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III. Historiographie, Hagiographie und Liturgie der sächsischen Petrus-Kathedralen
Die beiden von Bischof Walram exzerpierten Wunderberichte weisen einige
charakteristische Besonderheiten auf, und zwar zum einen gegenüber den ent-
sprechenden historiographischen Zeugnissen, zum anderen gegenüber den an-
deren hagiographischen Erzählungen der Leonhardsvita. In der Darstellung des
Historiographen Ordericus Vitalis handelt nicht die christliche Frau Danisch-
meds, sondern dessen - hier auch namentlich genannte - Tochter Melaz, und
zwar zunächst nicht als Christin, sondern aus Liebe zum Franken.1307 Bei Albert
von Aachen fehlt jeglicher Hinweis auf die Frauen.1308 Die östlichen Chronisten,
etwa Radulph von Caen und der christliche Syrer Matthäus von Edessa üben
deutliche Kritik am Verhalten Bohemunds und aller Franken. Radulph von Caen
spricht Bohemunds Befreiung letztlich dem persönlichen Einsatz des Baldouin le
Bourcq als Herrscher über Edessa und des Patriarchen von Antiochia, Bernhard
von Valence, zu. Matthäus von Edessa führt sie auf das Engagement des arme-
nischen Fürsten Kogh Vasil zurück.1309 Die hagiographischen wie historiogra-
phischen Darstellungen verband ungeachtet der verschiedenen Narrative und
Rezeptionsformen das Moment des unterschütterlichen Glaubens an Gott.1310
Den heiligen Leonhard bringt immerhin Ordericus Vitalis dahingehend ins Spiel,
dass er Bohemund nach seiner Rükkehr an Melaz’ Seite in die Heimat Antiochia
Votivgaben entsenden lässt: silberne Ketten, die Richard von Salerno am Schrein
des Heiligen deponieren soll.1311 Doch nur in der Leonhardsvita treten eigene
Verdienste und Vorzüge Bohemunds wie Heldentaten und sein ansprechendes
Außeres ebenso zurück wie das Engagement östlicher Potentaten und Wür-
denträger - zugunsten des Wirkens Leonhards selbst.
Hagiographisch treten die historiographisch auch von Ordericus besonders
gewürdigten Ketten ebenso in den anderen, der Episode mit Bohemund und
Richard vorausgehenden Wundern im ersten Mirakelbuch in Erscheinung. Die
Rede ist jeweils von catenae, die gesprengt und zum Zeichen des Wunders am
Grab des Heiligen verwahrt wurden. Ferner ließ Leonhard einen Gefangenen
befreien und trockenen Fußes zu seinem Grab eilen - ein Wunder, das den
Hagiographen den - auch historiographisch beliebten - Vergleich mit Mose nicht
scheuen lässt.1312 Das letzte Befreiungswunder von Ketten im ersten Buch der
Wunder wird Martial und Leonhard zu gleichen Teilen zugesprochen. Erst bei
der Translation weiterer Reliquien, darunter das Haupt Johannes des Täufers,
1307 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 108-111; zu Ordericus Vitalis s. auch Kirschberger, Erster
Kreuzzug und Ethnogenese, S. 289-295.
1308 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 111-114, v. a. S. 112; zu Albert von Aachen s. auch
Kirschberger, Erster Kreuzzug und Ethnogenese, passim, einleitend S. 73 f.
1309 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 114-116; zu Radulph von Caen s. auch Kirschberger,
Erster Kreuzzug und Ethnogenese, S. 62-65.
1310 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 117.
1311 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 109 mit Anm. 258.
1312 S. oben Anm. 1304. Ordericus Vitalis bemüht ebenfalls die Mose-Geschichte, indem er Melaz, die
angeblich in Liebe zu Bohemund entbrannte Tocher Danischmends, mit der biblischen Gestalt
Bithia vergleicht - jener Tochter des Pharaos, die Mose als Kleinkind samt Binsenkörbchen aus
dem Nil holte und erzog, um ihn dann beim Auszug aus Ägypten ins Gelobte Land zu begleiten;
vgL Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 111 mit Anm. 262.
