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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Salmony, Alfred: Einflüsse in der indischen Plastik
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Glück, Gustav: Schicksale einer Komposition Lionardos
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0196

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Plastik in der Art der letzten Abbildung forderte
durch ihren national indischen Charakter das ab-
fällige Urteil der Gelehrten mit europäischer Brille
geradezu heraus. Erst langsam lernen wir anders zu
sehen und indische Kunst nach ihren eigenen Ge-
setzen, statt nach unberechtigterweise aus dem
Westen importierten zu werten. Erst für eine sach-
liche und von keinem nationalistischen Vorurteil ge-
trübte Betrachtung stehen die Einflußfragen im rich-

tigen Licht. Bei Entstehungsformen indischer Kunst
sind sie erst zweifelhaft, dann unwahrscheinlich,
schließlich auf eine bedeutungslose Provinzerschei-
nung im Grenzland beschränkt.
Wenn hier die Illustration dieser „indischen“ Theo-
rie restlos dem Museum of Fine Arts in Boston
entnommen wurde, so geschah das in Bewunderung
der musealen und wissenschaftlichen Leistung, die
dieses Institut seinem Leiter verdankt.

SCHICKSALE EINER KOMPOSITION LIONARDOS

VON GUSTAV GLÜCK

Es gibt kaum etwas anderes, das uns einen so tiefen
Blick in das Wesen der Kunst der Renaissance im
Norden tun läßt, wie die in zahlreichen nieder-
ländischen Gemälden verschiedenen Werts verbrei-
tete Komposition der beiden heiligen Kinder Jesus
und Johannes, die nackt nebeneinander sitzend sich
zärtlich umarmen und küssen. Wie beliebt dieser
reizvolle Vorwurf in den ersten Jahrzehnten des
sechzehnten Jahrhunderts gewesen ist, läßt sich dar-
aus erkennen, daß allein mehr als ein halbes Dutzend
solcher Wiederholungen, die aus der Werkstatt eines
der bezeichnendsten Vertreter jener Bewegung in
den Niederlanden, Joos van Cleves, des Meisters
vom Tode Mariae, hervorgegangen sind, heute noch in
öffentlichen und privaten Sammlungen vorhanden
ist1). Das figürliche Motiv ist überall genau das gleiche;
nur der Hintergrund wechselt: bald zeigt er einen
reichverzierten Betthimmel, rechts ein kleines Kissen
und über den Häuptern die schwebende Taube des
Heiligen Geistes, wie in dem seit Max .1. Friedländers 2)
wichtiger Äußerung als Original Joos van Cleves an-
erkannten Gemälde des Museums in Neapel (Abb. 1),
bald ist er einfach schwarz, wie in einigen Exem-
plaren von geringerem Wert, bald eröffnet er zwischen
zur Seite gestellten Architekturteilen mit Säulchen,
Medaillons und Amoretten im niederländischen Re-
naissancegeschmack einen Ausblick auf eine weite
Landschaft, wie in den hübschen Werkstattbildern des
Mauritshuis im Haag (Abb. 2) und des Schloßmuseums
zu Weimar. Gerade in dem Architekturschmuck der
beiden zuletzt genannten Stücke findet sich eine bis-
her unbeachtete Einzelheit, die für den humanistisch

1) Eine Aufzählung bei L. Baldaß, Joos van Cleve, Wien 1925, S. 26, Nr. 58;
S. 96, Nr. 96; Anmerkung 92. Dazu noch Th. von Frimmel, Verzeichniß der
Gemälde im Besitze der Frau Baronin Auguste Stummer von Tavarnok (Galerie
Winter), Wien 1895, S. 40, Nr. 98.
2) Von Eyck bis Bruegel, 1. Aufl., Berlin 1916, S. 185.

gerichteten Geist dieses Stils bezeichnend ist: Je zwei
Medaillons auf beiden Seiten enthalten je zwei Bild-
nisse eines Mannes und einer Frau. Wie diese zu
deuten sind, ergibt sich aus den gut lesbaren In-
schriften des Weimarer Exemplars1): das linke Paar
ist als ANTIGONA • FI • S... und OEDIPPVS FILIVS
REG. TE, das rechte als AENEAS TROIANFILI
ANCH: und DIDO . C... CARTAG: bezeichnet.
Antigone vertritt mit ihrem Vater Ödipus, dem
thebanischen Königssohn, das Beispiel der Kindes-
liebe, Dido, die Herrscherin von Karthago, im Verein
mit dem Trojaner Äneas, dem Sohne des Anchises,
die Liebe des Weibes. Eine Verweltlichung des
Motivs ist eingetreten. Während auf dem Neapeler
Gemälde die Taube des Heiligen Geistes die himm-
lische Liebe versinnbildlicht, deuten hier die beiden
Paare die irdische an. Die den Flumanisten dieser
Zeit geläufigen Gestalten des klassischen Altertums
treten in den Gedankenkreis, wenden den geistlichen
Sinn der Gruppe ins Profane, die Liebe heiliger Per-
sonen wird zur Liebe der Menschen. Zwei kleine
Amoretten in dem krausen Stil eines Dirk Vellert,
an dessen „Knaben mit dem Delphin“ (B. 13) sie
erinnern, schweben über den beiden Medaillonpaaren
und verdeutlichen die platte Symbolik.
Daß die liebliche Erfindung der Kindergruppe nicht
von Joos van Cleve selbst herrührt, sondern einem
viel Größeren zu danken ist, wissen wir schon lange.
Der italienische Ursprung des Bildgedankens liegt ja
auf der Hand. Den kleinen Johannes den Täufer in
lebendiger Weiterbildung der Angaben der Bibel dem
Jesuskinde als zärtlichen Freund und Gespielen bei-

x) Herrn Direktor Dr. Wilhelm Köhler sind wir für die gütige Mitteilung der
richtigen Lesung zu Dank verpflichtet. Auch auf dem Exemplar im Mauritshuis
im Haag beziehen sich die nicht ganz deutlich lesbaren Inschriften nach freund-
licher Auskunft des Herrn Professor Dr. W. Martin ebenfalls auf die Paare
Antigone und Ödipus, Äneas und Dido.

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