Me Runst der Alemannen.
einen Teil Lchwabens zu den Alemannen rechnen
wollen, so geschah dies, wenigstens in Hinsicht aus
die Aunst, durchaus zu Anrecht. Nan mache nur
die Probe aus die Mundart dieser Landstriche: die
rciu alcmannische kann tzumor, Aomik, Lrnst und
Tragik mit gleicher Arast und Lchtheit ausdrücken;
die beiden andcrn würdcn, sobald sie sich in Lrnst
und Tragik versuchten, komisch, ja lächcrlich wirken,
nicht weniger als etwa das Lächsische. Dasür hat
Läsar Hlaischlen neulich den Beweis erbracht;
srüher (in einem oder dem andern Eedichte) auch
der bekannte waizmann; von einem Bormann wird
man ihn ernsthast kaum erst verlangen dürsen.
Der alemannischen Aunst eigen/ als ihr Lha-
rakteristikum eigen ist vor allem ein Zug: ihr
grundlegender Aealismus. Lin zweitery sür sic
ebenso bezeichnender, der mit dem ersteren aber,
meines Lrachtens, ursächlich zusammenhängt, ist
nur negativ auszudrücken. Ienen wird man in
allen ihren Werken finden: in LAeyers historischen
Novellen ebenso sicher wie in den großen und selt-
samen Phantasien Böcklins; in den Eedichten
Hebels so deutlich wie in den neuesten großen
Lpen Aarl Lpittelers; in der Lyrik Neyers und
Aellers so gut wie in den Radierungen Ztauffers
oder den Werken Meltis und Lrnst Areidolss. Lr-
wähne ich hier noch Amiets und Zegantinis, so
sei damit nur aus den ungewöhnlichen Linfluß des
alemaunischen Eeistes aus die gesamte Lchweiz hin-
gewiesen. Den angedeuteten zweiten Aug, deu
negativen, entnehmen wir einem auffallenden
LAangel im Eesamtbild der alemannischen Aunst;
von ihm wird noch die Rede sein.
Der Alemannc, eine kühle Natur, die alle Dinge
an sich herantreten läßt und nur den Tatsachen,
dem Linnlich-Wahrnehmbaren, dem vor allem mit
dem Auge Haßbaren und Wägbaren Elauben und
Vertrauen entgegenbringt, trägt, wie jeder andere
volksstamm, was er im Leben übt, natürlich auch
in die Aunst hinein. In keinem deutschen Ltamm
nun mag das filißtrauen des gemeinen Nannes
gegen die Aunst als solche und ihren N)ert so groß
und so allgemein sein, wie dort. Ihre Zchätzung
ist nicht so sicher und so erkennbar, wie bei einem
Produkte, das er seinem kargen Boden mit Mühe
abgerungen hat. Kührt die allmähliche Bereiche-
rung sciner Physis ihn dann zur Aunst, so muß
diese notwendig die entsprechende Särbung aus
solchem Teist und solchem Zühlcn herausziehcn.
Lie muß, soll sie nicht jetzt das Mßtrauen selbst
des Aünstlers gcgen sein eigcnes Produkt hervor-
rusen, eine seste Trundlage haben, am Vbjekt, an
der meßbaren und wägbaren Natur, am sichtbaren
Tegenstand: sonst ist sie Duust, Dusel, Idealismus,
bodenlos im genauesten Verstand dieses Wortes.
Der Realismus kann bis zu einer erstaunlichen
Nüchternheit gehn, wie bei Rarl Ztaufser, dem die
Natur — das LNodell — in der Runst das Ding
an sich, die Realität selber war. Lr ist an seiuem
Realismus zugrunde gegangen, nicht nur als
Aünstler, nein, tragischer: auch als Nensch. Trotz
seiner großen Begabung ist er nie über das Porträt
hinausgekommen. In seinem Übergang zur plastik
suchte er die Rcttung; aber dicser Lchritt war nur
die logische und künstlerische Aonsequenz seiner
Srundanlage; erst in der Plastik war ihm die
Nöglichkeit geboten, dem Rultus der ßorm, des
durch die Natur Tegebenen, ungehemmt und bis
zum letzteu Reste zu srönen: als Realist und eben
bloß als Realist. Ls war auch hier die aus-
schließliche und trostlos enge Legabung zum Lildnis,
die nur das Material wechselte, um sich noch stärker,
noch deutlicher, noch innerlich wahrer und wirk-
samer manisestieren zu können. A)o er dieser Haut
entschlüpsen wollte, besand er sich in der größten
Läuschung über sich selber: die Aette seines Ligen-
wesens war zu stark, um den ihr zugedachten Lin-
schlag, seinen Drang zum Phantasieschassen, der
übrigens von Löcklins und Alingers Gnaden
stammte, zu höherem Zweck und im Interesse be-
deutenderer wirkung als ergänzend aus sich zu
dulden. Dieser Lelbsterkenntnis mußte er erliegen;
und gegen die NNicht und Tragik solchen Zchicksals
gehalten erscheint der Lingriss Iydias in Ltaufsers
Liebesleben kaum mit der NNrkuug einer dummen
NNiberlaune. A)as sonst den alemannischen Aünst-
lern in gleicher lsesahr zugute kommt, z. L. dem
Doppelgänger Ltaufsers, Ieremias Eotthels, dem
Lrzrealisten, und was ihn hätte zu retten vermögen,
das eben sehltc Ltaufser: der Humor! Gotthels
war überdies klug genug, sich mit seiner Trund-
anlage zusrieden zu geben; diese weise Beschränkung
auf seiue einseitige Begabung konnte ihn zum Zieg
und zu künstlerficher Neistcrschast führen.
