DER WELFEN SCHATZ
Die seit kurzem verbreitete Nachricht, daß der mittel-
alterliche Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-
Lüneburg, der schon vor Jahresfrist aus Gmunden
zum Verkauf nach der Schweiz gebracht worden war,
nunmehr wirklich seiner alten Heimat dauernd ent-
fremdet werden soll, hat die Aufmerksamkeit aller
am nationalen Kunstbesitz Deutschlands interessier-
ten Kreise auf diese historisch wie kunstgeschicht-
lich gleich hervorragende Sammlung vorwiegend
romanischer Kunstwerke gelenkt; dabei hat sich aber
gezeigt, daß selbst die Hauptwerke nur wenig be-
kannt sind, weil es an guten und leicht zugänglichen
Abbildungen fehlte. Der von Herzog Heinrich dem
Löwen seinem Sohn Kaiser Otto IV. hinterlassene
Reliquienschatz ist durch das Testament des letzteren
vomjahr 1208 dem St. Blasien-Dom in Braunschweig
als der welfischen Hofkirche vermacht worden und
dort auch nach der Reformation noch wegen seines
traditionellen Zusammenhangs mit dem großen Na-
men Heinrichs des Löwen weiter verwahrt und leid-
lich zusammengehalten worden, bis er im 17. Jahr-
hundert wieder von dem Fürstenhaus zurückgenom-
men wurde. Er war dann in Hannover nur wenige
Jahre in dem 1862 gegründeten Weifenmuseum bis
1866 allgemein zugänglich und später als Leihgabe
im Österreichischen Museum in Wien einige Jahr-
zehnte ausgestellt. Damals ist der ganze Schatz von
Professor Neumann 1891 veröffentlicht worden;
allein die weichlichen Holzschnittabbildungen dieses
Buches haben sich längst als unzulänglich erwiesen.
Es empfiehlt sich daher, wenigstens einige Haupt-
stücke nach Originalaufnahmen hier vorzuführen.
Zeitlich darf man das goldene Weifenkreuz (Abb. la
u. lb; hoch 15,5 cm) an die Spitze stellen, ein Ge-
häuse für Reliquien römischer Herkunft mit Filigran,
Perlen, Edelsteinen und auf derVorderseite miteinem
Kruzifix aus Goldzellenschmelz verziert. Nach dem
Stil dieses Emailbildes erweist sich das Kreuz fraglos
als eine italienische Arbeit des 11. Jahrhunderts; es
ist als Gegenstück eines sehr ähnlichen, wenig äl-
teren Kreuzes mit byzantinischen Goldemailbildern
ausgeführt worden, das noch in Velletri erhalten ist.
Nach dem Muster des Velletrikreuzes ist auch der
silberne Fuß des Weifenkreuzes ausgeführt, in Form
einer Säule mit ionischem Kapitell, deren Postament
von drei nackten Eroten mit umgestürzter Fackel,
also dem Genius des Todes, wie er auf spätantiken
Sarkophagen erscheint, getragen wird (vgl. Abb. 3b).
