Nebenpatrone und Heiligenkulte der Petrus-Kathedralen (IV)
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Allen anderen Bremer Nebenpatronen ist nicht nur ihre auswärtige Her-
kunft, sondern auch ein formales Charakteristikum gemeinsam: dass sie jeweils
in Zweiergruppen erscheinen. Textlich sind diese in Bremen bereits um 1100
nachweisbar - interessanterweise nicht in einem hagiographischen, sondern in
einem historio graphischen, bis heute besonders bekannten Text: Adams Kir-
chengeschichte. Liturgisch war es in der Zeit des 10. bis 12. Jahrhunderts be-
sonders beliebt, im eucharistischen Hochgebet der Messe (Canon missae) zu-
sätzlich zu den ohnehin rituell vorgesehenen Heiligen weitere regionale zu er-
gänzen, im Kanonabschnitt Communicantes insbesondere derartige Zweier-
gruppen. Ursprünglich scheinen daher Quiriacus und Caesarius, Victor und
Corona, Felix und Felicianus zusammen mit den hier zum allgemeinen Römi-
schen Messritus gehörenden Kosmas und Damian auf einen solchen liturgischen
Einschub zurückzugehen - sei es in einem bisher unberücksichtigten oder ver-
schollenen Codex, sei es auf nur ephemer genutzten Kanontafeln. In Bremen
gehen die angeblich im 10. Jahrhundert erworbenen, sonst vor allem in Essen
verehrten Gebeine jedenfalls erst auf eine inventio, eine Auf- oder auch Erfin-
dung, aus dem Jahre 1334 zurück. Tatsächlich wurden nach Bremen anscheinend
zunächst einmal - analog zu den hagiographischen Vitenteilen für Naumburg -
liturgische Texte statt Reliquien transferiert. Dasselbe Phänomen könnte auch bei
Crispin und Crispinian in Osnabrück vorliegen. Existierten nicht vielleicht auch
hier schon vor den bereits bekannten Urkundenfälschungen und angenomme-
nen Translationen, womöglich sogar noch vor den Reliquienpartikeln selbst li-
turgische Schriftzeugnisse? Diese waren sicherlich weit weniger aufwendig ge-
staltet als die berühmten Mindener Prachtbände, hatten aber gerade deshalb
auch eine geringere Uberlieferungschance - ungeachtet ihrer denkbaren ur-
sprünglichen liturgischen Relevanz. Bereits der Reliquienerwerb von Crispin
und Crispinian wurde liturgisch begangen, indem man ihn mit dem Tag der
Regina verknüpfte, um diese dann später ebenfalls in einem herausragenden
Schrein zu verehren. Beim angenommenen Ursprung der Heiligendopplungen
und damit der genannten Heiligen selbst aus der rituell-performativen und ka-
lendarisch-textlichen Liturgie wären auch die erwähnten Konkurrenzen zu den
römischen Reliquien erklärbar. Im Falle von Kosmas und Damian in Bremen
kommen neben Rom noch weitere Konkurrenten hinzu: zum einen der Hildes-
heimer Dom, den bereits Bischof Ebo mit Reliquien ausgestattet haben soll, zum
anderen das von dessen Nachfolger Altfrid bedachte Frauenstift Essen, wo die
Heiligen später sogar Stadtpatrone wurden. Bremen und Osnabrück erhielten
möglicherweise beide zunächst Texte und dann - im Einzelfall wohl vermeintlich
- passende Reliquien. Minden hingegen suchte und redigierte - genau umge-
kehrt - nachträglich zu den transferierten Reliquien, vor allem denen des
Gorgonius und wohl auch der Jungfrau Sophia (virgo), hagiographische Schrif-
ten, wie sie Bremen von den ortsansässigen Gründerbischöfen bereits besaß und
Naumburg ganz ohne Reliquien von auswärts bezog. Im Falle von Magdalena,
Margaretha und der Mailänder Sophia (vidua) sorgte anstelle von Hagiographie
erst die spätmittelalterliche Historiographie für eine nachhaltige, bis heute
nachvollziehbare Traditionsbildung in Schriftform.
