EINE BÜSTE VON HOUDON
VON ADOLF FEULNER
Ein alter Herr, vielleicht ein Siebzigjähriger, mit feinen durch-
geistigten Zügen. Die hohe, gekerbte Stirne und die müden
Gelehrtenaugen sagen uns allein schon, wen wir vor uns haben.
Ein überlegenes, etwas spöttisches Lächeln hellt dieses bartlose
Genießergesicht auf, dem Hängebacken und Doppelkinn
die gesättigte Würde des Epikuräers geben. An der Tafel des
Lebens waren dem Mann die Genüsse nicht versagt. Auch
ohne die Tracht, die Perücke mit der doppelten Lockenrolle,
den einfachen Rock mit Weste und Spitzenjabot würde man
diesen Kopf als den typischen Menschen der Aufklärungszeit
ansprechen. Es ist Friedrich Melchior von Grimm, kurz
der Baron Grimm genannt, der Freund von Diderot, der Autor
geistreicher Essays, der Vermittler zwischen der Pariser
und der europäischen Gesellschaft. Von 1748—92 lebte
der Literat, Sohn eines Pastors in Regensburg (wo er 1723
geboren war), als Gesandter und Berichterstatter in Paris,
bis ihn die Revolution zur Rückkehr nach Deutschland zwang.
In Gotha ist er 1807 gestorben. Mit ihm waren auch seine
Zöglinge nach Gotha gezogen, die drei Kinder des Grafen
Alexander August Duroux de Bueil und der Emilie de Bel-
sunce. Diese war ein Enkelkind der Madame d’Epinay, der
Geliebten Rousseaus, der Freundin Grimms. Eines dieser
Kinder, Katharina de Bueil (1778—1835), hat uns in ihrer
wertvollen, an interessanten Nachrichten reichen Selbstbio-
graphie, die unter dem Titel „Erinnerungen einer Urgroß-
mutter“ von Graf Oberndorff herausgegeben wurde, die Ge-
schichte der Flucht und die späteren Schicksale der Familie
ausführlich erzählt. Im Besitze der Familie hat sich auch die
Büste weitervererbt. Auch wenn die Tradition den Namen
nicht konserviert hätte, an den Zügen mit der scharfen Nase
wäre Grimm bestimmt zu erkennen, wie schon ein Vergleich
mit dem Porträt von Carmontelle zeigen kann, das der Neuaus-
gabe der Correspondance litteraire beigegeben ist (Paris 1886),
oder mit den Bildnissen im Catalogue de la Collection de
portraits (Cabinet des Estampes vol. IV, N. 19, 377).
Eigentlich ist damit auch schon angegeben, wer der Autor
dieser meisterhaften Büste ist. Es kann niemand anders sein
als der Bildhauer, der auch in der Correspondance oft genug
gerühmt wird, Houdon, der Porträtist der europäischen
Gesellschaft im späten 18. Jahrhundert. Er hat auch die
Freunde und Bekannten Grimms, Diderot d’Almbert, Buffon
und andere Geistesgrößen porträtiert. Allerdings wird das
Porträt Grimms in der Literatur nicht zitiert. Weder in
den „livrets du Salon“, aus denen Georges Giacometti (le
statuaire Jean Antoine Houdon et son epoque, Paris 1918)
sorgfältig die Nachrichten über Houdon exzerpiert hat, noch
im „memoire de Houdon“, das der Künstler selbst 1794 für
seinen Freund Bachelier verfaßt hat. Aus der gleichen Bio-
graphie wissen wir auch, daß beide Listen unvollständig sind
und daß eine Reihe von signierten Arbeiten fehlen, die in-
zwischen aufgetaucht sind. Es wäre zwecklos, nach Gründen
zu suchen, weshalb das eine oder andere Werk nicht genannt
wurde. Den besten Beweis der Autorschaft Houdons bringt
die handschriftliche Eigenart der Büste. Der terrakottaförmig
getönte Stuck und der Sockel aus afrikanischem Marmor sind
das beliebte Material Houdons (H. 0,66). Wer in diesen Tagen
J.A. HOUDON. FRIEDRICH MELCHIOR VON GRIMM
die Houdon-Ausstellung in der Galerie Burelot in Paris
besucht hat, kann diese Angaben leicht nachprüfen. Hier
genügt ein Hinweis auf die leicht zugängliche größte deutsche
Houdon-Sammlung im Museum Schwerin, die Steinmann
