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I. Petrus. Ein Corpus, zwei Körper, viele Korporationen
Städte Rom und Jerusalem. Mochte die folgenreiche Rede des Paulus auf dem
Areopag den frühchristlichen Autor Tertullian zu seiner berühmten Frage nach
den Gemeinsamkeiten von Jerusalem und Athen als den Exponenten des Gottes
Israels und des Gottes der Philosophen inspiriert haben,206 so bildeten die Ketten
Petri offensichtlich das entscheidende Verbindungsglied von Jerusalem und
Rom als Exponenten von Ur- und Amtskirche. Von Rom aus gelangten neben
den schon von Gregor dem Großen erwähnten unzähligen Partikeln auch ganze
Glieder der Petersketten an Herrscher und Erzbischöfe. Gregor III. nutzte die
Ketten als eine Art „Köder", um Karl Martell für sich zu gewinnen.207 Im
10. Jahrhundert erhielt Erzbischof Brun, Bruder Ottos des Großen, dauerhaft drei
Glieder für seine Bischofsstadt, „Das heilige Köln, durch Gottes Gnade treue
Tochter der Römischen Kirche"208. Die rheinische Metropole band damit sich und
seine gesamte sächische Kirchenprovinz mit ihren zahlreichen Petrus-Patrozi-
nien und deren Körper- und Kettenreliquien an Rom als Hort von Petri corpus,
capitci und catenae.
3. Confessio - Crux - Cathedra. Petrinische Sekundärreliquien
und Hagiographie
Die hagiologischen Textgrundlagen der Petrus-Verehrung beschränken sich
bekanntlich nicht auf die Bibel. Zwar wird die Kreuzigung Petri im Nachwort des
Johannes-Evangeliums, so man dessen altkirchlich überlieferte, im gesamten
Mittelalter noch völlig unstrittige Auslegung gelten lässt, angedeutet.209 Explizit
genannt aber wird seine Cathedra und überhaupt sein Aufenthalt in Rom erst in
späteren Texten, insbesondere in hagiographischen.210 Die bedeutendste Stellung
nehmen dabei die sogenannten Petrus- und Paulusakten ein, in denen neben der
Enthauptung des Paulus die Kreuzigung Petri geschildert wird.211 Im Hoch-
mittelalter war dieser Stoff ein besonders geschätzter Gegenstand von Predig-
206 Vgl. Tertullian, De praescriptione haereticorum, VII, 9: Quid ergo Athenis et Hierosolymis? quid
academiae et ecclesiae? quid haereticis et christianis?
207 Ullmann, Kurze Geschichte des Papsttums, S. 67.
208 Vgl. zur Translatio vgl. Vita Brunonis, MGH SS rer. Germ. N. S. 10, Kapitel 27 und 31, sowie zur
zitierten Bezeichnung Kölns das Stadtsiegel von 1120; s. dazu auch Lauer, Köln, S. 79f. und 82.
Zur Vita und ihrem Autor s. auch Haarländer, Vita episcoporum, S. 495-497 („Lexikon der
Bischofsviten") sowie S. 44 f., zu Bruns Verhältnis zu König Otto I. ebd. S. 351-353.
209 Zur Auslegung von Joh 21,18 f. bei Tertullian s. zuletzt Zwierlein, Petrus in Rom, S. 119-124, v. a.
S. 121 und darauf replizierend Gnilka, Philologisches zur römischen Petrustradition, S. 47-54. S.
ferner - zu vergleichbaren Bibelstellen - Riesner, Petrus, Paulus und Rom, S. 28-31. Eine erneute,
sicherlich ihrerseits nicht unwidersprochen bleibende Replik bietet zuletzt Zwierlein, Petrus und
Paulus, pass.
210 BHL 6644-6688. Zur Verehrung der Cathedra Petri mit eigenem Patrozinium in Alt-St. Peter
(nach 750) s. etwa Jost, Die Patrozinien der Kirchen der Stadt Rom, Bd. 2, S. 247f.
211 Zwierlein, Petrus in Rom, S. 36-127 mit Edition S. 337-449. Zur hochmittelalterlichen Bedeutung
s. etwa etwa Maccarrone, San Pietro in rapporto a Cristo, S. 113-118.
