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Münchner kunsttechnische Biätter.
Nr!.
Was neuere Versuche hinsichtiich der Tem-
perafarben des Handels lehrten, ist mit wenigen
Worten gesagt: Die Temperafarben zerfaiien in
fünf Gruppen und zwar:
1. in öiiose (Leim- und Kieister-)Tempera,
zu der die v. Pereira und die Schminckesche
gehören;
2. in Gummi-Oeltempera, der ais Emulsions-
basis Gummi dient; dazu gehört die Medium-
farbe von Müiier & Co. in Stuttgart, die Harz-
emuisions-Tempera von Schmincke, das
Müiier-Coburg-Medium (als Malmitte! zur
Bössenroth-Tempera empfohlen) und die Tem-
pera brillant von Lefranc;
3. in Ei-Oeltempera, mit Eigelb als emul-
gierendes Agens; hierher zu zählen ist dieNeisch-
Tempera, die „verbesserte Eitempera"*),
Lechners Oeltempera (beide von Schönfeld),
Boyers Oeltempera, Malmittel II (das Mal-
mittel I wird als Gummi-Oeltempera bezeichnet),
die Temperas von Haase & Brandt, Bössen-
roth, die von Spitzauer & Eder und als neue-
ste Fabrikate auch die Pelikan-Tempera,
sowie vermutlich die Oeltempera „Saxonia";
4. in die Caseintempera, mit Casein als Basis
und damit emulgierten Oel- oder Harzfirnissen (von
A. Richard, Düsseldorf und von Neisch in Dresden);
$. in Tempera besonderer Zusammenmischung;
dazu gehört die Wurmsche, Gundermanns
und die von Dr. Buss & Co.; über die letztere
wird noch ausführlicher berichtet werden.
Als bemerkenswerteste Neuerung einzelner
Temperafabrikate ist mir das Bestreben aufgefallen,
das Bindemittel so zusammenzusetzen, dass es
sowohl mit Wasser, als auch mit fettem
Oel sich vermischen oder vermalen lässt. Der
Zweck einer solchen „Uebersättigung" mit Oelen
einerseits und emulgierender Basis andererseits
*) Ueber diese Farbe möge das folgende Gut-
achten angefügt werden, das uns vor längerer Zeit
zuging:
„In Nr. 4 der Münchner kunsttechnischen Blätter
befindet sich die Aufforderung, schriftliche Gutachten
über neue Malerfarben an Ihre werte Adresse gelangen
zu lassen. Ich erlaube mir daher, Sie auf die aller-
dings schon längere Zeit im Handel befindlichen, aber
wohl noch nicht nach Gebühr bekannten Pidollschen
.Verbesserten Ei-Tempera-Farben' aufmerksam zu
machen. Meines Wissens finden sie hauptsächlich in
Frankreich Absatz. Sie werden in der Schönfeldschen
Fabrik in Düsseldorf gefertigt. Nach nahezu 13 jähriger
Erfahrung kann ich diese Farben aufs wärmste emp-
fehlen. Ich habe damit Bilder soweit vollendet, dass
nach dem Firnissen keine wesentlichen Veränderungen
eintraten. Retouchen über dem Firnis waren mit
Ludwigschen Petroleumfarben leicht zu bewerkstelligen
und bei vielen Bildern waren sie gar nicht nötig.
Rom, ü. Nov. 1906.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Prof. Artur Vofkmann, Bildhauer und Maler. '
ist offenbar darin zu sehen, dass Tonverände-
rungen beim Auftrocknen und event. nachherigem
Firnissen möglichst verringert werden. Eine
solche Tempera nähert sich den vielfach ausge-
sprochenen Wünschen der Malerwelt, die in dem
unberechenbaren Auftrocknen die Hauptschwierig-
keit der Technik bemängelten; sie steht dem
Charakter der Oelfarbe näher und eignet sich
deshalb für alle Zwecke, wenn es darauf ankommt,
satte und tiefe Töne zu erreichen.
Diese Vorteile bieten tatsächlich die Pelikan-
Temperafarben von Günther Wagner, wenn
man zur Vermischung statt Wasser das beige-
gebene „Malmittel" verwendet. Dieses scheint
mit einem langsam trocknenden Oel emulgiertes
Eigelb zu sein und vielleicht auch andere Sub-
stanzen zu enthalten, die zur Konsistenz der Farbe
beitragen. Malt man mit diesem Malmittel ohne
Wasserzusatz, dann ändert sich der Farbenton
nicht, aber die mit halber Deckfarbe aufgetragenen
Töne „sinken ein", eine Erscheinung, die optisch
damit erklärt werden kann, dass die in der Farbe
eingeschlossenen Luftbläschen beim Trocknen
durch das ölige Bindemittel verdrängt werden.
Um mehrere Töne schnell nacheinander auf-
tragen zu können, und um zu verhüten, dass sich
einzelne Töne wieder lösen und eine Mischung
mit dem neuen Auftrag eingehen, d. h. also um
schnei! Lasuren aufbringen zu können, dient das
„Pelikan-Tempera-Fixativ" (ein Spiritusfirnis, mit
dem Zerstäuber aufzutragen), das den Zweck
eines Zwischenfirnisses zu erfüllen hat. Nach dem
völligen Trocknen des Gemäldes und zur Belebung
eingeschlagener Stellen dient einPelikan-Tempera-
Firnis (vermutlich Mastix in Terpentin gelöst).
Die guten Eigenschaften der Pelikan-Tempera
zeigt auch die Oeltempera „Saxonia" von
Neisch in Dresden. Die Farben sind so zusammen-
gesetzt, dass sie sowohl mit Wasser als auch
mit Oel vermalt werden können. Während näm-
lich alle anderen Temperamalmittel Emulsionen
sind und gelb-milchig aussehen, ist hier das
Malmittel eine klare Flüssigkeit, bestehend aus
„Mastix in gereinigtem Terpentin- und Mohnöl",
also eine Firnismischung, in und mit der die
Tempera sich während der Malarbeit vermengt
oder einbettet. Widerstreben einzelne Farben,
wie dies nicht anders erwartet werden kann,
dann genügt das Verreiben auf der Leinwand
selbst, um die gewünschte [Emulgierung herzu-
stellen. Die Tonveränderung nach dem Firnissen
ist auch hier eine ziemlich unbedeutende.
Nur eine Frage drängt sich bei dieser neuen
Methode der Uebersättigung der Tempera
mit Oel auf: Wozu dann überhaupt die Tempera?
Welche Vorteile gewährt sie dann vor der Oel-
farbe? E. Berger.
Verlag der Werkstatt der Kunst (E. A. Seemann, Leipzig).