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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Dobroklonsky, M.: Die Zeichnungen-Sammlung der Ermitage
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0169

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DIE ZEICHNUNGEN-SAMMLUNG DER EREMITAGE

VON M. DOBROKLONSKY

Die Bedeutung der Eremitage, als eines der ersten
Museen Europas, ist gewiß schon längst anerkannt
worden. Doch erst heutzutage, da ihre reichen Kol-
lektionen immer mehr das Augenmerk der europä-
ischen Kunsthistoriker und -liebhaber auf sich ziehen,
hat sie eine richtigere Würdigung erhalten. Und
doch sind bei weitem nicht alle Bestandteile der
Eremitage in gebührendem Maße der Fachliteratur
bekannt. Dies bezieht sich in erster Linie auf ihre
große und mannigfaltige Zeichnungensammlung.
Die Entstehung der letzteren gehört noch der Mitte
des XVIII. Jahrhunderts an und ist der Sammlungs-
tätigkeit der Kaiserin Katharina II., die im Anfang
ihrer Regierung zwei Kollektionen europäischer Her-
kunft, die des Grafen Kobenzl (1768) und die des
Grafen Brühl (1769) erworben hat, zu verdanken.
Diese bedeutenden Sammlungen bildeten den Kern
desZeichnungskabinettsderEremitage. Doch ist nach-
her die Erweiterung dieses Kabinetts ein Gegen-
stand von besonderen Bemühungen der Kaiserin
nicht gewesen, da sie keine besondere Vorliebe für
die Zeichnungen gehabt zu haben scheint. Während
die Begründerin der Eremitage keine Gelegenheit
versäumte, ihre Gemäldegalerie oder ihre Glypto-
thek zu bereichern, wuchs die Zeichnungensammlung
nur zufallsweise an. Dabei wurde eine Reihe von
schätzbarsten Zeichnungserwerbungen alsdann der
Kunstakademie übergeben. Erst in neuerer Zeit sind
sie der Eremitage hinzugekommen.
Dennoch besaß die Sammlung gegen das Ende des
XVIII. Jahrhunderts über 6500 Zeichnungen, dar-
unter sehr viele von höchstem künstlerischem Werte.
Das XIX. Jahrhundert hat in dieser Hinsicht nur
weniges dazugebracht; eine ansehnliche Ergänzung
erhielt bloß das spezielle Gebiet der Architektur-
zeichnungen.
Infolge des erwähnten zufälligen Charakters des
Zuwachses der Sammlung trat immer dringender die
Notwendigkeit hervor, sie planmäßig zu erweitern
und dabei viele von ihren Bestandteilen auf eine hö-
here künstlerische Stufe zu heben.
Während der letzten Jahre begünstigten die Verhält-
nisse des Museenlebens diese Aufgabe. Bald nach
der Revolution bot sich der Eremitage die Gelegen-
heit dar, eine zwar kleine, aber treffliche Gruppe
italienischer Zeichnungen aus der besten russischen
Privatkollektion, nämlich derjenigen von Jaremicz
stammend, zu kaufen. Darauf folgten weitere Berei-
cherungen. Von großer Bedeutung für die Eremitage
waren die 1923 erworbene reichhaltige Zeichnungen-
sammlung der Bibliothek des Stieglitzmuseums und
besonders der im nächsten Jahre hinzugefügte Teil
derjenigen der Kunstakademie, sowohl wie die vor-

zügliche, wenn auch nicht große Worob jewsammlung,
vom Besitzer der Eremitage vermacht. Dank diesen
letzteren Ergänzungen sehen wir den Bestand des
Zeichnungkabinetts der Eremitage seit 1917 verdop-
pelt: er zählt über 30000 Blätter, worunter die mei-
sten europäischen Meister vertreten sind.
Ist es nun gelungen, viele Lücken der Sammlung aus-
zufüllen, so beruht noch immer ihre unbestreitbare
Bedeutung hauptsächlich auf dem Reichtum einzelner
Zeichnungengruppen. Es ragt eine Menge durchaus
qualitätvoller Blätter hervor. Vieles andere, wenn
auch von minderem künstlerischen Werte, bietet
dennoch ein wesentliches Interesse als Studien-
material dar.
Die Zeichnungen der italienischen Schule gehören
dem Teil der Sammlung, in der die größten Lücken und
die Ungleichmäßigkeit der Auswahl besonders auf-
fallend sind. Durch eine ausreichende Vollständig-
keit und jedenfalls durch die Reichhaltigkeit ihres
Bestandes zeichnen sichnur die Venezianer aus. Doch
ihr quantitatives Überwiegen vermindert nicht die
Bedeutsamkeit einer großen Auswahl vorzüglichster
Blätter anderer Schulen,welche weniger systematisch
vertreten sind. Von den frühen Zeichnungen ist
nur wenig da. Die Anzahl der italienischen Stücke
des XV. Jahrhunderts reicht nicht über dreißig hin-
aus, doch ist ihr Niveau recht hoch. Als eine der
frühesten Zeichnungen nennen wir eine prachtvolle
Studie eines Männerkopfes in starker Verkürzung
aus dem Uccello-Kreise. Es folgen darauf schöne
Werke von Signorelli, Francesco Francia, Liberale
da Verona, Ercole Roberti. Eine Zeichnung, die ich
als Werk des letzteren bestimmen konnte, sei als
qualitätvolles und höchst seltenes Beispiel eines
Gruppenbildnisses der Epoche besonders hervorge-
hoben. Das mir zur Verfügung stehende ikonogra-
phische Material gestattete es, in den drei Figuren
des Vordergrundes den Herzog von Ferrara Ercole L,
seinen Bruder Sigismondo und seinen Sohn Alfonso
d’Este zu erkennen.
Das venezianische Quattrocento wird mit einigen
interessanten anonymen Blättern vorgestellt. Dem
XVI. Jahrhundert gehören: eine Hadeln unbekannt
gebliebene tizianische Federzeichnung — „Amor mit
Geige“—■, vorzügliche Blätter Campagnolas, Tinto-
rettos und seines Kreises, etwas geringere von Vero-
nese, einige von Bassano, mehrere schöne Exemplare
von Palma Giovane und zahlreiche von Paolo Farinato.
Auch nur die interessantesten Stücke der Sammlung
aufzuzählen würde uns aus den Schranken unseres
Artikels ziehen. Dennoch ist es notwendig, zwei
Zeichnungen Peruzzis — „Anbetung der Hirten“
und „Androkles mit dem Löwen“—, welche zu vielen

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