I. Petrus. Ein Corpus, zwei Körper, viele Korporationen
Städte Rom und Jerusalem. Mochte die folgenreiche Rede des Paulus auf dem
Areopag den frühchristlichen Autor Tertullian zu seiner berühmten Frage nach
den Gemeinsamkeiten von Jerusalem und Athen als den Exponenten des Gottes
Israels und des Gottes der Philosophen inspiriert haben,206 so bildeten die Ketten
Petri offensichtlich das entscheidende Verbindungsglied von Jerusalem und
Rom als Exponenten von Ur- und Amtskirche. Von Rom aus gelangten neben
den schon von Gregor dem Großen erwähnten unzähligen Partikeln auch ganze
Glieder der Petersketten an Herrscher und Erzbischöfe. Gregor III. nutzte die
Ketten als eine Art „Köder", um Karl Martell für sich zu gewinnen.207 Im
10. Jahrhundert erhielt Erzbischof Brun, Bruder Ottos des Großen, dauerhaft drei
Glieder für seine Bischofsstadt, „Das heilige Köln, durch Gottes Gnade treue
Tochter der Römischen Kirche"208. Die rheinische Metropole band damit sich und
seine gesamte sächische Kirchenprovinz mit ihren zahlreichen Petrus-Patrozi-
nien und deren Körper- und Kettenreliquien an Rom als Hort von Petri corpus,
capitci und catenae.
3. Confessio - Crux - Cathedra. Petrinische Sekundärreliquien
und Hagiographie
Die hagiologischen Textgrundlagen der Petrus-Verehrung beschränken sich
bekanntlich nicht auf die Bibel. Zwar wird die Kreuzigung Petri im Nachwort des
Johannes-Evangeliums, so man dessen altkirchlich überlieferte, im gesamten
Mittelalter noch völlig unstrittige Auslegung gelten lässt, angedeutet.209 Explizit
genannt aber wird seine Cathedra und überhaupt sein Aufenthalt in Rom erst in
späteren Texten, insbesondere in hagiographischen.210 Die bedeutendste Stellung
nehmen dabei die sogenannten Petrus- und Paulusakten ein, in denen neben der
Enthauptung des Paulus die Kreuzigung Petri geschildert wird.211 Im Hoch-
mittelalter war dieser Stoff ein besonders geschätzter Gegenstand von Predig-
206 Vgl. Tertullian, De praescriptione haereticorum, VII, 9: Quid ergo Athenis et Hierosolymis? quid
academiae et ecclesiae? quid haereticis et christianis?
207 Ullmann, Kurze Geschichte des Papsttums, S. 67.
208 Vgl. zur Translatio vgl. Vita Brunonis, MGH SS rer. Germ. N. S. 10, Kapitel 27 und 31, sowie zur
zitierten Bezeichnung Kölns das Stadtsiegel von 1120; s. dazu auch Lauer, Köln, S. 79f. und 82.
Zur Vita und ihrem Autor s. auch Haarländer, Vita episcoporum, S. 495-497 („Lexikon der
Bischofsviten") sowie S. 44 f., zu Bruns Verhältnis zu König Otto I. ebd. S. 351-353.
209 Zur Auslegung von Joh 21,18 f. bei Tertullian s. zuletzt Zwierlein, Petrus in Rom, S. 119-124, v. a.
S. 121 und darauf replizierend Gnilka, Philologisches zur römischen Petrustradition, S. 47-54. S.
ferner - zu vergleichbaren Bibelstellen - Riesner, Petrus, Paulus und Rom, S. 28-31. Eine erneute,
sicherlich ihrerseits nicht unwidersprochen bleibende Replik bietet zuletzt Zwierlein, Petrus und
Paulus, pass.
210 BHL 6644-6688. Zur Verehrung der Cathedra Petri mit eigenem Patrozinium in Alt-St. Peter
(nach 750) s. etwa Jost, Die Patrozinien der Kirchen der Stadt Rom, Bd. 2, S. 247f.
211 Zwierlein, Petrus in Rom, S. 36-127 mit Edition S. 337-449. Zur hochmittelalterlichen Bedeutung
s. etwa etwa Maccarrone, San Pietro in rapporto a Cristo, S. 113-118.