III. Historiographie, Hagiographie und Liturgie der sächsischen Petrus-Kathedralen
Die beiden von Bischof Walram exzerpierten Wunderberichte weisen einige
charakteristische Besonderheiten auf, und zwar zum einen gegenüber den ent-
sprechenden historiographischen Zeugnissen, zum anderen gegenüber den an-
deren hagiographischen Erzählungen der Leonhardsvita. In der Darstellung des
Historiographen Ordericus Vitalis handelt nicht die christliche Frau Danisch-
meds, sondern dessen - hier auch namentlich genannte - Tochter Melaz, und
zwar zunächst nicht als Christin, sondern aus Liebe zum Franken.1307 Bei Albert
von Aachen fehlt jeglicher Hinweis auf die Frauen.1308 Die östlichen Chronisten,
etwa Radulph von Caen und der christliche Syrer Matthäus von Edessa üben
deutliche Kritik am Verhalten Bohemunds und aller Franken. Radulph von Caen
spricht Bohemunds Befreiung letztlich dem persönlichen Einsatz des Baldouin le
Bourcq als Herrscher über Edessa und des Patriarchen von Antiochia, Bernhard
von Valence, zu. Matthäus von Edessa führt sie auf das Engagement des arme-
nischen Fürsten Kogh Vasil zurück.1309 Die hagiographischen wie historiogra-
phischen Darstellungen verband ungeachtet der verschiedenen Narrative und
Rezeptionsformen das Moment des unterschütterlichen Glaubens an Gott.1310
Den heiligen Leonhard bringt immerhin Ordericus Vitalis dahingehend ins Spiel,
dass er Bohemund nach seiner Rükkehr an Melaz’ Seite in die Heimat Antiochia
Votivgaben entsenden lässt: silberne Ketten, die Richard von Salerno am Schrein
des Heiligen deponieren soll.1311 Doch nur in der Leonhardsvita treten eigene
Verdienste und Vorzüge Bohemunds wie Heldentaten und sein ansprechendes
Außeres ebenso zurück wie das Engagement östlicher Potentaten und Wür-
denträger - zugunsten des Wirkens Leonhards selbst.
Hagiographisch treten die historiographisch auch von Ordericus besonders
gewürdigten Ketten ebenso in den anderen, der Episode mit Bohemund und
Richard vorausgehenden Wundern im ersten Mirakelbuch in Erscheinung. Die
Rede ist jeweils von catenae, die gesprengt und zum Zeichen des Wunders am
Grab des Heiligen verwahrt wurden. Ferner ließ Leonhard einen Gefangenen
befreien und trockenen Fußes zu seinem Grab eilen - ein Wunder, das den
Hagiographen den - auch historiographisch beliebten - Vergleich mit Mose nicht
scheuen lässt.1312 Das letzte Befreiungswunder von Ketten im ersten Buch der
Wunder wird Martial und Leonhard zu gleichen Teilen zugesprochen. Erst bei
der Translation weiterer Reliquien, darunter das Haupt Johannes des Täufers,
1307 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 108-111; zu Ordericus Vitalis s. auch Kirschberger, Erster
Kreuzzug und Ethnogenese, S. 289-295.
1308 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 111-114, v. a. S. 112; zu Albert von Aachen s. auch
Kirschberger, Erster Kreuzzug und Ethnogenese, passim, einleitend S. 73 f.
1309 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 114-116; zu Radulph von Caen s. auch Kirschberger,
Erster Kreuzzug und Ethnogenese, S. 62-65.
1310 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 117.
1311 Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 109 mit Anm. 258.
1312 S. oben Anm. 1304. Ordericus Vitalis bemüht ebenfalls die Mose-Geschichte, indem er Melaz, die
angeblich in Liebe zu Bohemund entbrannte Tocher Danischmends, mit der biblischen Gestalt
Bithia vergleicht - jener Tochter des Pharaos, die Mose als Kleinkind samt Binsenkörbchen aus
dem Nil holte und erzog, um ihn dann beim Auszug aus Ägypten ins Gelobte Land zu begleiten;
vgL Goridis, Gefangen im Heiligen Land, S. 111 mit Anm. 262.