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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Kippenberger, Albrecht: Ausstellung "Religiöse Kunst aus Hessen und Nassau" in Marburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0096

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AUSSTELLUNG „RELIGIÖSE

KUNST AUS HESSEN UND

NASSAU“ IN MARBURG

Um einen Irrtum zu vermeiden, sei gleich im Anfang gesagt,
daß die Bezeichnung „Religiöse Kunst“ in der Ausstellung
keine besondere Rechtfertigung findet, denn das religiöse Mo-
ment ist bei der Auswahl kaum leitend gewesen. Es ist eben
vor allem mittelalterliche und das heißt ja kirchliche Kunst,
die gezeigt wird. Von dieser hat man alles, was in Hessen und
Nassau erreichbar war, zusammengetragen. Die Fülle davon
gibt Zeugnis von dem Reichtum an bodenständigen Werken,
zugleich auch von der Leistung der Ausstellung an sich, an
der die zu wirtschaftlichen Opfern bereite Stadt Marburg, das
immer aktive kunstgeschichtliche Seminar der Universität —
außer Prof. Hamann vor allem Dr. Steinbart — und auch
das mit dem Land verwachsene hessische Staatsarchiv Anteil
haben.
Schöpfungen wie die ergreifende Pieta aus dem Domschatz
zu Fritzlar mit dem fast haltlosen Schmerz der Maria oder
die monumentale Madonna mit dem erstarrten Leichnam aus
Wetzlar, der Farben- und Seelenzauber des Schottener Altars,
die vornehme Lieblichkeit der Grabdenkmäler aus der Kirche
zu Lieh — wie sie alle auf der Ausstellung vertreten sind,
mögen als die stärksten Eindrücke vorweg genannt sein.
Die kirchliche Kunst in Hessen und Nassau sammelt sich
hauptsächlich — nachdem sich Limburg zurückgehalten hat
und Mainz, um die Ausstellung von Darmstadt nicht zu
wiederholen, ausgelassen wurde — um die Dome von Fritzlar,
Fulda, Wetzlar, um die Elisabethkirche in Marburg und um
deren ein wenig jüngere Schwester, das Kloster Altenberg an
der Lahn.
Fritzlar erhält seine besondere Note durch die Goldschmiede-
arbeiten, von denen das Tragaltärchen des 12. Jahrhunderts
mit der von einer Kreuzigungsgruppe allein erhalten geblie-
benen Johannesfigur, ein Buchdeckel in Grubenschmelz und
ein Vortragekreuz, auch diese aus dem 12. Jahrhundert, her-
vorgehoben seien — Fulda durch seine schönen Kasein. Der
sog. Elisabethsaal des Marburger Museums konnte fast un-
verändert in die Ausstellung übernommen werden: Die einzig-
artigen Totenschilde aus den Jahren 1230—1450 etwa, der
große Teppich des 15. Jahrhunderts mit der ornamental ab-
gekürzten, drastisch-ausdrucksvollen Bilderfolge der Ge-
schichte vom verlorenen Sohne, für den Betty Kurth eine
thüringisch-hessische Werkstsatt nachweisen konnte, die Glas-
malereifelder der Dreieinigkeit und von Kain und Abel aus
dem Schöpfungsfenster der Elisabethkirche, die Fenster der
klugen und törichten Jungfrauen ebendaher, die seit Jahr-
zehnten in der Küsterei der Kirche abgestellt waren und mit
der Einweihung des neuen Museumsgebäudes im vorigen
Jahre in das Museum übertragen worden sind.
Im Kreise um die hl. Elisabeth bleiben wir auch in Altenberg.
Ganz in deren persönliche Nähe versetzt ein gewebtes Band,
das für die Ausstellung aus dem German. Museum hergeholt
wurde, mit der gestickten Inschrift auf der Rückseite „Ger-

trudis filia beate Elisabeth me fecit“. Die sog. Almosentasche
der Elisabeth, in Ranken um Ritterfiguren aufs zierlichste be-
stickt, ein Ring und eine prächtige Silberkanne sollen nach
der Tradition der Heiligen selbst gehört haben, sind aber, zum
Teil wenigstens, spätere Arbeiten. Die überraschend kostbare
Deckelfüllung der Kanne mit dem thronenden Weltenrichter
in übereck gestelltem Feld, von den Evangelistensymbolen in
Halbkreisen umgeben, verdient gewiß Beachtung.
Die Schätze von Altenberg sind bei der Säkularisation auf
den Fürsten Solms zu Braunfels übergegangen, von wo sie,
wie die berühmte Altenberger Madonna, die leider in Mar-
burg nicht gezeigt werden kann, zum Teil in Privathand kamen.
Braunfelsischer Besitz ist noch die stehende Mutter Gottes
vom Ausgang des 14. Jahrhunderts aus Altenberg. Die Sticke-
reien der Nonnen von Altenberg, deren erste eben das er-
wähnte Band der sei. Gertrud ist, sind mit einer Altardecke
mit doppelter Halbfigurenreihe in Weißstickerei vertreten.
Diese Hauptkunstkreise sind dann in dankenswerter Weise
durch Stücke ergänzt worden, die ihre Heimat verloren haben
und in fremde Sammlungen kamen, so daß nun für kurze Zeit
Altzusammengehöriges wieder sinnvoll vereinigt wurde. Das
gilt z. B. für die fast antikisch rein und groß gezeichneten
Figuren-Weißstickereien des 13. Jahrhunderts, die aus einem
Kloster bei Fulda stammen und heute Eigentum des Berliner
Schloßmuseums sind, für die von Meyer-Barkhausen als karo-
lingisch nachgewiesenen Kapitelle des Fuldaer Doms, die das
Marburger Museum bewahrt, für die Seidenstoffreste des 12.
und 13. Jahrhunderts in Marburg aus dem Schrein der Elisa-
beth, zu denen sich aus dem Histor. Museum in Frankfurt und
aus Schloß Laubach weitere Muster gesellt haben.
Darüber hinaus hat man in der Ausstellung Gruppen zusam-
mengestellt, die als Forschungsergebnisse einzelne Meister
oder Werkstätten veranschaulichen. So kann man die Arbei-
ten der Fritzlarer Goldschmiede als Schulstücke mit den Vor-
bildern und Meisterwerken des Roger von Helmarshausen
vergleichen, so sind die Arbeiten des Marburger Bildhauers
Ludwig Juppe (um 1500) aus der Sammlung des Hessischen
Geschichtsvereins durch ihm nahestehende Stücke aus Nürn-
berg und Berlin erweitert worden.
Die Glasfenster aus der kleinen Kirche von Winnen bei Mar-
burg, die das Kasseler Landesmuseum herlieh, gehören ganz
sichtlich zu der gleichen Glashütte, aus der auch die großen
Stücke der Elisabethkirche stammen. Ein Vergleich zeigt, daß
sie Figur für Figur, ohne Ängstlichkeit zwar und in ganz ver-
einfachter Weise und stark verkleinert, den gotischen Fenstern
der Elisabethkirche aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts
nachgezeichnet sind.

Die hier wiedergegebenen Abbildungen sind hergestellt nach Aufnahmen, die
uns freundlichst das kunstgeschichtliche Seminar in Marburg zur Verfügung ge-
stellt hat.

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