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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 14
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Schulte, Heinrich: Verschiedene Hühner oder Wie schön wäre die Welt, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0364

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Verschiedene Hühner.

Lr sah seinen Amtsbruder an, — von dessen
Eesicht war der Ausdruck der gemütlichen Ztimmung
verschwunden. Lr hatte die Zigarre weggelegt
und stand in der Nitte des Aimmers.

Herr Dreumann ergriff meine Hand und sagte:
„Ich verspreche es Ihnen."

Ls war spät geworden. Ich hörte die Aöchin
anzüglich geräuschvoll hantieren. Herr vikar Durich
blieb zum Lssen da.

Lhe ich mich verabschiedete, tat er zum ersten-
mal den Nund aus: „Nun meinen Zermon." Lr
wandte sich an den Aonfrater.

„Lins möchte ich auch dazutun. Nir hat all
das in der Praxis niemals Ropszerbrechen gemacht
und dies verdank ich meinem Psarrer. Beim ersten
Kall sprach ich mit ihm. Da kriegte ich nun im
gemütlichsten rheinischen Tonsall eine recht rheinische
Antwort: ,Zehen Lie, so mach ich's/

Aommt da neulich auch so ein Iüngferlein zu
mir und will wissen, ob sie den Nanes oder den
Tünnes heiraten soll. Ich nehme sie mit vor die
Tür und zeige ihr den Tolsberg. Dorthin soll sie
sich setzen um Nittag. Die Tlocken würden's ihr
sagen. Aber gut auspassen soll sie, ob sie riesen:
Römm en, oder: Nämm en nit. Zie hat's getan,
hat den Nanes geheiratet, und als es wirklich gut
ging, hat sie mich später gesragt, woher die
Tlocken das wohl wissen könnten. Da hab ich
ein geheimnisvolles Tesicht gemacht, den Zeige-
singer vor den Nund gehalten und bedeutend
gesagt: ,Tas dars ich dir nicht sagen.'

Nach's auch so, so 'ne Tlock sagt ja stets, was
man selbst will. Übrigens ist das Atückchen schon
alt. Tie ganze ßragerei ist in den meisten ßällen
quiseliges Tequatsch und Wichtigtuerei; sie tun
doch, was sie wollen, gerade die."

Beim Abschied war ich in gehobener Ltimmung.
LNein Ziel hatte ich ja erreicht. Als ich aber die
Vikarie einige hundert Lchritte hinter mir hatte,
war ich abgekühlt. LNeine Ltimmung schlug um,
und es war mir, als hätte ich dem Tegner das
Ichwert entwunden und selbst keine Nrast mehr,
es zu gebrauchen.

Ich dachte an das Eeständnis des Vikars und
an Aäthchens Zustand und Lharakter.

Aber aus halbem Wege sollte kein Ztill-
stand sein.

Und wie ich das dachte und dann aus allen
Tiesen meines ausgeregten Innern alles zum heißen
verworrenen Leben kam: die Vergangenheit, die
Zukunst, die Nenschen; und alles dann mich
wirbelnd umtanzte; und die Nenschen mich ansahen
— bittend, beschwörend, lächelnd, mitleidig; und
die eine, die Ärmste, vor mir her, vor mir weg
lies und doch das Kesicht wandte, so erschreckend
verzweislungsvoll, so bitter strenge und dann so
sterbensmüde — da kam ein Verantwortlichkeits-
gefühl über mich, so heiß und so verwirrend und
doch mit einem immer wieder aufstoßendenschreienden
ßordern, daß ich mich jäh umriß und — mir
war's, wie gleich daraus — das Rlingelkreuz in

der Hand sühlte, und dann schrillte die zwingende
Lrregung durch das Haus.

„Iie? Was wollen Zie?" Mein Anblick mußte
ihm wohl Trund zu dieser Krage gegeben haben.

„Herr Vikar, es ist noch nicht gut so, nein,
nicht genug. Zie müssen mehr tun. Lie müssen's
ihr sagen, daß es unrecht war damals. Ia, das
müssen Lie! Müssen, Herr Vikar. Nein, sie darf
ihn nicht heiraten. Lagen Zie's ihr. Ia, tun
Zie's. Bitte! Ia?" Und damit ergriss ich seine
Hand.

Aber!

Hätte er mich ausgelacht, ich hätte es lieber
gehabt. Herausgeschmissen, es wäre mir mehr
gewesen.

Aber so mitleidig. Und nicht einmal höhnisch,
nein, ernstlich mitleidig: „Aber was ist Ihnen?
Lind Bie krank? Werden Lie ruhig. Nommen
Bie zu sich. Lchlasen Lie einmal darüber, dann
wird Ihnen schon alles klar werden. Und nun
wollen wir die Sache begraben. Bie sollen sehen:
sie wird glorreich auferstehen."

Ich glaube, daß die letzten N)orte so waren.
Recht gehört habe ich sie nicht mehr. Ich stand
da. Ich tat gar nichts.

T>a trat Herr Turich in den ßlur. Lr mußte
ja alles gehört haben. Lr sah erst ihn an und
dann mich. Und trat aus mich zu und gab mir
die Hand.

„Iunge, verzeih mir's, wenn ich jetzt etwas
sage, was in dir nichts heißen kann. Aber ich
will's sagen: schick dich in die Zache. Hier mein
Uonfrater hat mir soeben gesagt, daß es ihm jetzt
leid sei, etwas getan zu haben in der Lache. Und
du hast doch gar keine Lchuld. Ich glaube sogar,
daß die Lache schwerlich auszuhalten ist. Ia,
schick dich. Verdirb dir dein Leben nicht."

Ich hatte einen Augenblick, wo man nichts sieht
von dem, was da vor einem steht, und mit einem
Blick alles sieht, was drunter lebt und darüber
schwebt.

Und so seien auch meine A)orte geklungen, hat
man mir später gesagt.

Telächelt soll ich haben zuerst. Aber dann:

„Reiß mir ein Ltück aus meinem Leibe, und
dann sage, es sei nicht von mir, oder: es sei ein
andrer, ein lebendiger andrer. — Ruhig sein?
Mch schicken? — Leben will ich. Nicht tot sein.
Kühlen, mächtig fühlen, daß ich lebe. — Ia,
bereuen oder stolz sein. Tas will ich. Nicht
ruhig. — Ls war eine schöne Zeit, da war ich
stolz und lebte hoch. Ltolz aus ein großes N)erk,
ein ganzes Tlück. Und ich durste stolz sein. —
Daß sie unglücklich wird? Nein, das bin ich nicht
schuld. Aber wie unglücklich sie wird, daß sie
bodenlos unglücklich wird, das ist meine Lchuld.
Und diese Lchuld, ja diese Lchuld, die soll mein
Ztolz sem. Hört ihr's! mein großer Ltolz. —
Ia, nein, doch wenn ich alles getan habe, wenn
sie ganz über mich weggeschritten ist, dann wird
der Ltolz kommen. Und der Ltolz wird so groß

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