Die Bezeichnung Weifenkreuz beruht auf der An-
nahme, daß es durch Herzog Welf V. von Bayern,
der von 1089—1095 als Gemahl der Magna Comi-
tissa Mathilde von Tuscien in Italien lebte, nach
seiner Scheidung nach Deutschland gebracht worden
sei. Aus derselben Stilperiode der salischen Kaiser-
zeit besitzt der Weifenschatz ein Paar mit kleinen
Zellenschmelzplättchen geschmückter Goldkreuze,
die laut Inschrift von der Comitissa Gertrudis, der
Gründerin des Braunschweiger Blasius-Doms, ge-
stiftet sind. Das eine Kreuz widmete sie dem Seelen-
heil ihres 1038 verstorbenen Gemahls Grafen Liu-
dolf von Braunschweig, die Ausführung ist also
kurz nach 1038 anzusetzen. Daß im 11. Jahrhundert
der Goldzellenschmelz wirklich in Braunschweig
ausgeübt wurde, ergibt sich ferner aus einem golde-
nen Tragaltar, der ebenfalls die Stifterinschrift einer
Gertrudis aufweist (Abb. 2a’b). Der byzantinische
Einfluß, der sonst die deutsche Goldschmiedekunst
des ottonisch-salischen Zeitalters beherrscht, kommt
hier nur in der Zellenschmelzarbeit der Arkaden an
zwei Seiten des Kästchens zur Geltung; die kräftige
Plastik der gut getriebenen Figuren unter den Rund-
bogen schließtsich dagegen an den niedersächsischen
Stil der Bernwardswerke in Hildesheim an. Neumann
hat als Stifterin dieses wohlerhaltenen Goldaltars die
jüngere Marchionissa Gertrud II.(j-1117) angesehen;
der Stilbefund spricht jedoch mehr dafür, daß die vor-
erwähnte Gertrudis I. (f 1077) die Bestellerin war.
DerWelfenschatz besitzt noch zweiTragaltärchen mit
getriebenen Silberfiguren und niellierter Zeichnung
des 11. Jahrhunderts, die derselben wahrscheinlich
braunschweigischen Werkstatt angehören. Aus Hil-
desheim, dem Zentrum dieses sächsischen Kunst-
kreises, stammt die silberne Patene des heiligen Bern -
ward, die im 14. Jahrhundert in der Art einer — jetzt
fragmentierten — gotischen Scheibenmonstranz als
Reliquie gefaßt worden ist (Abb. 3a). Die Patene
zeigt in einer Achtpaßvertiefung den thronenden
Heiland, die Evangelistensymbole, vier Brustbilder
von Tugenden und Inschriften, alles in Niello auf
vergoldetem Grund ausgeführt in einem Stil, der der
traditionellen Annahme, daß die Patene zu den
Schöpfungen der Bernwardwerkstätten gehört, nicht
widerspricht.
Die kastenförmigen Tragaltäre, eine im 12. Jahr-
582
Die seit kurzem verbreitete Nachricht, daß der mittel-
alterliche Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-
Lüneburg, der schon vor Jahresfrist aus Gmunden
zum Verkauf nach der Schweiz gebracht worden war,
nunmehr wirklich seiner alten Heimat dauernd ent-
fremdet werden soll, hat die Aufmerksamkeit aller
am nationalen Kunstbesitz Deutschlands interessier-
ten Kreise auf diese historisch wie kunstgeschicht-
lich gleich hervorragende Sammlung vorwiegend
romanischer Kunstwerke gelenkt; dabei hat sich aber
gezeigt, daß selbst die Hauptwerke nur wenig be-
kannt sind, weil es an guten und leicht zugänglichen
Abbildungen fehlte. Der von Herzog Heinrich dem
Löwen seinem Sohn Kaiser Otto IV. hinterlassene
Reliquienschatz ist durch das Testament des letzteren
vomjahr 1208 dem St. Blasien-Dom in Braunschweig
als der welfischen Hofkirche vermacht worden und
dort auch nach der Reformation noch wegen seines
traditionellen Zusammenhangs mit dem großen Na-
men Heinrichs des Löwen weiter verwahrt und leid-
lich zusammengehalten worden, bis er im 17. Jahr-
hundert wieder von dem Fürstenhaus zurückgenom-
men wurde. Er war dann in Hannover nur wenige
Jahre in dem 1862 gegründeten Weifenmuseum bis
1866 allgemein zugänglich und später als Leihgabe
im Österreichischen Museum in Wien einige Jahr-
zehnte ausgestellt. Damals ist der ganze Schatz von
Professor Neumann 1891 veröffentlicht worden;
allein die weichlichen Holzschnittabbildungen dieses
Buches haben sich längst als unzulänglich erwiesen.
Es empfiehlt sich daher, wenigstens einige Haupt-
stücke nach Originalaufnahmen hier vorzuführen.
