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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Glück, Gustav: Ein Frauenbildnis von Moretto in der Wiener Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0184

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EIN FRAUENBILDNIS VON MORETTO IN DER
WIENER GALERIE
ZU UNSERER FARBIGEN TAFEL, GEG. S. 475

Mehr als in irgendeiner andern Schule gibt es in der
venezianischen -im weitestcnVerstande desWortes -
hervorragende Werke, besonders Bildnisse, deren
Bestimmung selbst unter den besten Kennern dieses
Gebietes heute noch strittig ist. Zu dieser Unsicherheit
trägt vielfach der Erhaltungszustand solcher Gemälde
bei. Allein selbst in manchen Fällen, in denen nach
der Entfernung entstellender Firnisschichten und
Schmutzlagen völlige Klarheit über die ursprünglichen
Absichten des Malers geschaffen wurde, bleibt noch
ein Rest des Rätselhaften übrig. Als Beispiel mag das
hier farbig abgebildete Porträt einer vornehmen
jungen Dame in der Gemäldegalerie des Kunsthistori-
schen Museums zu Wien gelten, welches vor wenigen
Jahren von jenen störenden Zutaten befreit wurde
und sich dabei als völlig wohlerhalten herausstellte.
Während es früher wenig beachtet und geschätzt
worden war, enthüllte es sich nun als ein wahres
Meisterwerk. Die bisherigen Bestimmungen des
Malers waren sehr verschieden gewesen. Allzu
bescheiden als Kopie nach Bordone bezeichnet,
wurde es gegen Ende
des 19. Jahrhunderts in
die Galerie eingcreiht.
FranzWickhoff, dem spä-
ter Detlev von Fladeln
zustimmte, gab dem Ge-
mälde nicht ohne Vor-
behalt den Namen Boni
fazio Veroneses, Bern-
hard Berenson dachte
an Francesco Beccaruzzi,
Carlo Gamba an Seba-
stiano Florigerio.
Diese Namen schienen
dem zu gering, der das
Bild nach der Reinigung
kennen lernte. Schon die
Anlage des Ganzen zeigt
eine seltene Harmonie.
Leicht und ungezwungen
sitzt die Dargestellte da.
Es ist wohl eine junge
Edelfrau, die gewohnt
ist, einen großenTeil des
Jahres auf dem Lande zu
verbringen. Von Reich-
tum zeugen der kostbare
Perlenschmuck am Hal
se, das an der Brust
eckig ausgeschnittene
rote Seidenkleid mit den
kräftig blauen Bändern

und den gebauschten und geschlitzten sattgrünen
Ärmeln, der goldene Gürtel, der wertvolle braune Pelz.
Die eigentümliche Bildform macht kaum einen rein
venezianischen Eindruck. Der feine Silberton der
Färbung erinnert an das zarte, bläulich-kühle Licht
einer Stadt wie Brescia. Hier dürfte auch das Bild
entstanden sein, und als sein Schöpfer könnte der
berühmteste unter den Malern von Brescia ange-
nommen werden : Alessandro Buonvicino, genannt
M o r e 11 o. An ihn erinnert vieles, darunter die schon
vonVasari an seinen Arbeiten gerühmte, vollendete
Wiedergabe des Stofflichen in Gewandung und Pelz.
Man müßte an eine frühe Arbeit des Künstlers denken,
der hier noch Anzeichen der Einwirkung Romaninos
und wohl auch Palma Vecchios verriete. Unser Bild
könnte um dieselbe Zeit entstanden sein, wie das 1530
geschaffene Altarbild der heiligen Margherita di Cor-
tona in S. Francesco zu Brescia, und der Weg zu den
späteren, bewegt komponierten, breiter und weicher
gemalten Porträten Morcttos, wie besonders dem
des Grafen Sciarra Martinengo in der National
Gallery zu London und
dem eines Mitglieds der-
selben Familie Martinen-
go im Wiener Privatbe-
sitz, scheint nicht allzu
weit zu sein.
Ob wir wohl mit unserer
Vermutung Recht behal-
ten werden, auf die unser
Freund und Mitarbeiter
Dr. Johannes Wilde
gleichzeitig mit uns ge-
kommen ist ? Seitdem
das Gemälde in der Wie-
ner Galerie Morettos
Namen führt, sind schon
wieder Zweifel laut ge-
worden, und einzelne
Kenner haben an den
Proteus unter den vene-
zianischen Malern, an
Lorenzo Lotto, erinnert.
Dieser Taufe vermögen
wir nicht zuzustimmen,
wollen aber die Hoff-
nung nicht aufgeben,
daß von der künftigen
Forschung das Rätsel
des Urhebers dieses
köstlichen Werks end-
gültig gelöst werden
Wird. Gustav Glück


TORKLOPFER. BRONZE. VENEDIG, SANSOVINOSCHULE
16. JAHRH. PARIS, SAMMLUNG FOULC

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