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Bölling, Jörg; Jan Thorbecke Verlag [Editor]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Zwischen Regnum und Sacerdotium: Historiographie, Hagiographie und Liturgie der Petrus-Patrozinien im Sachsen der Salierzeit (1024-1125) — Mittelalter-Forschungen, Band 52: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51257#0346

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Historiographie, Hagiographie und Liturgie der sächsischen Petrus-Kathedralen (III. )

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lungert bei, Minden die in Gorze fehlende Passio - redaktionell mit Mindenbezug
bearbeitet von Bischof Milo, vielleicht aber auch von den Gorzer Mönchen selbst.
Dabei wurden offenbar zwei Heilige gleichen Namens, Gorgonius von Rom (aus
Sebaste) und der gleichnamige Heilige aus Nikomedien, zu einem gemeinsamen
petrinisch-römischen Patron (aus Nikomedien) vereint. Von diesem Austausch
und der anschließenden Verbrüderung profizierten beide Seiten, Gorze wie
Minden. Die nunmehr gemeinsame Provenienz des Gorgonius von Petrus aus
Rom und dessen dauerhafte, in liturgischer Verbrüderung gemeinsam bedachte
himmlische Präsenz verhinderte gegenseitige Konkurrenz. Im ebenfalls Petrus
und Gorgonius geweihten, jedoch rein westfränkisch ausgerichteten Kloster
Marmoutier wechselte man hingegen - vielleicht seinerseits in Reaktion auf die
Ereignisse in Gorze und Minden - genau umgekehrt vom Nikomedischen zum
Sebastenischen Gorgonius. In diesem hier nur zusammenfassend skizzierten
Beziehungsgeflecht könnten letzte Gewissheit wohl nur naturwissenschaftliche
Verfahren erbringen: bei der - in Teilen sogar kontaminierten - Handschriften-
überlieferung eine Computer-gestützte, der phylogenetischen Forschung ent-
sprechende Textkritik, bei den materiellen Textträgem und bei den Reliquien
selbst hingegen Isotopenbestimmung und DNA-Analyse. Dies betrifft auch
weitere Nebenheilige, insbesondere Sophia.
Sophia und andere Heilige werden aber erst in der spät einsetzenden His-
toriographie greifbar: im Catalogus episcoporum Mindensium,des Dominikaners
Hermann von Lerbeck (ca. 1345 - ca. 1410), in der jüngeren Bischofschronik des
Domherrn Heinrich Tribbe (t 1464) und in dessen Beschreibung von Stadt und
Stift Minden. Bedeutsam sind diese drei Schriften vor allem deshalb, weil sie -
aus dem Domnekrolog erarbeitet - wichtige, mitunter verschollene oder ver-
gessene liturgische Bücher, Festtermine, Reliquien und Reliquiare erwähnen.
Patron Petrus ist hier ganz überlagert, einerseits von der nach Bremer Vorbild
historiographisch fortgeschriebenen Liste der Bischöfe, andererseits vom De-
tailreichtum bezüglich anderer Heiliger und bestimmter jüngerer Reliquien ab
dem 12. Jahrhundert, die besonderen Schutz (patrocinid) verhießen. Wie die
Jungfrau zum Kinde so kommt bei Hermann von Lerbeck die ursprüngliche
virgo Sophia als viduci m ihren Töchtern Fides, Spes und Caritas. Erst Heinrich
Tribbe unterscheidet zwischen beiden Sophien wieder. Ausgerechnet Magdale-
nas Reliquien, die in keinem liturgischen Verzeichnis erscheinen, macht Herr-
mann von Lerbeck zu den einzigen Relikten nach einem angeblichen Dombrand
von 1062, feuerfest und sündenstrafend. Lerbecks Listen an Bischöfen und
Heiligen scheinen mehr an Mindener Materialität als an himmlischer Hierarchie
orientiert. Heinrich Tribbe hingegen lässt den Volksmund zur Sprache kommen,
indem er den heiligen Gorgonius mit seinem eigenen Schwert einen angeblich
simonistischen und schismatisch-antigregorianischen Bischof namens Folkmar
(1089-1095), der im Nekrolog in der Tat einer damnatio memoriae zum Opfer
gefallen ist, rächend hinrichten lässt. Hatte Bremen das Schwert Petri zu bieten,
so Minden das blutgetränkte Altartuch, das - in Anlehnung an Ideale der Mai-
länder Pataria und gewagter Umkehrung des Mordes an Thomas Becket - die
Passion des Gorgonius in propäpstliche Aktion verwandelte. Vor diesem Hin-
tergrund erscheint auch der fragliche Dombrand von 1062 als Chiffre der Aus-
 
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