Zeitlich darf man das goldene Weifenkreuz (Abb. la
u. lb; hoch 15,5 cm) an die Spitze stellen, ein Ge-
häuse für Reliquien römischer Herkunft mit Filigran,
Perlen, Edelsteinen und auf derVorderseite miteinem
Kruzifix aus Goldzellenschmelz verziert. Nach dem
Stil dieses Emailbildes erweist sich das Kreuz fraglos
als eine italienische Arbeit des 11. Jahrhunderts; es
ist als Gegenstück eines sehr ähnlichen, wenig äl-
teren Kreuzes mit byzantinischen Goldemailbildern
ausgeführt worden, das noch in Velletri erhalten ist.
Nach dem Muster des Velletrikreuzes ist auch der
silberne Fuß des Weifenkreuzes ausgeführt, in Form
einer Säule mit ionischem Kapitell, deren Postament
von drei nackten Eroten mit umgestürzter Fackel,
also dem Genius des Todes, wie er auf spätantiken
Sarkophagen erscheint, getragen wird (vgl. Abb. 3b).
Die Bezeichnung Weifenkreuz beruht auf der An-
nahme, daß es durch Herzog Welf V. von Bayern,
der von 1089—1095 als Gemahl der Magna Comi-
tissa Mathilde von Tuscien in Italien lebte, nach
seiner Scheidung nach Deutschland gebracht worden
sei. Aus derselben Stilperiode der salischen Kaiser-
zeit besitzt der Weifenschatz ein Paar mit kleinen
Zellenschmelzplättchen geschmückter Goldkreuze,
die laut Inschrift von der Comitissa Gertrudis, der
Gründerin des Braunschweiger Blasius-Doms, ge-
stiftet sind. Das eine Kreuz widmete sie dem Seelen-
heil ihres 1038 verstorbenen Gemahls Grafen Liu-
dolf von Braunschweig, die Ausführung ist also
kurz nach 1038 anzusetzen. Daß im 11. Jahrhundert
der Goldzellenschmelz wirklich in Braunschweig
ausgeübt wurde, ergibt sich ferner aus einem golde-
nen Tragaltar, der ebenfalls die Stifterinschrift einer
Gertrudis aufweist (Abb. 2a’b). Der byzantinische
Einfluß, der sonst die deutsche Goldschmiedekunst
des ottonisch-salischen Zeitalters beherrscht, kommt
hier nur in der Zellenschmelzarbeit der Arkaden an
zwei Seiten des Kästchens zur Geltung; die kräftige
Plastik der gut getriebenen Figuren unter den Rund-
bogen schließtsich dagegen an den niedersächsischen
Stil der Bernwardswerke in Hildesheim an. Neumann
hat als Stifterin dieses wohlerhaltenen Goldaltars die
jüngere Marchionissa Gertrud II.(j-1117) angesehen;
der Stilbefund spricht jedoch mehr dafür, daß die vor-
erwähnte Gertrudis I. (f 1077) die Bestellerin war.
DerWelfenschatz besitzt noch zweiTragaltärchen mit
getriebenen Silberfiguren und niellierter Zeichnung
des 11. Jahrhunderts, die derselben wahrscheinlich
braunschweigischen Werkstatt angehören. Aus Hil-
desheim, dem Zentrum dieses sächsischen Kunst-
kreises, stammt die silberne Patene des heiligen Bern -
ward, die im 14. Jahrhundert in der Art einer — jetzt
fragmentierten — gotischen Scheibenmonstranz als
Reliquie gefaßt worden ist (Abb. 3a). Die Patene
zeigt in einer Achtpaßvertiefung den thronenden
Heiland, die Evangelistensymbole, vier Brustbilder
von Tugenden und Inschriften, alles in Niello auf
vergoldetem Grund ausgeführt in einem Stil, der der
traditionellen Annahme, daß die Patene zu den
Schöpfungen der Bernwardwerkstätten gehört, nicht
widerspricht.
Die kastenförmigen Tragaltäre, eine im 12. Jahr-
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