Probleme und Perspektiven der Patrozinienforschung
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zweite Person). Gleichwohl ist Angenendts theologisches Grund anliegen
durchaus berechtigt. Seine Kritik ließe sich dahingehend modifizieren, dass
die Patrozinienwechsel die äußere Akzentsetzung und die damit einherge-
henden administrativ-rechtlichen und politisch-religiösen Vorstellungen,
nicht aber die sakramentale Heilsökonomie betreffen.
2. E s ist durchaus schon im 9. Jahrhundert zwischen ganzen Kirchengeb äuden,
einzelnen Kirchenräumen, Kapellen, Oratorien und Altären zu unterschei-
den: In manchen Orten waren die transferierten Heiligen Patrone ihrer
Krypta und oft der Laiengemeinde, Petrus hingegen Patron des Chores und
der Klerikerkongregation (congregatio s. Petri) - ein Patrozinium, das sonst
meist der Gottesmutter Maria zukam.
3. Vor diesem Hintergrund ist sehr wohl zwischen Reliquien und Weihetiteln
zu differenzieren: Der transferierte Heilige nahm unter Umständen nur
einen Teil der Kirche in Besitz, das heißt unter seinen besonderen Schutz,54
und Entsprechendes galt auch für die translozierten Altarreliquien. Vielfach
stimmten Reliquie und Altartitulus nicht einmal überein.55 Diese Diskrepanz
zeigte sich noch deutlicher nach der massenhaften Reliquienteilung ab dem
12. Jahrhundert: Der oder die Heilige verlor an eigenständiger Symbolkraft.
Es ging mehr und mehr um jurisdiktionell-kanonistische, mitunter (proto-)
scholastisch reflektierte Gültigkeit der Weihehandlung an sich - ein Aspekt,
der hier jedoch nur angedeutet werden kann.
Patrozinienforschung bildet somit nicht nur quantitativ, mit Blick auf die
noch nicht behandelten oder erneut zu bearbeitenden Fälle, ein Desiderat. Auch
qualitativ sind neue Erkenntnisse zu erzielen. Haupt- und Nebenpatrone waren
keineswegs statisch, scheinbar unveränderlich und selbstverständlich, wie es bei
oberflächlicher Betrachtung und in der gegenwartsbezogenen Rückschau zu-
nächst anmuten mag.56 Zu eruieren ist daher die Dynamik von Akzentsetzun-
gen, Änderungen und Anpassungen der einschlägigen Patrozinien - als Ne-
beneffekt, Ausdruck oder maßgeblicher Motor zentraler Entwicklungen im
Spannungsfeld von Regnum und Sacerdotium des Sachsens der Salierzeit.
54 Zur Schutzfunktion des Patrons gegenüber bestimmten heiligen Orten s. Angenendt, Heilige,
S. 125-128, gegenüber Personen S. 190-193; zur Sakralität des Kirchengebäudes von der Spät-
antike bis ins Frühmittelalter s. auch Czock, Gottes Haus.
55 Vgl. etwa den Befund zur Gandersheimer Altarweihe von 1007 bei Popp, Der Schatz der Kano-
nissen, S. 67-92, zusammenfassend S. 91 f.
56 In der älteren Forschung werden auch einige bereits bekannte Patrozinien oftmals nicht oder nur
beiläufig genannt, da sie sich nicht in das gewünschte, ansonsten schlüssig erscheinende Nar-
rativ einfügen lassen. Vgl. zu diesem Grundproblem geschichtswissenschaftlicher Forschung
Rexroth, Meistererzählungen.
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zweite Person). Gleichwohl ist Angenendts theologisches Grund anliegen
durchaus berechtigt. Seine Kritik ließe sich dahingehend modifizieren, dass
die Patrozinienwechsel die äußere Akzentsetzung und die damit einherge-
henden administrativ-rechtlichen und politisch-religiösen Vorstellungen,
nicht aber die sakramentale Heilsökonomie betreffen.
2. E s ist durchaus schon im 9. Jahrhundert zwischen ganzen Kirchengeb äuden,
einzelnen Kirchenräumen, Kapellen, Oratorien und Altären zu unterschei-
den: In manchen Orten waren die transferierten Heiligen Patrone ihrer
Krypta und oft der Laiengemeinde, Petrus hingegen Patron des Chores und
der Klerikerkongregation (congregatio s. Petri) - ein Patrozinium, das sonst
meist der Gottesmutter Maria zukam.
3. Vor diesem Hintergrund ist sehr wohl zwischen Reliquien und Weihetiteln
zu differenzieren: Der transferierte Heilige nahm unter Umständen nur
einen Teil der Kirche in Besitz, das heißt unter seinen besonderen Schutz,54
und Entsprechendes galt auch für die translozierten Altarreliquien. Vielfach
stimmten Reliquie und Altartitulus nicht einmal überein.55 Diese Diskrepanz
zeigte sich noch deutlicher nach der massenhaften Reliquienteilung ab dem
12. Jahrhundert: Der oder die Heilige verlor an eigenständiger Symbolkraft.
Es ging mehr und mehr um jurisdiktionell-kanonistische, mitunter (proto-)
scholastisch reflektierte Gültigkeit der Weihehandlung an sich - ein Aspekt,
der hier jedoch nur angedeutet werden kann.
Patrozinienforschung bildet somit nicht nur quantitativ, mit Blick auf die
noch nicht behandelten oder erneut zu bearbeitenden Fälle, ein Desiderat. Auch
qualitativ sind neue Erkenntnisse zu erzielen. Haupt- und Nebenpatrone waren
keineswegs statisch, scheinbar unveränderlich und selbstverständlich, wie es bei
oberflächlicher Betrachtung und in der gegenwartsbezogenen Rückschau zu-
nächst anmuten mag.56 Zu eruieren ist daher die Dynamik von Akzentsetzun-
gen, Änderungen und Anpassungen der einschlägigen Patrozinien - als Ne-
beneffekt, Ausdruck oder maßgeblicher Motor zentraler Entwicklungen im
Spannungsfeld von Regnum und Sacerdotium des Sachsens der Salierzeit.
54 Zur Schutzfunktion des Patrons gegenüber bestimmten heiligen Orten s. Angenendt, Heilige,
S. 125-128, gegenüber Personen S. 190-193; zur Sakralität des Kirchengebäudes von der Spät-
antike bis ins Frühmittelalter s. auch Czock, Gottes Haus.
55 Vgl. etwa den Befund zur Gandersheimer Altarweihe von 1007 bei Popp, Der Schatz der Kano-
nissen, S. 67-92, zusammenfassend S. 91 f.
56 In der älteren Forschung werden auch einige bereits bekannte Patrozinien oftmals nicht oder nur
beiläufig genannt, da sie sich nicht in das gewünschte, ansonsten schlüssig erscheinende Nar-
rativ einfügen lassen. Vgl. zu diesem Grundproblem geschichtswissenschaftlicher Forschung
Rexroth, Meistererzählungen.