzen. Es muß heute von
vornherein drei Bedingungen akzeptieren, die für alle denkbaren Fächer und
Lehrinhalte gelten: Es muß sich selbst daraufhin prüfen, was es im Rahmen eines
allgemeinen Bildungssystems realistischerweise leisten kann.
Es muß zeigen, daß dies Bildungssystem ohne das Griechische seinen eigenen
Intentionen nicht gerecht werden könnte.
Es muß angeben, wo der Platz im Rahmen dieses Bildungssystems ist, der der
Funktion des Griechischen entspricht.
3. Die Gründe, die Humboldt seinerzeit veranlaßten, dem Griechischen eine
zentrale Stelle zu geben, waren nicht dieselben, die dann im Kampf um Schul-
formen und Bildungssysteme von den Verteidigern des Griechischen vorgebracht
wur-den. Erst mit der Gleichsetzung von Gegenstand und Institution kristalli-
sierten sich drei Argumente heraus, die seitdem ständig zugunsten des Grie-
chischen angeführt werden.
Es gibt geistige und künstlerische Schöpfungen von absolutem, überzeitlichem
,Wert‘. Sie rechtfertigen die rückschauende Betrachtung, weil sie den Maßstab

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