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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Ein oströmischer Goldschmuck aus einem Frauengrab
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0030

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EIN OSTRÖMISCHER GOLD SCH MUCK AUS EINEM
FRAUENGRAB

Die außerordentlich reiche Abteilung des antiken
Goldschmuckes in der kürzlich eröffneten Galerie
Bachstitz in Berlin enthält einen aus Südrußland
stammenden Grabfund, der auf besondere Beach
tung Anspruch hat (Abb. 345). Die Hauptstücke
sind eine aus Golddraht geflochtene Halskette mit
zwei tierkopfartigen Endstücken und dem aus zwei
scheibenförmigen Kapseln bestehenden Verschluß;
daran ein ovales Medaillon; zwei Paar Ohrringe
und zwei Fingerringe. Die farbige Ausstattung wird
durch Einlage von Halbedelsteintafeln, vornehmlich
dunkelroten Almandin in Goldzellen (Verroterie
cloisonnee) bewirkt, eine Ziertechnik, die lange
Zeit als spezifisch germanisch gegolten hat, weil ihre
bedeutendsten Denkmäler sich auf den Spuren der
VölkerwanderungvomSchwarzenMeerbisnachdem
Westgotenreich in Spanien gefunden haben. Dar-
unter sind viele und hervorragende Stücke, die
nachweislich zum Besitz longobardischer, fränki-
scher und westgotischer Könige gehört haben. Aber
trotz dieses offenkundigen und engen Zusammen-
hangs der Goldarbeiten mit Zelleneinlage mit der
Kunst der Germanenstämme der Völkerwande-
rungszeit kann kaum noch bestritten werden, daß
gerade die feinsten und vornehmsten Werke dieser
Art oströmische Erzeugnisse sind und daß die Ger-
manen diese wirkungsvolle Technik von Ostrom
übernommen haben, wobei es nicht ohne eine merk-
liche Barbarisierung der spätantiken Formen abge-
gangen ist. Dieser Vorgang einer unfreiwilligen Ver-
gröberung oströmischer Vorbilder durch die Hand
germanischer Goldschmiede wird am besten durch
die großen Goldfibeln aus Szilagy Somlyo im Un-
garischen Nationalmuseum zu Budapest veranschau-
licht, wo die Almandinstücke regellos auf die Fläche
gesetzt sind und das zusammenhängende Filigran-
ornament in einzelne Schnörkel aufgelöst ist. Auch
dieWittislinger Scheibenfibel (Bayerisches National-
museum München) ist ein drastisches Beispiel: hier
ist die spätantike Bandschleife aus Almandinzellen
durch Zusatz von Tierköpfen in ein germanisches
Drachenornament verwandelt. Die natürliche Über-
legenheit des oströmischen Handwerks in der Gold-
arbeit und dem Steinschliff zeigt sich namentlich an
den Schmucksachen aus dem Grab desFrankenkönigs
Childerich (J- 480), dem goldenen Buchdeckel der

Longobardenkönigin Theodelinda (f 625) in Monza
und sie wird auch durch den vorliegenden Schmuck
aus einem Frauengrab wieder bestätigt. Dieser
Schmuck zeigt in den Formen der Fingerringe, des
ringförmigen und des behangförmigen Ohrschmuk-
kes, wie in der Flechtarbeit der Halskette die sicher-
sten Kennzeichen griechischer Tradition und spät-
antiker, oströmischer Ausführung. Kunststücke des
Steinschnittes, wie die Almandinkreuzchen im Oval-
medaillon des vorliegenden Frauenschmucks sucht
man an germanischen Goldarbeiten vergebens. Die
Rückseiten der neben dem Medaillon abgebildeten
Ohrgehänge sind in zarter Treibarbeit als gerippte
Palmblätter gestaltet. Von einer Barbarisierung durch
die Hand germanischer Goldschmiede ist an diesen
Schmuckstücken spätantiker Form nichts zu bemer-
ken. Auch nicht im Ornament des ovalen Medaillons.
Sein Rand zeigt vier Kreise mit Almandinkreuzen
auf weißer Kittunterlage, dazwischen vier Kreise mit
eingeschriebener, geschweifter Raute. Diese Rauten-
kreise wurden früher als germanisches Ornament an-
gesehen, weil sie in Reihen als Randmuster auf dem
Buchdeckel in Monza und auf der westgotischen
Votivkrone des Königs Reccesvinth im Cluny-Mu-
seum, auch auf fränkischem Schmuck vorkommen.
Aber dieses Ornament ist schon Jahrhunderte früher
in der römischen Kunst gebräuchlich, z. B. auf der
geschnitzten Holztüre von S. Sabina in Rom.
Was die Entstehungszeit des Schmuckes angeht, so
könnte man wegen der technischen Ähnlichkeit mit
den Goldarbeiten aus dem Childerichgrab an das
5. Jahrhundert und wegen der ornamentalen Ver-
wandtschaft mit dem Buchdeckel von Monza und
der Westgotenkrone an das 7. Jahrhundert denken.
Das richtige Datum liegt in der Mitte und ergibt
sich aus den zwei getriebenen Goldscheiben der
Halskettenschließe. Sie tragen in der Mitte je ein
Frauenbrustbild (auf der Abbildung verkehrt ste-
hend) mit parallelen Gewandfalten und mit den weit
aufgerissenen Augen mit vertiefter Pupille, ähnlich
den Brustbildern auf dem Justinuskreuz im Vatikan
(565 — 578) und genau so wie auf dem gleichzeiti-
gen Pektoralkreuz, das im Pantheon (III. Heft S. 152)
abgebildet worden ist. Demnach ist der Frauen-
schmuck ebenfalls in die 2. Hälfte des 6. Jahrhun-
derts zu setzen. o.v. f.

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