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Allen anderen Bremer Nebenpatronen ist nicht nur ihre auswärtige Her-
kunft, sondern auch ein formales Charakteristikum gemeinsam: dass sie jeweils
in Zweiergruppen erscheinen. Textlich sind diese in Bremen bereits um 1100
nachweisbar - interessanterweise nicht in einem hagiographischen, sondern in
einem historio graphischen, bis heute besonders bekannten Text: Adams Kir-
chengeschichte. Liturgisch war es in der Zeit des 10. bis 12. Jahrhunderts be-
sonders beliebt, im eucharistischen Hochgebet der Messe (Canon missae) zu-
sätzlich zu den ohnehin rituell vorgesehenen Heiligen weitere regionale zu er-
gänzen, im Kanonabschnitt Communicantes insbesondere derartige Zweier-
gruppen. Ursprünglich scheinen daher Quiriacus und Caesarius, Victor und
Corona, Felix und Felicianus zusammen mit den hier zum allgemeinen Römi-
schen Messritus gehörenden Kosmas und Damian auf einen solchen liturgischen
Einschub zurückzugehen - sei es in einem bisher unberücksichtigten oder ver-
schollenen Codex, sei es auf nur ephemer genutzten Kanontafeln. In Bremen
gehen die angeblich im 10. Jahrhundert erworbenen, sonst vor allem in Essen
verehrten Gebeine jedenfalls erst auf eine inventio, eine Auf- oder auch Erfin-
dung, aus dem Jahre 1334 zurück. Tatsächlich wurden nach Bremen anscheinend
zunächst einmal - analog zu den hagiographischen Vitenteilen für Naumburg -
liturgische Texte statt Reliquien transferiert. Dasselbe Phänomen könnte auch bei
Crispin und Crispinian in Osnabrück vorliegen. Existierten nicht vielleicht auch
hier schon vor den bereits bekannten Urkundenfälschungen und angenomme-
nen Translationen, womöglich sogar noch vor den Reliquienpartikeln selbst li-
turgische Schriftzeugnisse? Diese waren sicherlich weit weniger aufwendig ge-
staltet als die berühmten Mindener Prachtbände, hatten aber gerade deshalb
auch eine geringere Uberlieferungschance - ungeachtet ihrer denkbaren ur-
sprünglichen liturgischen Relevanz. Bereits der Reliquienerwerb von Crispin
und Crispinian wurde liturgisch begangen, indem man ihn mit dem Tag der
Regina verknüpfte, um diese dann später ebenfalls in einem herausragenden
Schrein zu verehren. Beim angenommenen Ursprung der Heiligendopplungen
und damit der genannten Heiligen selbst aus der rituell-performativen und ka-
lendarisch-textlichen Liturgie wären auch die erwähnten Konkurrenzen zu den
römischen Reliquien erklärbar. Im Falle von Kosmas und Damian in Bremen
kommen neben Rom noch weitere Konkurrenten hinzu: zum einen der Hildes-
heimer Dom, den bereits Bischof Ebo mit Reliquien ausgestattet haben soll, zum
anderen das von dessen Nachfolger Altfrid bedachte Frauenstift Essen, wo die
Heiligen später sogar Stadtpatrone wurden. Bremen und Osnabrück erhielten
möglicherweise beide zunächst Texte und dann - im Einzelfall wohl vermeintlich
- passende Reliquien. Minden hingegen suchte und redigierte - genau umge-
kehrt - nachträglich zu den transferierten Reliquien, vor allem denen des
Gorgonius und wohl auch der Jungfrau Sophia (virgo), hagiographische Schrif-
ten, wie sie Bremen von den ortsansässigen Gründerbischöfen bereits besaß und
Naumburg ganz ohne Reliquien von auswärts bezog. Im Falle von Magdalena,
Margaretha und der Mailänder Sophia (vidua) sorgte anstelle von Hagiographie
erst die spätmittelalterliche Historiographie für eine nachhaltige, bis heute
nachvollziehbare Traditionsbildung in Schriftform.