42
I. Petrus. Ein Corpus, zwei Körper, viele Korporationen
telfürsten zurück.142 Petrus Damiani sah darin keine Trübung der römischen
Tradition, sondern im Gegenteil die Kulmination des petrinischen Bischofsamtes
im Papsttum.143 In ähnlicher Weise müssen in den Augen der päpstlich ausge-
richteten Reformkräfte Roms die übrigen Petrus-Patrozinien betrachtet worden
sein - gerade auch in Sachsen, dessen enge Bindung an Rom noch auf der Höhe
des Investiturstreits von Paschalis II. hervorgehoben wurde.144 Von grundle-
gender Bedeutung war hier aber die Frage, welche Petrus-Reliquien nach Sach-
sen transferiert worden waren und welche weiterhin erworben werden konnten.
Die Frage von Provenienz und Translationsweg stellt sich bis heute, ist in diesem
Zusammenhang aber insbesondere dem kirchen- und kulturgeschichtlich aus-
schlaggebenden hochmittelalterlichen Verständnis nach zu erörtern.
2. Corpus - Capita - Catenae. Petrinische Primärreliquien
und biblischer Bericht
In der mittelalterlichen Heiligenverehrung spielen Reliquien eine entscheidende
Rolle.145 Nachdem im frühen Christentum zunächst allein das Grab der verehr-
ten Person bedacht worden war, wurden die Heiligen im Frühmittelalter durch
Translationen ganzer Corpora und einzelner Reliquienpartikel mobil - eine be-
deutende Grundlage kultischer und kultureller Kommunikation, insbesondere
für das sich nach karolingischer Okkupation und Mission in vielfacher Hinsicht
neu formierende Sachsen.146 Der Apostelfürst Petrus nimmt hier eine Sonderrolle
ein, die allein dem Völkerapostel Paulus vergleichbar ist, mit dem er nach rö-
mischer Tradition oftmals im Verbund in Erscheinung tritt: Zwar sind seine
Gebeine im Unterschied zum gen Himmel gefahrenen Heiland und seiner mit
Leib und Seele auf genommenen Mutter Maria auf Erden geblieben.147 Sein Grab
wurde aber bereits in konstantinischer Zeit eingemauert und blieb seither nur
durch Röhren für Berührungsreliquien zugänglich - ähnlich wie das des Paulus,
142 Maccarrone, Die Cathedra Sancti Petri [II], S. 144 mit Anm. 158.
143 Ebd.
144 Vgl. oben Anm. 127.
145 Vgl. Geary, Furta Sacra; Angenendt, Heilige und Reliquien; Röckelein, Reliquientranslationen
nach Sachsen.
146 Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen, S. 38-43. Zum hier dargelegten Kommunika-
tionsbegriff s. auch Steckel, Kulturen des Lehrens, S. 37 mit Anm. 33; vgl. oben Anm. 16.
147 Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel ist zwar erst 1950 durch Papst Pius XII. offiziell
zum Dogma erhoben worden, galt aber bereits in der Spätantike als unausgesprochener
Grundsatz, demzufolge mit Ausnahme einzelner Körperprodukte wie Milch und Haare keine
Primärreliquien Mariens überliefert worden sind. Die orthodoxe Kirche, für die lex credendiund
lex orandi in der Liturgie zusammenfließen, so dass sie zum Ort unmittelbarer Offenbarung
wird, kennt anstelle einer „Himmelfahrt" oder „Aufnahme in den Himmel" die „Entschlafung"
der „Gottesgebärerin". Liturgisch und damit zugleich dogmatisch verbindlich wird besungen,
wie sie emporgehoben worden ist - ein Wunder, das der jungfräulichen Geburt ihres Sohnes und
Erlösers gleiche. S. dazu etwa Hotz, Gebete aus der orthodoxen Kirche, S. 76.
I. Petrus. Ein Corpus, zwei Körper, viele Korporationen
telfürsten zurück.142 Petrus Damiani sah darin keine Trübung der römischen
Tradition, sondern im Gegenteil die Kulmination des petrinischen Bischofsamtes
im Papsttum.143 In ähnlicher Weise müssen in den Augen der päpstlich ausge-
richteten Reformkräfte Roms die übrigen Petrus-Patrozinien betrachtet worden
sein - gerade auch in Sachsen, dessen enge Bindung an Rom noch auf der Höhe
des Investiturstreits von Paschalis II. hervorgehoben wurde.144 Von grundle-
gender Bedeutung war hier aber die Frage, welche Petrus-Reliquien nach Sach-
sen transferiert worden waren und welche weiterhin erworben werden konnten.
Die Frage von Provenienz und Translationsweg stellt sich bis heute, ist in diesem
Zusammenhang aber insbesondere dem kirchen- und kulturgeschichtlich aus-
schlaggebenden hochmittelalterlichen Verständnis nach zu erörtern.
2. Corpus - Capita - Catenae. Petrinische Primärreliquien
und biblischer Bericht
In der mittelalterlichen Heiligenverehrung spielen Reliquien eine entscheidende
Rolle.145 Nachdem im frühen Christentum zunächst allein das Grab der verehr-
ten Person bedacht worden war, wurden die Heiligen im Frühmittelalter durch
Translationen ganzer Corpora und einzelner Reliquienpartikel mobil - eine be-
deutende Grundlage kultischer und kultureller Kommunikation, insbesondere
für das sich nach karolingischer Okkupation und Mission in vielfacher Hinsicht
neu formierende Sachsen.146 Der Apostelfürst Petrus nimmt hier eine Sonderrolle
ein, die allein dem Völkerapostel Paulus vergleichbar ist, mit dem er nach rö-
mischer Tradition oftmals im Verbund in Erscheinung tritt: Zwar sind seine
Gebeine im Unterschied zum gen Himmel gefahrenen Heiland und seiner mit
Leib und Seele auf genommenen Mutter Maria auf Erden geblieben.147 Sein Grab
wurde aber bereits in konstantinischer Zeit eingemauert und blieb seither nur
durch Röhren für Berührungsreliquien zugänglich - ähnlich wie das des Paulus,
142 Maccarrone, Die Cathedra Sancti Petri [II], S. 144 mit Anm. 158.
143 Ebd.
144 Vgl. oben Anm. 127.
145 Vgl. Geary, Furta Sacra; Angenendt, Heilige und Reliquien; Röckelein, Reliquientranslationen
nach Sachsen.
146 Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen, S. 38-43. Zum hier dargelegten Kommunika-
tionsbegriff s. auch Steckel, Kulturen des Lehrens, S. 37 mit Anm. 33; vgl. oben Anm. 16.
147 Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel ist zwar erst 1950 durch Papst Pius XII. offiziell
zum Dogma erhoben worden, galt aber bereits in der Spätantike als unausgesprochener
Grundsatz, demzufolge mit Ausnahme einzelner Körperprodukte wie Milch und Haare keine
Primärreliquien Mariens überliefert worden sind. Die orthodoxe Kirche, für die lex credendiund
lex orandi in der Liturgie zusammenfließen, so dass sie zum Ort unmittelbarer Offenbarung
wird, kennt anstelle einer „Himmelfahrt" oder „Aufnahme in den Himmel" die „Entschlafung"
der „Gottesgebärerin". Liturgisch und damit zugleich dogmatisch verbindlich wird besungen,
wie sie emporgehoben worden ist - ein Wunder, das der jungfräulichen Geburt ihres Sohnes und
Erlösers gleiche. S. dazu etwa Hotz, Gebete aus der orthodoxen Kirche, S. 76.