Übrigens haben die Alemannen, voran die
Lchweizer, solcher nüchternen Realisten mehr; auf
anderm Ltossgebiete, aus dem der Landschast, ist
es z. B. Neyer-Basel, der keinen Huß breit über
das Rühl-Porträtistische des Motivs hinauskommt.
Zur höheren Ltimmung, zur Leidenschast, zur Be-
wegtheit, zur Dramatik der Landschast steigt er nie
empor; er bleibt der armselige Lchilderer, der ob-
jektive Berichterstattcr des unbcwegten, afiektlosen
Nodclls; er kennt keine Intuition, die ihren Ur-
sprung und Ausdruck in der Lilhouettenwirkung
hat; ein Agyptizismus des Teschilderten bleibt
solchen Aünstlern immer, mag das Lujet nun, wie
beim Porträtisten, eine person sein, oder, wie beim
Landschafter, irgend ein gleichgültiger NNnkel der
Natur.
Zcheinbar diesen geradeswegs entgegen stehen
Naturen wie Löcklin, welti, Zandreuter, Areidols;
in der Poesie Neyer, Zpitteler, Hebel. (Um eben
nur diese zu nennen!) Aber auch ihnen ist die
Natur, ist das am Dbjekt selber Uontrolierbare,
das mit den ZinnenWahrgenommenc das ßundament
des Uunstwerks. Böcklins vornehmerer ßrauen-
typus ist jener der Laseler Patrizierin; der geringere
ist italienischen Ursprungs, gemahnt sogar an die
Urbevölkerung des Baseler Rheinwinkels und der
Umgebung von Slorenz. Die Nänner, im besondern
die zottigen Neergesellen, haben ihre Urbilder
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einen Teil Lchwabens zu den Alemannen rechnen
wollen, so geschah dies, wenigstens in Hinsicht aus
die Aunst, durchaus zu Anrecht. Nan mache nur
die Probe aus die Mundart dieser Landstriche: die
rciu alcmannische kann tzumor, Aomik, Lrnst und
Tragik mit gleicher Arast und Lchtheit ausdrücken;
die beiden andcrn würdcn, sobald sie sich in Lrnst
und Tragik versuchten, komisch, ja lächcrlich wirken,
nicht weniger als etwa das Lächsische. Dasür hat
Läsar Hlaischlen neulich den Beweis erbracht;
srüher (in einem oder dem andern Eedichte) auch
der bekannte waizmann; von einem Bormann wird
man ihn ernsthast kaum erst verlangen dürsen.
Der alemannischen Aunst eigen/ als ihr Lha-
rakteristikum eigen ist vor allem ein Zug: ihr
grundlegender Aealismus. Lin zweitery sür sic
ebenso bezeichnender, der mit dem ersteren aber,
meines Lrachtens, ursächlich zusammenhängt, ist
nur negativ auszudrücken. Ienen wird man in
allen ihren Werken finden: in LAeyers historischen
Novellen ebenso sicher wie in den großen und selt-
samen Phantasien Böcklins; in den Eedichten
Hebels so deutlich wie in den neuesten großen
Lpen Aarl Lpittelers; in der Lyrik Neyers und
Aellers so gut wie in den Radierungen Ztauffers
oder den Werken Meltis und Lrnst Areidolss. Lr-
wähne ich hier noch Amiets und Zegantinis, so
sei damit nur aus den ungewöhnlichen Linfluß des
alemaunischen Eeistes aus die gesamte Lchweiz hin-
gewiesen. Den angedeuteten zweiten Aug, deu
negativen, entnehmen wir einem auffallenden
LAangel im Eesamtbild der alemannischen Aunst;
von ihm wird noch die Rede sein.
