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Bölling, Jörg; Jan Thorbecke Verlag [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Zwischen Regnum und Sacerdotium: Historiographie, Hagiographie und Liturgie der Petrus-Patrozinien im Sachsen der Salierzeit (1024-1125) — Mittelalter-Forschungen, Band 52: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51257#0348

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Historiographie, Hagiographie und Liturgie der sächsischen Petrus-Kathedralen (III. )

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Gorgonius in Rom nicht beigesetzt, sondern geboren worden, um anschließend
nach Soissons transferiert zu werden. Zwei Schädel verblieben der Ortstradition
nach sogar in der stadtrömischen Kirche San Lorenzo in Panisperna, wobei zu-
mindest auf das Haupt des Crispins auch Soissons Anspruch erhob. Nach Os-
nabrück gelangten die Reliquien aber definitiv nicht - wie wohl die des Min-
dener Gorgonius - aus Rom, sondern aus Soissons. Konkurrenzen zu den
Schädeln waren nicht zu befürchten, weil Osnabrück als Reliquien die Arme
verehrte. Analog erscheint hier in Minden allenfalls der Arm der Drachentöterin
Margaretha und das - freilich erst aus staufischer Zeit stammende - Armreli-
quiar des Folkmar-Töters Gorgonius in Minden. Ungeachtet formaler Überein-
stimmungen war die Funktion wiederum entgegengesetzt: Die Arme von Cris-
pin und Crispinian gehörten nicht schwungvollen Totschlägern, sondern tat-
kräftigen Schuhmachern. Anstelle des Schwertträgers Petrus gab hier der Zelt-
macher Paulus das Vorbild ab. Sogar dessen biblischer Geld verzieht wurde -
vergleichbar den Apothekerärzten Kosmas und Damian - durch Crispin und
Crispinian aufgegriffen. Schließlich erinnert auch - zumal im Vergleich mit der
Kreuzigung Petri - die Enthauptung dieser gebürtigen Römer an die des civis
Romanus Paulus.
Wo kein eigener hagiographischer Text zur Verfügung stand, musste die
Historiographie für Ersatz sorgen. Der Form nach lässt sich die Vita Bennos II.
durchaus mit Lebensbeschreibungen von Heiligen vergleichen. Inhaltlich geht es
dabei aber weniger um den eigentlichen hagiographischen Gegenstand, die
Person Bischof Bennos selbst, als vielmehr um den von ihm besonders verehrten
heiligen Clemens. Dieser war zugleich Patron des Klosters Iburg, wo die anderen
bedeutenden Nebenheiligen, Crispin und Crispinian, zwischenzeitlich ihre Ruhe
fanden und der präsumtive Vitenschreiber Nobert als Abt fungierte. Das Cle-
mens-Patronat von 1080 ist vor dem Hintergrund des 1046 auf Betreiben Hein-
richs III. gewählten Papstes Clemens II. und des im selben Jahr 1080 eingesetzten
Gegenpapstes Clemens IIL, einem dezidierten Parteigänger Heinrichs IV, zu
deuten. Nach den schriftlichen Einlassungen von Bennos bischöflichem Nach-
folger Wido von Osnabrück bildete sogar die Absetzung der Papstprätendenten
1046 durch Heinrich IIL das entscheidende Vorbild für dessen Nachfolger
Heinrich IV. in den Auseinandersetzungen mit Gregor VII. In der Vita Bennos II.
selbst geht es aber um den Ausgleich zwischen Regnum und Sacerdotium. Petrus
erscheint dort nur kurz zu Beginn - als römisches Pilgerziel der Eltern Bennos,
deren bislang unerfüllter Kinderwunsch in Form der Geburt des späteren Bi-
schofs vom Heiligen ermöglicht wurde. Römische Pilgerfahrten entsprechen
jedoch auch der Frömmigkeit der salischen Kaiser in der Nachfolge der Karo-
linger. Bennos in der Vita geschilderte Vermittlungsbemühungen zwischen
Regnum und Sacerdotium kulminieren in der Synode von Brixen, während derer
sich Benno im Altar versteckt. In diesem Sinne stellte nicht nur auf den heiligen
Clemens bezogen die Historiographie einen Ersatz für die Hagiographie dar. Für
den Ausgleich von Regnum und Sacerdotium bildete - in Ermangelung hagio-
graphisch relevanter Reliquien - auch Bennos historiographisch erwähnter Leib
selbst situationsbedingt eine Art Substitut für einen ansonsten mit der Aura des
Sakralen umgebenen Heiligen.
 
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