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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 8
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Kromer, Heinrich Ernst: Die Kunst der Alemannen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0089

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Die^Runst der Alemannen.

Wer es am eigenen Schaffen erfahren hat, nnrd
den Abstand zwischen dem ruhigen kühlen Leob-
achten, welches das abmesfende Auge erregt, und
dem drängenden entsetzlichen, leidenschastlichen
Wühlen und Hühlen unseres ganzen Innern teunen,
das zum Drama treibt, alte Welten in ein Lhaos
verwandelt und daraus neue mit weitergespannten
Grenzen, Noglichkeiten und ßreiheiten herausbildet,
wofern es nicht an der Zerstärung selber sich aus-
tobt und besriedigt. Lchon die Lchaffung eines
lyrischen Gedichts, eines erotifchcn besonders, steht
hinsichtlich der Lrregung und Aerauschtheit des
Rünstlers hoch über der eines Temaldes, einer
epischen Lchilderung, einer Lkulptur. Aeide mögcn
sich zueinander verhalten etwa wie die Lchauer des
Liebesaktes zur ruhigen Bewunderung der Zchön-
heit des andern Geschlechts. Vb man aber nicht
annehmen dars, daß da, wo das eine sehlt oder
doch zurückgedämmt wird, alles dem andern zu-
gute kommt und dieses durch die Lummierung aus
vielen Kenerationen sich schließlich zu solcher Ärast
und Külle emportreibt, wie es im alemannischen
Aunstschaffen als wesentlich wirklich zutage tritt? . .

An dicsen beiden Lrundzügen der Aunst dieses
deutschen Ltammes mag außer den klimatischen und
den sonstigen äußeren Lebensverhältnissen noch eine
andere tiesere Ursache mitgewirkt haben. Sie scheint
mir geeignet, vor allem den Realismus des Volkes
gesördert, gestärkt, individuell gesärbt zu haben.
Line Anzahl griechischer Worte, die in der ale-
mannischen Nundart noch heute gebräuchlich sind
(Pnüsel — Lchuupsen, TrvLvM;; brieggenweinen,
sipvxelv; Rapedizli, auch Rhapsedizlikleiue Lr-
zählung, päpcoSl«, und ähnliche), beweisen, daß
zwischen Termanen (im besondern Alemannen) und
Kriechen in jener Tegend eine Vermischung statt-
gefunden hat. Als Rolonisten waren diese Triechen
zweisellos vorwiegend Llemente des Handels-
standes, ausgerüstet mit dem ganzen sast ausschließ-
lich praktischen Zinn, der solchen Nenschen Lebens-
bedingung ist. Wahrscheinlich wurde durch sie auch
der sreie republikanische Vcist des alcmannischen
Ztammes gezüchtet oder noch erheblich gestärkt;
dionysische Physis aber wäre, wenn sie diese An-
siedler mitgebracht hättcn, wohl bald unter dem
Linsluß eincr kargen Natur und eines harten
Lxistenzkampfes zurückgegangen. Anderseits mußte
die politische Zelbständigkeit und der trotzige tln-
abhängigkeitssinn, der diesem Ztamme entwcder
schon von alters her im Llute saß oder durch den
beständigen Aampf um den einmal erobcrten Boden
anerzogen nmrde, eine bcsondere Mrkung ausüben,
sobald er ins Geistige und in die Aunst hinein-
getragen nmrde. Ihm entsprang jcner eigensinnige
Individualismus, jene echte, herbe, oft stätköpsige
Ligenart, die wir heute gerade an diesen Aüustlern
so auffallend wie benmndernswert sinden: aussallend,
weil sie alle sie besitzen, bewundernswert, weil sie
selbst mit Tesahr eigener Lchädigung — keine
Aompromisse schließcn, keinen geistigen oder künst-
lerischen Auhhandel treiben. Lben daran sind die

Alemannen als solche deutlich zn erkenncn. Was
aber das wertvollste ist: ihr Individualismus hat
an dem unbedingten gesunden Realismus einen
sesten verläßlichen Untergrund, aus dem er sich
ungesährdet bis zu den Phantasien eines Böcklin,
eines Welti, eines tzodler, eines Lpitteler versteigen
darf, ohne befürchteu zu müssen, aus Mangel an
Naturstudium dem Bizarren oder dem Äarocken
anheimzusallen, als welche bcide der Unkcnntnis
oder doch der ungenügenden Uenntnis der Natur
entspringen, nicht etwa einer allzu gründlichen
Ucnntnis, welche ein übermütiges Lpielen mit der
Natur und ihren ßormen (wie manche wähnen)
statthast oder möglich machte.

Ver Linfluß des griechischen Blutes zei'gt sich,
mcines Lrachtens, noch in weiteren Lrscheinungen
alemannischer Uunst. Böcklins hellenische Welt-
anschauung und Art scheint mir aus anderm Wege
gar nicht erklärlich zu sein; sie wäre in ihm aus-
getreten auch ohne das Ltudium Homers und
Toethes, dem Philologenseelen so großen, wo nicht
allen Linfluß zuschreiben. In Toethe war das
Helleuische nicht tiesste Anlage; es war seiuer leicht
bcstimmbaren Natur angeflogen; Böcklin auder-
seits echt deutsch zu nennen, ist eine ebenso dumme
Phrase wie gedankenlose Vberflächlichkeit. Was ist
denn deutsch an ihm ? Nan sagt wohl: sein Humor,
seine Lemütswärme, seine Ligenart. Das erste
aber, womit er heute besticht und womit er vordem
anstieß, das ist seine Ularheit, seine Helle, seine Ver-
ständigkeit, sein Uolorismus: sie alle sind das
Tegenteil von deutscher Art, welche da sagt statt
Ularheit: Liese (ehrlich gesagt: Lrübe!); statt tzelle:
Nystik; statt verständigkeit: Anbewußtheit; statt
Uolorismus: Hreilust. ^(Lollte Liner verständig-
keit mit Berechnung verwechseln wollen — diesem
Deutschen rat ich Veutsch zu lernen!) Nan stelle
einmal neben den „Deutschen" Böcklin den Ani-
versal- und Absolutdeutschen, der hcute so schnell
und so gedankenlos mit jenem zusammengeschirrt
wird: Wagner, den Wolkenschieber und Nebelbrauer,
wie ihn nur das trübe Nibelungenland erzeugen
könnte! Dann wird erst der Hellene Böcklin her-
ausspringen. Daneben halte man noch das Urteil
Böcklins über Wagner und mache sich seine Ke-
danken darüber: ein Arteil und eine Zchätzung,
welche vom Llute Böcklins diktiert sind und nicht

— wie wiederum nur Slachköpfe behaupten können

— von der Linseitigkeit, die allen Tenies eigne!
Mderdcutsch aber ist an ihm vor allem seine Ver-
ständigkeit, mit der er sich über alle Dinge seines
Aunstwerks: über die innere Logik, über die Aom-
position, über die Raumeinteilung, über die Linien-
sührung, über die Harbe — diese sowohl als sym-
bolisches wie als technisches Nittel betrachtet,
klarste Rechenschaft ablegte. Nicht daß er die
Intuition, die das Lrste und tzöchste bei der Lnt-
stehung des Aunstwcrks bleibt, gering geschätzt oder,
wie einjge meinen, durch Verstand, durch kühles,
berechnendes Denken ersetzt hätte; die Intuition,
die immer etwas Dunkles behält und selten so stark

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