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Zusammenfassung
Reliquie und Text
Angesichts dieses Befundes zu Ortsansässigkeit und Translation ist resümierend
noch einmal der Frage nach dem Verhältnis von materieller Reliquie und litur-
gischem, hagiographischem oder historiographischem Text nachzugehen. Dabei
sind nicht nur die einzelnen Bischofssitze für sich, sondern auch im Vergleich
untereinander zu betrachten. Willehad, Ansgar und Rimbert waren in Bremen
unstreitig leibhaftig tätig, bevor ihre liturgische Memoria und Verehrung, ha-
giographische Würdigung und historiographische Berücksichtigung einsetzte.
In Minden wurden Gorgonius-Reliquien längst verehrt, als sich Bischof Milo auf
die Suche nach passenden hagiographischen Schriften begab, um daraufhin den
Austausch und die Verbrüderung mit Gorze erfolgreich anzugehen. Liturgisch
begangen wurde nicht nur der viele Jahrhunderte vor der Bistumsgründung
bestehende altrömische Festtermin, sondern auch der Tag der Reliquienankunft
in Minden. Auch bei den in Minden verehrten Sophien sowie Margaretha und
Magdalena sind die Zeugnisse von Reliquien älter als die ältesten lokalen
Nachweise hagiographischer und liturgischer Texte. In Naumburg liegt hinge-
gen der umgekehrte Fall vor: Das Hauptinteresse Bischof Walrams galt in erster
Linie der Vita Leonhards, nicht seinen - wohl ebenfalls, aber sekundär ange-
fragten - Reliquien. Osnabrück bietet hier wieder einmal einen besonders ver-
mittelnden Fall: Die Ankunft der Reliquien Crispins und Crispinians wurde
offenbar ganz gezielt so gestaltet, dass sie am Reginentag erfolgte und fortan
entsprechend gefeiert werden konnte - sofern nicht Regina ihre Aufwertung erst
eben jener Translation verdankte. Bei den übrigen Nebenpatronen ist die Frage
nach dem Verhältnis von Reliquie und Text oft noch schwieriger zu klären, und
selbst bei einigen bereits vorgestellten, vergleichsweise prominenten Nebenpa-
trozinien kam es im Laufe der Zeit mitunter zu weiteren Verschiebungen.
Als Bremer Besonderheit fällt zunächst einmal jenes Evangelienbuch auf, das
dem heiligen Ansgar zugeschrieben und daher später als Reliquie verehrt
wurde. Eine solche Ehre kam keinem anderen liturgischen Buch zu, nicht einmal
den Mindener Codices, die Bischof Sigebert ganz gezielt für die eigene Memoria
gestiftet hatte. Allerdings handelte es sich bei der Zuschreibung um eine offenbar
erst spät einsetzende, für die Salierzeit jedenfalls noch nicht nachweisbare Tra-
dition. Man hatte zwar die Reliquien der drei Gründergestalten von Bistum und
Erzbistum, suchte aber auch nach konkreten sowie weiterhin verwendbaren
liturgischen Relikten. Ansgar kam dabei nicht nur als erster Erzbischof, sondern
auch wegen seiner hagiographischen Mittelstellung des später so genannten,
auch historiographisch rezipierten „Triapostolatus" zentrale Bedeutung zu: als
angeblicher Schreiber der Vita Willehads und Gegenstand seiner eigenen Le-
bensbeschreibung durch Rimbert. Gab es zu Rimbert ein frühes komplettes,
regelmäßig gebetetes Offizium, so sollte an Ansgar über den Festtermin hinaus
sein eigenes liturgisches Buch dauerhaft erinnern. Was hätte den „Missionar des
Nordens" da besser auszeichnen können als sein angeblich eigenes Buch zur
Verkündigung der Frohen Botschaft?
Zusammenfassung
Reliquie und Text
Angesichts dieses Befundes zu Ortsansässigkeit und Translation ist resümierend
noch einmal der Frage nach dem Verhältnis von materieller Reliquie und litur-
gischem, hagiographischem oder historiographischem Text nachzugehen. Dabei
sind nicht nur die einzelnen Bischofssitze für sich, sondern auch im Vergleich
untereinander zu betrachten. Willehad, Ansgar und Rimbert waren in Bremen
unstreitig leibhaftig tätig, bevor ihre liturgische Memoria und Verehrung, ha-
giographische Würdigung und historiographische Berücksichtigung einsetzte.
In Minden wurden Gorgonius-Reliquien längst verehrt, als sich Bischof Milo auf
die Suche nach passenden hagiographischen Schriften begab, um daraufhin den
Austausch und die Verbrüderung mit Gorze erfolgreich anzugehen. Liturgisch
begangen wurde nicht nur der viele Jahrhunderte vor der Bistumsgründung
bestehende altrömische Festtermin, sondern auch der Tag der Reliquienankunft
in Minden. Auch bei den in Minden verehrten Sophien sowie Margaretha und
Magdalena sind die Zeugnisse von Reliquien älter als die ältesten lokalen
Nachweise hagiographischer und liturgischer Texte. In Naumburg liegt hinge-
gen der umgekehrte Fall vor: Das Hauptinteresse Bischof Walrams galt in erster
Linie der Vita Leonhards, nicht seinen - wohl ebenfalls, aber sekundär ange-
fragten - Reliquien. Osnabrück bietet hier wieder einmal einen besonders ver-
mittelnden Fall: Die Ankunft der Reliquien Crispins und Crispinians wurde
offenbar ganz gezielt so gestaltet, dass sie am Reginentag erfolgte und fortan
entsprechend gefeiert werden konnte - sofern nicht Regina ihre Aufwertung erst
eben jener Translation verdankte. Bei den übrigen Nebenpatronen ist die Frage
nach dem Verhältnis von Reliquie und Text oft noch schwieriger zu klären, und
selbst bei einigen bereits vorgestellten, vergleichsweise prominenten Nebenpa-
trozinien kam es im Laufe der Zeit mitunter zu weiteren Verschiebungen.
Als Bremer Besonderheit fällt zunächst einmal jenes Evangelienbuch auf, das
dem heiligen Ansgar zugeschrieben und daher später als Reliquie verehrt
wurde. Eine solche Ehre kam keinem anderen liturgischen Buch zu, nicht einmal
den Mindener Codices, die Bischof Sigebert ganz gezielt für die eigene Memoria
gestiftet hatte. Allerdings handelte es sich bei der Zuschreibung um eine offenbar
erst spät einsetzende, für die Salierzeit jedenfalls noch nicht nachweisbare Tra-
dition. Man hatte zwar die Reliquien der drei Gründergestalten von Bistum und
Erzbistum, suchte aber auch nach konkreten sowie weiterhin verwendbaren
liturgischen Relikten. Ansgar kam dabei nicht nur als erster Erzbischof, sondern
auch wegen seiner hagiographischen Mittelstellung des später so genannten,
auch historiographisch rezipierten „Triapostolatus" zentrale Bedeutung zu: als
angeblicher Schreiber der Vita Willehads und Gegenstand seiner eigenen Le-
bensbeschreibung durch Rimbert. Gab es zu Rimbert ein frühes komplettes,
regelmäßig gebetetes Offizium, so sollte an Ansgar über den Festtermin hinaus
sein eigenes liturgisches Buch dauerhaft erinnern. Was hätte den „Missionar des
Nordens" da besser auszeichnen können als sein angeblich eigenes Buch zur
Verkündigung der Frohen Botschaft?