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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 8
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Kromer, Heinrich Ernst: Die Kunst der Alemannen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0090

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Die Runst der Alemannen.

ist, um über die lange Dauer der Ausarbeitung
des Aunstwerks vorzuhalten, wird nur geprüst, ge-
stützt, gesestigt und aus alle Nittel, die zu ihrer
vollen Wirkung, ich möchte sagen: zu ihrer Lr-
süllung beitragen, gewissenhast kontroliert. (Lben
aus dieser hohen Achätzung der Intuition stammte
Bäcklins so berechtigte Teringschätzung des Porträts
wie alles Alodellhasten und Naturalistischen.) lDies
ist griechische Art des Aunstschaffens, wie sie uns
das Drama, das Lpos, der literarische, ästhetische,
philosophische Lssay, die Baukunst und die Zkulptur
der Eriechen deutlich aufzeigen. Zie ist heute
wiederzufinden bei einem andern Alemannen, der mit
Böcklin nicht nur die iSewissenhastigkeit und Ver-
ständigkeit im Bchaffen, sondern neuerdings — und
immer noch sich vertiesend — auch die hellenische
Weltanschauung gemein hat: bei Aarl Zpitteler.
Nan wird nicht behaupten, diese sei von ihm nur
bewußt angenommen worden, etwa unter dem
mächtigen Linsluß Böcklins oder vielleicht eher
Homers, auf dessen große Lpenkunst der TÜchter
heute, wie er sagt, endgültig hinausgekommen ist.
Lein tiesgründiger Pessimismus ist so echt wie die
Testalten, die er mit epischer Arast und Anschaulich-
keit schildert. Was er zuvor geschaffen — an sich
tiesdurchdachte klare Arbeiten, Lssays, die ihm das
begeisterte Lob Nietzsches eintrugen, Novellen —
alles erklärt er vom Ltandpunkt seines heutigen
Lchaffens als Raturstudien, als Porträtware, die
gerade noch den Wect von Übungen hätten, aber
keine Aunstwerke seien. Tanz wie Böcklin! Die
genaue Rechenschast, welche der Dichter sich über
jedes einzelne Werk ablegte, nicht zum wenigsten
über seine eigne Lrundveranlagung (die er episch
nennt im Linne Homerischer Runst), sührt ihn zur
Lrkenntnis, daß nur das große Lpos epische Aunst
sei und Dauer habe über all die Rlatsch-Lpik der
Nomane und Novellen hinaus, die nur einer kurzen
(Zeitströmung entsprängen und dienten, nicht einer
Weltanschauung und einer gewissen Lwigkeit, die
im Lypischen ihre Trundlage und ihre Mttel und
Zwecke haben. Lollten dies Ausslüsse gymnasial-
ästhetischer Anschauungen sein? Vder literar-
historischer? Vder verbohrten alemannischen Ligen-
sinns, wie er einst auch Böcklin vorgeworsen wurde?
Und doch,, haben wir in Apitteler den ernstesten und
klarsten Ästhetiker vor uns, den seinsten Lssayisten,
wie ihn Nietzsche nannte! Nan kann sich nur ver-
wundern über diesen „echtdeutschen Teist", der
so blutecht griechisch ist...

Der dritte Trieche steckt in dem Lchwarzwälder
Peter Hebel. In seiner Nundart vorzugsweise sind
jene erwähnten griechischenWörternoch gebräuchlich.
Leine Poesie ist die Idylle, wie sie die Triechen ge-
schaffen haben. Aber sie ist gesärbt durch deutsches,
durch alemannisches Kühlen, das in jener Poesie
leicht zum Noralisieren neigt, zu einem humorvoll-
lehrhasten Con, der aber immer durch goldene
Anschaulichkeit gestützt ist und dadurch erträglich
wird. In seinen besten epischen Eedichten könnte

einer versucht sein, ihm die Anwendung des Hexa-
meters vorzuwersen, etwa als eine äußerliche Nach-
ahmung Homers. Hebel selbst verwirst in einem
seiner wunderbar klaren Lssays den Eebrauch des
„wellenlinigen Hexameters des Ioniers in unserer
scharseckigen deutschen Lprache". Lr aber scheut
sich nicht, ihn selber anzuwenden, allerdings nur in
seiner heimatlichen Nundart. Nun hat aber selten
wo in deutscher Mchtung sich Inhalt und Horm
so ungezwungen und so vollkommen gedeckt, wie in
diesen Idyllen Hebels. Die Personifizierung aller
Dinge, die Anschaulichkeit der Lchilderung, die
Bilder und Vergleiche, dazu die äußere Sorm, die
sich im Munde des Aundigen wie die leichteste Prosa
liest: dies alles ist homerisch und läßt uns die
Poesie Homers erst wieder tieser und feiner würdigen,
besonders in ihren naivsten Lchilderungen und An-
schauungen, die allerdings nicht auf naturalistische
und historische Richtigkeit, sondern nur auf ihren
rein künstlerischen und poetisch-technischen N)ert ge-
prüst sein wollen. Tanz wie bei Hebel auch. Der
Tebrauch des Hexameters ist aber bei diesem Dichter
nicht einer willkürlichen Berechnung entsprungen;
der Vers lag ihm ties im Blute und gab — wohl
ihm selber unbewußt — die einzige organisch ge-
wachsene und richtige Horm sür den Teist dieser
poesie ab: der Hexameter ist der Dialektrhythmus
des Alemannischen und sür das geschultere Hhr dort
in der Prosa des Volkes leicht erkennbar, besonders
in der Lüdschwarzwälder Nundart, wo auch die Lr-
zählerkunst, so selten sie schristlich ausgeübt wird,
durchs ganze Volk hin auffallend verbreitet ist.
Ich zweifle nicht, daß sich hier, wie überhaupt im
ganzen alemannischen Tau, griechischer und germa-
nischer Teist besonders günstig miteinander ver-
mischt haben: der Realismus im Leben wie in der
Aunst; politische wie geistige Ligenwüchsigkeit;
Alarheit und Verständigkeit im Verein mit deutsch-
dunklem ßühlen und Temüt. Ich möchte des Humors
nicht vergessen, der alemannischer Zähigkeit ent-
sprungen sein dürste. Lr ist nur mäglich in realen
starken Naturen, die auch die schlimmsten Achläge
einst noch zu ihrem Besten zu wenden und als ein
Positives in höherem Verstand zu buchen wissen;
der Teist, der unter dem Areuze zusammenbricht,
erlangt ihn nicht. Im Humor, dieser Resignation
aus Ltärke, treffen sie sich alle wieder, die Besten
der Alemannen; und der Realismus, der sie das
Leben ernst und ties nehmen heißt, schützt sie auch
in der Runst vor dem Tenrehasten, das ihrer ost
recht engen Psahlbürgerlichkeit leicht entspringen
könnte. Ligenart und Humor paralysieren in etwas
diese Tesahr; sie bilden vereint das seltsame und
starke Aroma alemannischer Aunst; sie bedeuten ihr
wesen und legen es sest. Shne diese beiden ver-
fiele sie sicherlich hausbacknem Tenre und enger
Noralseligkeit; der Realismus allein tut's nicht;
er versällt dem Porträtismus, und mit diesem
bleibt auch der begabte Aünstler nur ein Natur-
schuster traurigster Lorte...

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