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Münchner kunsttechnische Blätter — 1.1904-1905

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Nr. 13
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Wolter, Franz: Giovanni Segantinis Maltechnik
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Berger, Emil: Ueber den Einfluss von Anomalien und Erkrankungen des Sehorganes auf die Maltechnik [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36597#0066

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Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. 13.

2

Nebeneinandersetzen der Töne Leuchtkraft zu
erzielen und er wurde nicht zum wenigsten durch
die ihn umgebende Natur geradezu auf die Fülle
des Lichtes und Glanzes der in klare Alpenluft
getauchten Bergriesen hingelenkt. Die anschei-
nend mühsame Arbeit der kleinen, dicht neben-
einander gesetzten Striche fordern in Wahrheit
nicht mehr Zeit und Mühe als jede andere Ma-
lerei. Die rätselhafte Technik bestand darin, dass
der Künstler, nachdem er zuerst den vor dem
direkten Einschlagen geschützten Kreide- oder
Gipsgrund mit einer dünnflüssigen rötlichen Lasur,
bestehend aus einer Ockerfarbe, überzog. Die
Helligkeit der reinen Leinwand störte ihn so,
dass er nicht imstande war, unmittelbar auf diese
seine Komposition auszuführen. Erst auf dem
getonten Untergründe brachte er seine schon
in allen Partien durchgearbeitete Zeichnung, im-
mer davon ausgehend, sie so klar wie möglich
festzustellen: „Um beim Malen nichts mehr än-
dern zu müssen", wie er mir sagte. Nach Fertig-
stellung der Zeichnung begann Segantini das
Malen und zwar so, dass er mit dünnen, lang-
haarigen, elastischen Pinseln die reinen unge-
brochenen Oelfarben, je nach der Erscheinung
des wiederzugebenden Gegenstandes auf die Lein-
wand setzte. Die betreffenden Oelfarben, die Se-
gantini damals benützte, waren die der Firma
Lefranc & Comp., Paris, und unter den Farben
wählte er vorzugsweise die haltbarsten, meist die
Mineralfarben aus. Das Aufsetzen der Farben
auf die Leinwand geschah aus dem Vollen heraus.
Segantini nannte es „summarisch".
Neben den einzelnen Strichen, die klein
und ziemlich pastos (fett) hingesetzt waren, Hess
er eben so breite, kleine Zwischenräume stehen,
die er, und dies ist das wichtigste, so lang eine
Bindung mit dem Untergründe und den zuerst
aufgetragenen Farben möglich war, mit den ent-
sprechenden Komplementärfarben ausfüllte. Hier-
durch erzielte der Künstler keine Mischung der
Farben in Wirklichkeit, wohl aber eine für das
menschliche Auge, da die Netzhaut desselben
so beschaffen ist, dass sie nebeneinander gestellte
Farben bei entsprechender Entfernung verbindet.
Ueber diese Erscheinung, welche in das Gebiet
der optisch-physiologischen Gesetze gehört und
die dem Maler von nicht zu unterschätzender
Bedeutung sind, da er beim Malen auf die Eigen-
tümlichkeit des menschlichen Auges Rücksicht
zu nehmen gezwungen ist, haben die verschie-
densten Gelehrten, u. a. Bezold und Brücke ein-
gehend behandelt. Auch Lenbach sprach sich
einmal mir gegenüber folgendermassen aus: „Die
Hauptsache beim Bilde ist und bleibt doch immer
das Verbinden der einzelnen Formen miteinander
und diese wieder zum Ganzen und in dem Ganzen
das Trennen der Lokalfarbe durch ihre komple-
mentären Gegensätze. Wenn ich z. B. dort hin-

schaue," und dabei senkte er den Kopf und sah
über seine runden Brillengläser auf einen in der
Nähe des Atelierfensters befindlichen Schmetter-
lingskasten, „und sehe Orange, so sehe ich un-
willkürlich daneben Violett, sehe ich eine blaue
Farbe an, so Rot — kalt und warm — jenach-
dem. Man mag das nun nennen wie man will,
es ist einfach ein ganz bestimmtes Naturgesetz
für das menschliche Auge." Und dann fortfah-
rend: „Da schrieb einer einmal, ich glaube es
war in den »Neuesten Nachrichtens, am besten
könne man solche Farbenbeobachtungen in Ve-
nedig machen und daher hätten Tizian und seine
Schule ihre Farben. Unsinn! In der Stadt, auf
dem Lande, bei jedem Bauernstadel, namentlich
nach einem Regen, kann man dieselben Effekte
beobachten."
Wie Lenbach auf dem Wege der alten
Meister dieses Prinzip befolgte, so Giovanni
Segantini nach seiner eigenen, sich selbst ge-
schaffenen Sprache. Er verwarf sogar das alt-
meisterliche System, indem er einmal sagte:
„Das Mischen der Farben auf der Palette ist
ein Weg, der ins Dunkle führt, je reiner die
Farben sind, welche wir auf die Leinwand setzen,
desto mehr führen wir unseren Gemälden an
Licht, Luft und Wahrheit zu." — In der Tat hat
es auch Segantini bewiesen, dass er eine eigen-
artige, ganz hervorragende Leuchtkraft in seinen
Bildern erzielt hat. Nicht vergessen aber darf
man, dass es von der Fähigkeit des Malers ab-
hängt, solch künstlerische Wirkung zu schaffen
und dass der grösste Teil des Erfolges in der
technischen Feinfühligkeit, der Ausnützung der
Mittel und der Summe aller geistigen Eigen-
schaften beruht.
Ueber den Einfluss von Anomalien
und Erkrankungen des Sehorganes
auf die Maltechnik.
Von Augenarzt Dr. Emil Berger, Paris, ausländischen korre-
spondierendem Mitglied der König], Akademien der Medizin
in Belgien, Madrid und Turin.
In dieser Abhandlung kann nur in grossen
Grundzügen der Einfluss von Anomalien und Er-
krankungen des Sehorganes auf die Leistungen der
Malkunst dargestellt werden. Dieses Gebiet ist auch
ein viel zu weites und noch nicht genügend er-
forschtes, als dass es möglich wäre, hier eine erschöp-
fende Bearbeitung desselben zu geben. Immerhin
glaube ich, dass das von mir Gebotene genügen
wird, die hohe Bedeutung dieses Gebietes für den
Maler, den Kunstkritiker und insbesondere für den
Kunsthistoriker darzulegen.
Das menschliche Auge ist nicht der vollkommene
optische Apparat, für den es lange Zeit hindurch
mit Unrecht gehalten worden war Helmholtz sagte
mit Recht, er würde einem Optiker ein so unvoll-
 
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