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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 14
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Schulte, Heinrich: Verschiedene Hühner oder Wie schön wäre die Welt, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0363

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Verschiedene Hühner.

G, ich Armer! 2ch mußte doch schon wieder
leugnen.

„Zie haben mich salsch verstanden. Daß dies
Tebiet mehr tierisch als menschlich sei, habe ich
keineswegs behauptet. Ls ist in seinen rechten
Grenzen ebenso menschlich wie alles andere. Die
Liebe bringt eigentlich nichts Neues in den Menschen.
Lie bezeichnet eine Lntwicklungsstuse, vervoll-
kommnet ihn geistig und körperlich. 2st er ein
unsittlicher, so öffnet sich ihm ein neues Tebiet
und er wird neue Lchranken durchbrechen, um zur
widerlichsten und solgenschwersten Unnatur zu
gelangen. 2st er ein rechter Mensch, so wird er
gerade hier sich beweisen. 2a, an uns ist, in der
natürlichen Zphäre zu bleiben, oder sogar, uns
darüber zu erheben mit unserm Willen; denn auch
das kann der Mensch."

„Zo, also das geben Lie zu. Das hätte ich
nicht gedacht und sreut mich sehr. Denn damit
haben Zie ja doch meine Ztellung in einer Weise
gezeichnet, die hier von größter Wichtigkeit ist. Zie
haben ja selbst gesagt, daß das Verzichten ein Lr-
heben bedeutet. Rennen Zie auch den Grund
unseres Verzichtens? Wissen Zie auch, daß wir
nur deshalb gern verzichten, um aus hoher Warte
zu stehen und von hier aus die LUenschen zu
betrachten und zu — beraten?"

Lehr gewichtig sprach er das letzte A)ort aus
und wähnte vielleicht, damit sein „Zchach dem
Rönig" gerusen zu haben.

Lbenso gewichtig nahm ich deshalb meine Lr-
widerung.

„Herr Vikar, Zie haben sehr recht, wenn Zie
von der Notwendigkeit einer erhabenen Ztellung
des Veraters sprechen. Aber mit ebensoviel Recht
glaube ich behaupten zu können, daß sür engherzige
Nenschen in dieser Verzichtleistung eine große
Kefahr steht: bei ihnen kann leicht das persönliche
Verzichten zum Verachten des Natürlichen, und das
selbstig Linsache zu einem einseitigen Betrachten
des Allgemeinen werden. ^ Und eine solche Lat-
sache stände nach meiner Überzeugung dem Necht-
raten in allgemein menschlichen Dingen sehr hinder-
lich im Wege."

„vor einer solchen Linseitigkeit bewahrt uns
die Leichte; denn niemand ist es gegeben, so ties
ins Nenschenherz zu sehen, als uns."

„Lehr recht, und mancher große Nenschensreund
hat Lie um diesen Vorzug beneidet. Aber leider
ist Linseitigkeit nun einmal die selbstverständliche
Gefahr bei allen Linrichtungen, die eine Zeite des
Nenschen zum Gegenstande haben. Vder machen
vielleicht die Lchattenseiten das ganze Leelenleben
aus? Und nur von ihnen ersahren Lie doch in
der Beichte. Und ich behaupte, daß z. B. die
Liebe Lichtseiten hat, die in ihrem ganzen Slanze
das größte schönste wunder und den wichtigsten
Teil des natürlichen Lebens darstellen.

Doch wir sind ja auch schon über unsere Grenze
geschritten. Uns bekümmert ja nur die Ratgebung,
die außerhalb der Beichte liegt. Und es gibt viele

Teistliche, die solche Ratschläge rundweg verweigern.
Bei der Eräße der Verantwörtung und Lubjektivität
der ganzen Lache ist das auch sehr vernünstig.
Aber schließlich ist auch das noch eine Eeschmacks-
sache, über die ja auch viele kluge Hrauen eine
andere Neinung haben. Und daher kommt's dann
wohl auch, daß diese die größte Zahl jener klugen
Hühner stellen, die ihre Lier stets neben das
Nest legen."

Die letzten Wendungen waren in einem Tone
gesprochen worden, der meine Ungeduld deutlich
verriet. Linen Augenblick ruhten die Augen meines
Tegners ohne bestimmten Ausdruck auf mir, dann
erhob er sich rasch, stellte sich ans Henster und
trommelte langsam aus die Lcheibe.

Der entscheidende Noment war gekommen. Das
sah ich. Noch mehr aber sühlte ich's. A)as zu
erreichen war, mußte jetzt erreicht werden.

Lchnell stand ich aus und ergriss seine Hand.

„Herr Vikar! — Line Bitte."

„Und die wäre?"

„tzerr Vikar! Halten Lie sich aus der Lache."

„Aus welcher Zache?"

„Nit Uäthchen."

„A)ie? Hm! Nun, so geht das doch nicht.—
Ltwas versprechen? Ls handelt sich doch hier nicht
einsach um Uriegen und Nichtkriegen."

Lr trommelte aus die Hensterscheiben. Herr
Durich hatte sich erhoben.

Herr Dreumann drehte sich um und suhr fort:
„Zie werden doch zugestehen müssen, daß das mit
der alten Teschichte ein Lnde haben muß, und das
Lnde ist doch in der gewollten ßorm so günstig
wie möglich."

„Herr Vikar. 2ch glaube, es 2hnen bewiesen
zu haben, und ich weiß es: Uäthchen wird durch
eine Lhe entweder sehr glückljch oder sehr unglück-
lich. 2ch kenne sie. Lie selbst ist jetzt zu zerrissen,
um klar zu sehen. Und warum sollte es nicht
mäglich sein, daß Herr Lchnitzler zurückkehrt? Daß
er es erstrebt, ist sicher. Lr hat nie geschrieben,
weil er keine Hosfnung erwecken will, die er noch
nicht zu erfüllen vermochte. Der hat die Ver-
hältnisse richtig durchschaut."

„Wenn er aber nicht zurückkommt?"

„Nun, muß denn Räthchen durchaus aus den
Heiratsmarkt? Die würde vorläufig mit der
unverletzten Lrinnerung an den Geliebten viel
glücklicher sein als an der Leite eines ungeliebten
und geistig ties unter ihr stehenden Tatten, wie
es trotz aller Vorzüge der Wölshoser ist."

„Und wenn sie ihm nun schon ihr N)ort
gegeben hätte?"

2ch erschrak sichtbar; denn er sagte es so, als
wenn er wüßte, daß es schon geschehen sei.

A)ie flammende Lntrüstung kam es da aus
meinem LNunde: „Dann hat sie die Pslicht, die
heiligste Pslicht, es zu brechen. Das andere wäre
Lünde."

„Lo?? — doch gut, ich werde mich aus der
Lache halten."


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