Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

DOI Heft:
Glück, Gustav: Schicksale einer Komposition Lionardos
DOI Heft:
Neuerwerbungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0201

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SCHICKSALE EINER KOMPOSITION LIONARDOS

ganz anderes als das mancher seiner Vorgänger und
Zeitgenossen, die, wie etwa Memling und David,
einzelne von den Formen des Südens nachgeahmt
haben. Metsys’ gesamte Kunst, sein Stil und seine
Ausdrucksweise sind ohne die Annahme der Ein-
wirkung italienischer Kunst nicht zu erklären: sein
ganzes Wesen ist davon erfüllt. Dadurch bringt er
in die niederländische Malerei etwas Neues, bisher
Ungeahntes.
Diese Dinge sind schon vor fast einem Vierteljahr-
hundert in ähnlichem Sinne von Walter Cohen in
seinem auch heute noch lesbaren und lehrreichen
Buche über Metsys1) ausführlich besprochen und
die einzelnen Gründe dieser Auffassung aufgezeigt
worden. Danach kommt auch uns die Annahme einer
Reise, die den Künstler ebenso wie Dürer nicht über
Oberitalien hinausgeführt haben dürfte, höchst wahr-
scheinlich vor. Sie ist nirgends bezeugt; sie zu ver-
muten, liegt aber nahe, da der Maler viel in humani-
stischen Kreisen verkehrte, in denen Italienfahrten
damals schon etwas Alltägliches zu werden begannen.
Irgendwo — und wir möchten am ehesten glauben:
in Mailand selbst — muß Metsys mit dem Genius
Lionardos oder mindestens mit einer Fülle seiner
Ausstrahlungen bekannt geworden sein. Ohne leben-
dige Anschauung von Hauptwerken der lombardi-
schen Kunst hätte er die fremde Weise nicht so in
sich aufnehmen, nicht so mit der eigenen verschmel-
zen können. Wie man damals den heutigen strengen
Studien zu Quinten Metsys, ein Beitrag zur Geschichte der Malerei in den
Niederlanden, Bonn 1904, S. 61.

Begriff des Plagiats noch nicht kannte, so hat er
auch seiner Verehrung für Lionardo bewußten Aus
druck durch gelegentliche Entlehnungen gegeben,
deren sich bei ihm mehr feststellen lassen, als bei
Joos van Cleve. Eine solche aus der berühmten
Komposition der heiligen Anna selbdritt ist durch
ein Gemälde in der Raczynskischcn Sammlung zu
Posen schon seit langem bekannt. Kürzlich hat auch
Max .1. Friedländer1) auf die Benützung Lionardo-
scher Vorbilder bei Metsys' Charakterstudien eines
häßlichen Mannes und eines häßlichen Weibes hin-
gewiesen, und in der Tat gibt es noch heute eine
Rötelzeichnung Lionardos in Windsor 2), welche die
grotesken Züge derselben Frau wiedergibt. Dazu
kommt nun noch die von uns in jenem Bilde der
küssenden Kinder in Chatsworth vermutete Ent-
lehnung 3). Nicht Joos van Cleve, der die bei ihm un-
verkennbaren Anregungen der lombardischen Ma-
lerei ebenso gut durch Metsys’ Vermittlung und durch
seinen eigenen Aufenthalt in Paris erhalten haben
kann wie durch eine italienische Reise, hat das
schöne Motiv nach den Niederlanden gebracht,
sondern sein Vorgänger Metsys, der mit seinem Vor-
bilde Lionardo durch viel engere Bande verknüpft
gewesen ist.

’) Der Cicerone XIX , 1927, S. 1.
2) Abgebildet bei E. Hildebrand, Leonardo da Vinci, Berlin 1927, S. 323.
3) Das Exemplar der küssenden Kinder, das Franz I. von Frankreich 1529
von einem Händler in Antwerpen kaufte (Henne, Histoire du Regne de
Charles V. en Belgique V. 1859, p. 89), kann natürlich ebenso gut das von
Metsys, wie eine der Wiederholungen Joos van Cleves oder seines Kreises ge-
wesen sein.

B E R L I N

Das Kunstauktionshaus R.Lepke-Berlin wird im No-
vember d.J. das Jubiläum seines 2000. Katalogs durch eine Ver-
steigerung von Kunstgegenständen aus Russischem Staatsbesitz
begehen. Aus den Beständen der Leningrader Museen und
Schlösser sind die Kunstwerke entnommen, die den durch die
Verstaatlichungvon privatem Kunstbesitz ins Ungemessene an-
geschwollenen öffentlichen Sammlungen nun entbehrlich er-
scheinen, aber doch hohe Werte repräsentieren. Das Schwer-
gewicht liegt auf dem kunstgewerblichen Gebiet; man kann
die Möbel des 18. Jahrhunderts, die zwölf Gobelins, die Bron-
zegeräte und die Sammlung von französischen Golddosen des
18. Jahrhunderts als die Hauptgruppen anführen. Auf die
Dosen ist bereits durch einige Abbildungen im Juliheft des
Pantheon (S. 370) hingewiesen worden.
Es ist wohl noch nicht vorgekommen, daß gleichzeitig sieben
Möbel von David Roentgen in Neuwied auf einer Auktion
erscheinen, hier aber erklärlich durch die große Menge kost-
barer Arbeiten, die der berühmte Ebenist in den Jahren von
1783 bis 1787 für die Kaiserin Katharina II. nach St. Petersburg
geliefert hat. Seine unvergleichliche Kunst der Marketerie
kommt mit den fünf Blumenstücken und zwei Vogelbildern des
Sekretärs Abb. S. 511 ausgiebig zum Wort, der um 1780 ent-

standen und auch durch besonders feine Bronzebeschläge
ausgezeichnet ist. Die übrigen Roentgenmöbel gehören bereits
dem Klassizismus an; es sind zwei Exemplare der hohen Stand
uhr mit dem Saturnrelief, die der Meister auch für König
Friedrich Wilhelm II. nach Berlin geliefert hat, und vier Maha-
gonisekretäre verschiedener Größe. Einer davon (Abb. S. 508)
hat zwei Schreibklappen übereinander, für den Gebrauch beim
Sitzen oder beim Stehen; die figürlichen Bronzeappliquen
sind Pariser Modelle, die auch Riesener, z. B. auf einem Sekre-
tär für die Königin Marie Antoinette, jetzt in der Wallace-Col-
lection, benützt hat. Die Bronzegruppe des Apollo, die eine
der beiden Standuhren bekrönt, hat Roentgen auch für einen
Schreibtisch der Kaiserin in der Eremitage und für den großen
Sekretär des Königs von Preußen in Schloß Montbijou wieder-
holt.
Höchst ansehnlich ist d ie Zahl der von Pari serEbenisten der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bezeichneten Möbel, ent-
sprechend der Rolle, die Rußland damals als Großkonsument
und Sammelbecken des französischen Kunstgewerbes gespielt
hat. Rokokomöbel der mittleren Louis XV-Periode sind zwei
reich marketierte Eckschränke von Carei, denen sich zwei
kleinere Encoignures mit dem Stempel des L. Peridiez, Meisters

507

64
 
Annotationen