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Münchner kunsttechnische Blätter — 1.1904-1905

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Nr. 13
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Wolter, Franz: Giovanni Segantinis Maltechnik
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https://doi.org/10.11588/diglit.36597#0065

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20.März 1905.

Herausgegeben von der ,.Werkstatt der Kunst", ERNST CLOSS.
Erscheint 14tägig unter Leitung von ERNST BERGER, München.

Nr.

13.

Inhalt: Giovanni Segantinis Maltechnik. Von Franz Wolter. — Ueber den Einfluss von Anomalien und Erkrankungen des
Sehorganes auf die Maltechnik. Von Dr. Emil Berger. — Kann künstliches Alizarin den Krappfarbstoff in der Malerei
ersetzen? Von Reg.-Rat Prof. Dr. E. Täuber. — Maschine zur Herstellung von Bildhauerwerken.

Giovanni Segantinis Maltechnik.
Von Franz Woiter.

Will man die Maiweise dieses Künstlers voll
und ganz verstehen, so muss man das, was der
Meister gewolit hat, ais seine Weitanschauung be-
trachten. Und diese iässt sich nicht besser er-
klären, als wenn wir seine eigenen Worte und
seine poetischen Darlegungen vom Wesen der
Natur und der Kunst hören:
„Schon längst dachte ich an eine innige Ueber-
einstimmung von Klängen und Farben in der al-
pinen Kunst, an ein grosses, vollständiges Werk,
welches all die Harmonie wiedergeben könnte,
die das Hochgebirge für denjenigen, der es mit
Liebe und künstlerischem Sinne beobachtet und
studiert, in sich schliesst. Ich studierte in der
alpinen Natur Klänge von Farben, Formen und
Linien und fühlte, dass die Seele, die sie regiert
und diejenige, die sie beobachtet und anhört,
eine einzige sei. — Nur derjenige, der sich, wie
ich, monatelang über den hohen, grünen Alpen-
weiden in lächelnden Frühlingstagen aufgehalten
hat, kann die hohe künstlerische Bedeutung dieses
Einklanges verstehen. Die Stimmen, die von den
Tälern emporsteigen, die unbestimmten, gedämpf-
ten Klänge, die vom Winde getragen, um uns
ein harmonisches Schweigen bilden, das sich hoch
im unendlichen Raume des blauen, über die
schneeigen Bergketten gewölbten Himmels aus-
dehnt. Das Rauschen der Gewässer und das
Murmeln der Bäche schmelzen zusammen und
ergänzen sich mit den Linien, den Farben und
dem Lichte des Gebirges zu einem einzigen
Klange grossartiger Grösse. — Ich suchte fort-
während dieses Gefühl auf meinen Bildern dar-
zustellen. — Die Kunst gibt nur einzelne Züge
der Schönheit wieder und nicht die ganze har-
monische Schönheit. Je mehr das Werk den In-

begriff aller Eindrücke in einem einzigen Geiste
vereinigt und die verborgenen Zusammenhänge,
die sie miteinander verschmelzen, wiedergibt,
um mit uns und unserer Seele die Seele der
Natur zu schaffen, desto vollständiger ist es und
legt in Wahrheit das Leljen der Dinge dar, das
die erste Quelle aller Schönheit und Harmonie ist."
Diese Zeilen, die mir der unvergessliche
grosse Meister einst schrieb, enthüllen so ganz
seine innere Seelenstimmung, besser als es meine
Worte vermöchten. Aus diesem Sehnen nach
Verkörperung solch geschauter Bilder formte sich
denn auch seine eigene Sprache, die allerdings
in unvollkommener Weise schon von seinem
Lehrer angebahnt, von Segantini selbst in ganz
subjektive Art geprägt wurde. Es ward schon
zu seinen Lebzeiten viel über seine „Manier",
seine Technik geschrieben, meist jedoch wurde
der Künstler missverstanden, selbst von den
Einsichtsvolleren getadelt, weil er nicht male
wie die anderen, weil er mühsam strichelnd zu
Werke gehe, so dass seine Bilder Stickereien
vergleichbar wären. Auch von der technischen
Seite eines ernst zu nehmenden Kunstwerkes
gilt dasselbe als vom Werke selbst, dass es seine
eigenen Gesetze hat, die verallgemeinert, un-
sinnig erscheinen. Die komplizierte Technik Se-
gantinis war im wesentlichen aber sehr einfach,
wenn man nur einmal näher zusah und sich da-
rüber klar wurde, was der Künstler gewollt. Ganz
im Gegensätze zu der Malweise der übrigen Kol-
legen moderner Zeit, versuchte er, nur auf an-
dere Art, nicht wie die alten Meister durch die
Lasurfarben oder durch das im modernen Sinne
Ineinanderziehen der Farben auf der Palette oder
auf der Leinwand direkt, sondern durch das
 
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