(Monatshefte für Kunstwissenschaft IV 1911, S. 207f.) pu-
bliziert hat. Die meisten Büsten Houdons haben den einfach
profilierten Sockel, den gleichen abgerundeten^Ausschnitt als
unteren Abschluß und die gleiche momentane Wendung des
Kopfes, die auch den strengen stilisierten Werken die Le-
bendigkeit gibt. Dazu die Einzelheiten. Eine Eigenart Hou-
donscher Bildnisse ist die scharfe Begrenzung der Lippen, die
auf der Büste Grimms ganz ähnlich sind wie auf der Rous-
seaubüste in Schwerin. Die weich gestrichelte Perücke mit
dem verschwimmenden Ansatz der Flaare hat ganz ähnlich
die Buffonbüste von 1781. Die gekräuselte Endung des Hals-
tuches kehrt analog auf der Büste des Friedrich Franz
von Mecklenburg-Schwerin wieder, und selbst die Art, wie
die Knopflöcher des Rockes schief eingeritzt sind und ein
Knopfloch leer bleibt, um den Eindruck des Momentanen,
Zufälligen zu steigern, ist an der Rousseaubüste als hand-
schriftliche Eigenart wieder zu finden. Das wichtigste Kri-
terium aber ist die künstlerische Qualität. Nicht einer der
gleichzeitigen Bildhauer in Paris hat die Schärfe der Cha-
rakteristik, diesen vergeistigten Realismus, die Verbindung
von Strenge im Aufbau und malerischer Lebendigkeit im
Detail, die Sicherheit jedes Striches.
Die Büste wird in den letzten Jahren von Grimms Aufenthalt
in Paris entstanden sein. Das Alter des Literaten und die
Ähnlichkeit mit den angeführten Spätwerken legen diese
Datierung um 1790 nahe. Ein zweites Exemplar ist bisher
nicht bekannt geworden.
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VON ADOLF FEULNER
Ein alter Herr, vielleicht ein Siebzigjähriger, mit feinen durch-
geistigten Zügen. Die hohe, gekerbte Stirne und die müden
Gelehrtenaugen sagen uns allein schon, wen wir vor uns haben.
Ein überlegenes, etwas spöttisches Lächeln hellt dieses bartlose
Genießergesicht auf, dem Hängebacken und Doppelkinn
die gesättigte Würde des Epikuräers geben. An der Tafel des
Lebens waren dem Mann die Genüsse nicht versagt. Auch
ohne die Tracht, die Perücke mit der doppelten Lockenrolle,
den einfachen Rock mit Weste und Spitzenjabot würde man
diesen Kopf als den typischen Menschen der Aufklärungszeit
ansprechen. Es ist Friedrich Melchior von Grimm, kurz
der Baron Grimm genannt, der Freund von Diderot, der Autor
geistreicher Essays, der Vermittler zwischen der Pariser
und der europäischen Gesellschaft. Von 1748—92 lebte
der Literat, Sohn eines Pastors in Regensburg (wo er 1723
geboren war), als Gesandter und Berichterstatter in Paris,
bis ihn die Revolution zur Rückkehr nach Deutschland zwang.
In Gotha ist er 1807 gestorben. Mit ihm waren auch seine
Zöglinge nach Gotha gezogen, die drei Kinder des Grafen
Alexander August Duroux de Bueil und der Emilie de Bel-
sunce. Diese war ein Enkelkind der Madame d’Epinay, der
Geliebten Rousseaus, der Freundin Grimms. Eines dieser
Kinder, Katharina de Bueil (1778—1835), hat uns in ihrer
wertvollen, an interessanten Nachrichten reichen Selbstbio-
graphie, die unter dem Titel „Erinnerungen einer Urgroß-
mutter“ von Graf Oberndorff herausgegeben wurde, die Ge-
schichte der Flucht und die späteren Schicksale der Familie
ausführlich erzählt. Im Besitze der Familie hat sich auch die
Büste weitervererbt. Auch wenn die Tradition den Namen
nicht konserviert hätte, an den Zügen mit der scharfen Nase
wäre Grimm bestimmt zu erkennen, wie schon ein Vergleich
mit dem Porträt von Carmontelle zeigen kann, das der Neuaus-
gabe der Correspondance litteraire beigegeben ist (Paris 1886),
oder mit den Bildnissen im Catalogue de la Collection de
portraits (Cabinet des Estampes vol. IV, N. 19, 377).