Der Alemannc, eine kühle Natur, die alle Dinge
an sich herantreten läßt und nur den Tatsachen,
dem Linnlich-Wahrnehmbaren, dem vor allem mit
dem Auge Haßbaren und Wägbaren Elauben und
Vertrauen entgegenbringt, trägt, wie jeder andere
volksstamm, was er im Leben übt, natürlich auch
in die Aunst hinein. In keinem deutschen Ltamm
nun mag das filißtrauen des gemeinen Nannes
gegen die Aunst als solche und ihren N)ert so groß
und so allgemein sein, wie dort. Ihre Zchätzung
ist nicht so sicher und so erkennbar, wie bei einem
Produkte, das er seinem kargen Boden mit Mühe
abgerungen hat. Kührt die allmähliche Bereiche-
rung sciner Physis ihn dann zur Aunst, so muß
diese notwendig die entsprechende Särbung aus
solchem Teist und solchem Zühlcn herausziehcn.
Lie muß, soll sie nicht jetzt das Mßtrauen selbst
des Aünstlers gcgen sein eigcnes Produkt hervor-
rusen, eine seste Trundlage haben, am Vbjekt, an
der meßbaren und wägbaren Natur, am sichtbaren
Tegenstand: sonst ist sie Duust, Dusel, Idealismus,
bodenlos im genauesten Verstand dieses Wortes.
Der Realismus kann bis zu einer erstaunlichen
Nüchternheit gehn, wie bei Rarl Ztaufser, dem die
Natur — das LNodell — in der Runst das Ding
an sich, die Realität selber war. Lr ist an seiuem
Realismus zugrunde gegangen, nicht nur als
Aünstler, nein, tragischer: auch als Nensch. Trotz
seiner großen Begabung ist er nie über das Porträt
hinausgekommen. In seinem Übergang zur plastik
suchte er die Rcttung; aber dicser Lchritt war nur
die logische und künstlerische Aonsequenz seiner
Srundanlage; erst in der Plastik war ihm die
Nöglichkeit geboten, dem Rultus der ßorm, des
durch die Natur Tegebenen, ungehemmt und bis
zum letzteu Reste zu srönen: als Realist und eben
bloß als Realist. Ls war auch hier die aus-
schließliche und trostlos enge Legabung zum Lildnis,
die nur das Material wechselte, um sich noch stärker,
noch deutlicher, noch innerlich wahrer und wirk-
samer manisestieren zu können. A)o er dieser Haut
entschlüpsen wollte, besand er sich in der größten
Läuschung über sich selber: die Aette seines Ligen-
wesens war zu stark, um den ihr zugedachten Lin-
schlag, seinen Drang zum Phantasieschassen, der
übrigens von Löcklins und Alingers Gnaden
stammte, zu höherem Zweck und im Interesse be-
deutenderer wirkung als ergänzend aus sich zu
dulden. Dieser Lelbsterkenntnis mußte er erliegen;
und gegen die NNicht und Tragik solchen Zchicksals
gehalten erscheint der Lingriss Iydias in Ltaufsers
Liebesleben kaum mit der NNrkuug einer dummen
NNiberlaune. A)as sonst den alemannischen Aünst-
lern in gleicher lsesahr zugute kommt, z. L. dem
Doppelgänger Ltaufsers, Ieremias Eotthels, dem
Lrzrealisten, und was ihn hätte zu retten vermögen,
das eben sehltc Ltaufser: der Humor! Gotthels
war überdies klug genug, sich mit seiner Trund-
anlage zusrieden zu geben; diese weise Beschränkung
auf seiue einseitige Begabung konnte ihn zum Zieg
und zu künstlerficher Neistcrschast führen.
Übrigens haben die Alemannen, voran die
Lchweizer, solcher nüchternen Realisten mehr; auf
anderm Ltossgebiete, aus dem der Landschast, ist
es z. B. Neyer-Basel, der keinen Huß breit über
das Rühl-Porträtistische des Motivs hinauskommt.
Zur höheren Ltimmung, zur Leidenschast, zur Be-
wegtheit, zur Dramatik der Landschast steigt er nie
empor; er bleibt der armselige Lchilderer, der ob-
jektive Berichterstattcr des unbcwegten, afiektlosen
Nodclls; er kennt keine Intuition, die ihren Ur-
sprung und Ausdruck in der Lilhouettenwirkung
hat; ein Agyptizismus des Teschilderten bleibt
solchen Aünstlern immer, mag das Lujet nun, wie
beim Porträtisten, eine person sein, oder, wie beim
Landschafter, irgend ein gleichgültiger NNnkel der
Natur.
Zcheinbar diesen geradeswegs entgegen stehen
Naturen wie Löcklin, welti, Zandreuter, Areidols;
in der Poesie Neyer, Zpitteler, Hebel. (Um eben
nur diese zu nennen!) Aber auch ihnen ist die
Natur, ist das am Dbjekt selber Uontrolierbare,
das mit den ZinnenWahrgenommenc das ßundament
des Uunstwerks. Böcklins vornehmerer ßrauen-
typus ist jener der Laseler Patrizierin; der geringere
ist italienischen Ursprungs, gemahnt sogar an die
Urbevölkerung des Baseler Rheinwinkels und der
Umgebung von Slorenz. Die Nänner, im besondern
die zottigen Neergesellen, haben ihre Urbilder
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