Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

DOI Heft:
Dussler, Luitpold: Ein Bildnis von Girolamo di Benvenuto
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0067

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EIN BILDNIS VON GIROLAMO DI BENVENUTO

VON LUITPOLD DUSSLER

Die Pflege der Bildnisdarstellung hat sich in der
sienesischen Kunst auch im fünfzehnten Jahrhun-
dert fast ausschließlich auf das Stifterporträt be-
schränkt, ganz im Gegensatz zu Florenz, das im glei-
chen Umfang der Malerei wie der Plastik jene Bild-
aufgabe zugewiesen. In gewissem Sinne mag diese
Eigenart sienesischer Kunst aus dem religiösen Kon-
servatismus und (mit Einschränkung) aus ihrer we-
niger realistischen Gesinnung erklärbar sein, wenn-
gleich die Annahme einer „wirklichkeitsfernen“ Ein-
stellung des sienesischen Quattrocento gänzlich
verfehlt wäre; der tiefere Grund ist vielmehr in einem
mangelnden Verhältnis zum Individuellen, Persön-
lichen zu suchen. Einzig Domenico di Bartolo mit
seinem wirkungsvollen Freskenzyklus im Spedale
von Sta. Maria della Scala scheint eine Ausnahme
zu machen, allein gerade er hat mehr denn seine
übrigen Landsleute sich von auswärtigen Einflüssen
bilden lassen, und so blieb die beredte Sprache sei-
ner lebendigen Wandbildnisse ohne Echo, bis um
die Jahrhundertwende der Umbrer Pinturicchio mit
den Historien aus dem Leben des Piccolomini-
Papstes dieDomlibreria schmückte.Immerhin möchte
man erwarten, von Sienas genialstem Quattrocenti-
sten, Francesco di Giorgio, den Nachweis der Bild-
nispflege erbracht zu sehen, um so mehr, als er in
seinen Medaillen so erstaunliche Proben der Porträt-
darstellung gegeben, doch ist bis heute kein Bildnis
seinerHand an dieOffentlichkeit gekommen. Was bis-
her an sienesischen Tafelbildnissen bekannt gewor-
den, ist zahlenmäßig so gering, daß wir allen Grund
haben, an der Richtigkeit obiger These festzuhalten
und nicht für diese Spärlichkeit den Zufall des Über-
kommenen verantwortlich zu machen, überraschend
bleibt dabei nur, daß die Schöpfer dieser paar Bild-
nisse gerade jene Künstler Sienas sind, bei denen
man am wenigsten ein Porträt gesucht hätte. Neroccio
di Landi, der „wiedererstandene Simone Martini“,
wie ihn Berenson treffend genannt hat, lebt in un-
serer Vorstellung als der Maler jener liebreizenden
Andachtsbilder, die in dem Lyrismus ihrer Linie
und dem Schmelz ihrer zarten Farbenpracht die
glorreiche Tradition des Trecento vergegenwärtigen;
er hat das traumhafte Damenbildnis der Sammlung
JosefWidener geschaffen (Abb. S. 381), nichts ande-

res, als der weltliche Abglanz seiner duftigen Madon-
nenbilder, in der Technik des Malwerks gleich primi-
tiven Niederländern auf feinste Reize der Oberfläche
berechnet. Ihm zur Seite steht ein anderes Frauenpor-
trät, das bis vor Jahresfrist der auserlesenen Samm-
lung Robert Bensons in London angehörte und
nun auch den Weg über den Ozean gegangen ist.
Läßt sich dieses zwar an Qualität mit dem Bildnis
der Widener Collection nicht messen — sein Meister,
Girolamo di Benvenuto besaß weder den angebo-
renen Schönheitssinn noch den subtilen Formge-
schmack des Neroccio — so kann ihm doch nicht
der Rang hoher Bildniskunst streitig gemacht werden.
Das Londoner Bildnis, ehedem in der Sammlung
Piccolomini-Belanti in Siena, hat schon zu Beginn
des vorigen Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der
Kunstfreunde erregt, zumal es damals unter dem
romantischen Namen der Laura dem Simone Mar-
tini zuerkannt wurde, Grund genug, um Raphael
Morghen zu veranlassen es im Stich zu popularisieren.
Die erdichtete Namengebung wurde aber dann bald
fallen gelassen ohne daß man sich weiter um die Rich-
tigkeit der Autorbestimmung bemüht hätte. Irre ich
nicht, so waren es Berenson und Roger Fry, die
erstmals Girolamo di Benvenuto als Schöpfer des
Bildnisses bezeichneten anläßlich der sienesischen
Ausstellung des Burlington Club 1904. Ohne stili-
stische Gründe für diese Attribution formuliert zu
haben, glaube ich doch, daß auch für jene Forscher
das 1508 datierte Gemälde der Sieneser Akademie
(Nr. 414) der Ausgangspunkt ihrer Zuschreibung
gewesen. In der knienden Katharina v. A. der dor-
tigen Tafel begegnen wir nicht allein den gleichen
Formbesonderheiten in Modellierung, Typus und
Auffassung, wie im Porträt Benson, sondern es
scheint mir nahezu gewiß, daß wir die im zeitge-
nössischen Kostüm gekleidete Heilige mit der Vor-
nehmen des Benson-Bildnisses identifizierenkönnen.
Zeitlich dürfte das Porträt etwas früher entstanden
sein als das Stifterbildnis der Akademie, wohl im
ersten Lustrum des 16. Jahrhunderts. Solcher Datie-
rung entspricht auch die Stilstufe des Bildnisses.
Die schüchternen Ansätze, das Porträt im Sinne des
neuen Stils zu beleben, treten zurück gegenüber der
quattrocentistischen Befangenheit seiner Gesamthal-

379

48
 
Annotationen