Eigentlich ist damit auch schon angegeben, wer der Autor
dieser meisterhaften Büste ist. Es kann niemand anders sein
als der Bildhauer, der auch in der Correspondance oft genug
gerühmt wird, Houdon, der Porträtist der europäischen
Gesellschaft im späten 18. Jahrhundert. Er hat auch die
Freunde und Bekannten Grimms, Diderot d’Almbert, Buffon
und andere Geistesgrößen porträtiert. Allerdings wird das
Porträt Grimms in der Literatur nicht zitiert. Weder in
den „livrets du Salon“, aus denen Georges Giacometti (le
statuaire Jean Antoine Houdon et son epoque, Paris 1918)
sorgfältig die Nachrichten über Houdon exzerpiert hat, noch
im „memoire de Houdon“, das der Künstler selbst 1794 für
seinen Freund Bachelier verfaßt hat. Aus der gleichen Bio-
graphie wissen wir auch, daß beide Listen unvollständig sind
und daß eine Reihe von signierten Arbeiten fehlen, die in-
zwischen aufgetaucht sind. Es wäre zwecklos, nach Gründen
zu suchen, weshalb das eine oder andere Werk nicht genannt
wurde. Den besten Beweis der Autorschaft Houdons bringt
die handschriftliche Eigenart der Büste. Der terrakottaförmig
getönte Stuck und der Sockel aus afrikanischem Marmor sind
das beliebte Material Houdons (H. 0,66). Wer in diesen Tagen
J.A. HOUDON. FRIEDRICH MELCHIOR VON GRIMM
die Houdon-Ausstellung in der Galerie Burelot in Paris
besucht hat, kann diese Angaben leicht nachprüfen. Hier
genügt ein Hinweis auf die leicht zugängliche größte deutsche
Houdon-Sammlung im Museum Schwerin, die Steinmann
(Monatshefte für Kunstwissenschaft IV 1911, S. 207f.) pu-
bliziert hat. Die meisten Büsten Houdons haben den einfach
profilierten Sockel, den gleichen abgerundeten^Ausschnitt als
unteren Abschluß und die gleiche momentane Wendung des
Kopfes, die auch den strengen stilisierten Werken die Le-
bendigkeit gibt. Dazu die Einzelheiten. Eine Eigenart Hou-
donscher Bildnisse ist die scharfe Begrenzung der Lippen, die
auf der Büste Grimms ganz ähnlich sind wie auf der Rous-
seaubüste in Schwerin. Die weich gestrichelte Perücke mit
dem verschwimmenden Ansatz der Flaare hat ganz ähnlich
die Buffonbüste von 1781. Die gekräuselte Endung des Hals-
tuches kehrt analog auf der Büste des Friedrich Franz
von Mecklenburg-Schwerin wieder, und selbst die Art, wie
die Knopflöcher des Rockes schief eingeritzt sind und ein
Knopfloch leer bleibt, um den Eindruck des Momentanen,
Zufälligen zu steigern, ist an der Rousseaubüste als hand-
schriftliche Eigenart wieder zu finden. Das wichtigste Kri-
terium aber ist die künstlerische Qualität. Nicht einer der
gleichzeitigen Bildhauer in Paris hat die Schärfe der Cha-
rakteristik, diesen vergeistigten Realismus, die Verbindung
von Strenge im Aufbau und malerischer Lebendigkeit im
Detail, die Sicherheit jedes Striches.
Die Büste wird in den letzten Jahren von Grimms Aufenthalt
in Paris entstanden sein. Das Alter des Literaten und die
Ähnlichkeit mit den angeführten Spätwerken legen diese
Datierung um 1790 nahe. Ein zweites Exemplar ist bisher
nicht bekannt geworden.
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