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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Planiscig, L.: Eine unbekannte Bronzegruppe des Giambologna
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0070

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EINE UNBEKANNTE BRONZEGRUPPE DES GIAMBOLOGNA

VON L. PLANISCIG

Das Oeuvre Giambolognas, schon in alter Zeit durch
Borghini und Baldinucci gewürdigt, und, was das
Material an Tatsachen angeht, von der modernen
Forschung ziemlich genau untersucht, gilt heute im
großen und ganzen als festgestellt. Ein unbekanntes
Werk, das ihm zugeschrieben werden kann, ist daher
stets von Bedeutung, von besonderer jedoch eines,
das die Beleuchtung der Wesensart und der stili-
stischen Eigentümlichkeiten des Künstlers von einer
neuen Seite her gestattet.
Obwohl schon Mancherlei über Giambologna ge-
schrieben wurde, so hat man es doch, fast mit einer
gewissen Scheu, unterlassen, etwas Eindeutiges und
Bestimmtes über die Herkunft und über die Be-
deutung seines Stiles zu sagen. Dies ist wohl daraus
zu erklären, daß Giambologna einer Periode der
Kunst angehört, die ihrem Wesen nach noch kaum er-
forscht ist. Man ging eben erst in der allerletzten Zeit
daran, die Kunst des späten italienischen Cinque-
cento als ein Ganzes zu studieren, ohne sie, wie
man dies früher für Cellini, Leoni und Giambologna
getan hatte, in lauter Künstlermonographien zu zer-
legen, in denen der Held den Mittelpunkt darstellte
und alles um ihn her gleichsam versank. Langsam be-
ginnen wir zu verstehen, was die Überwindung
Michelangelos in der italienischen Kunst bedeutete
und welcher Sinn jener Periode, die man Manieris-
mus zu nennen pflegt, innewohnt. Früher neigte
man dazu, sie als ein Vorspiel zum Barock, als eine
Atempause zwischen Michelangelo und Bernini auf-
zufassen und ihre Kunst etwa so anzusehen, wie
man die der Giottisten zwischen Giotto und Ma-
saccio ansah. Und da enge Lokalforschung oder
rein monographisches Interesse zwischen Land und
Land, ja zwischen Künstler und Künstler Mauern
errichteten, über die man weder hinaussehen wollte
noch konnte, wurde der allgemeinen Bedeutung
eines Zeitabschnittes nicht Rechnung getragen, in
dem zum ersten Male seit der Gotik, der innersten
Gesinnung nach, eine Kunst im Abendlande zu
herrschen begann, mit solcher Kraft begabt, daß sie
alle Sonderbestrebungen zu Provinzialismen werden
ließ. Daraus erklärt es sich auch, warum der Flame
Jean de Boulogne so rasch zum Italiener werden,
weshalb seine Kunst diesseits und jenseits der Alpen
auf gleiche Weise verstanden und gewürdigt werden

konnte. Ein Ausgleich der Kräfte hatte stattgefunden.
Wie die Gotik den Orient, Byzanz mit all seinen
antiken Überlieferungen, überwand, überwindet der
Manierismus die antikisierende Periode des Abend-
landes, die wir Renaissance nennen und die an sich
eine Notwendigkeit bedeutete, aber niemals eine
Umkehr werden konnte. Über die neue, unter dem
Eindruck der Antike erstandene Form, die der
abendländischen Kunst auf italienischem Boden
einen kurzen, in sich vollendeten Frühling des
Geistes brachte, errang die Stimme des Blutes den
Sieg. Schon mit Michelangelos Pieta ist das Idyll
zu Ende, gerade durch das Erscheinen dieses emi-
nent „gotischen“ Motives, dessen Ursprung Pinder
so klar dargelegt hat, siegt inmitten allen Antiki
sierens jener abendländische Kunstsinn,zu demltalien
erst durch die Überwindung der Antike gelangen
konnte, dem es dann aber, neu erwacht, als Führer
zur Herrschaft verhelfen sollte.
Auch das Werk, das wir hier dem reichen Schaffen
Giambolognas angliedern wollen, ist eine Pieta.
Fast scheint es uns seltsam (obgleich wieder die alte
Literatur gerade die Kruzifixe Giambolognas zu
rühmen weiß), daß wir unter den vielen antikischen
und mythologischen Vorwürfen unseres Künstlers
diesem in der italienischen Kunst so seltenen Thema
begegnen. Es handelt sich um eine 29,5 cm hohe
Bronzegruppe der Sammlung Carl von Weinberg
in Waldfried bei Frankfurt a. M.; andere Exemplare
dieses Werkes sind — ein seltener Fall bei Giambo-
logna — nicht bekannt. Die Wahl des Vorwurfes
ist bei dem Flamen Giambologna bis zu einem
gewissen Grade aus rein äußerlichen Gründen
leichter zu erklären als bei Michelangelo, denn seine
nordische Heimat bot ihm Beispiele genug, die
ihm den Weg zu einer solchen Gestaltung weisen
konnten. Wenn wir bei Giambolognas weiblichen
Gestalten, welche gewöhnlich Göttinnen der Antike
vorstellen, oder bei seinen vielen männlichen Akten,
in denen die Person des Herkules geschildert er-
scheint, geneigt sind, im wesentlichen die antiki-
sierende Komponente seiner Kunst zu berücksich-
tigen, so geschieht dies, weil wir in seinem Werk
vor allem eine Art Fortentwicklung der Renais-
sanceideen zu sehen uns gewöhnt haben, woran
unsere akademisch-klassizistische Schulung nicht

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