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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 15
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Schmidtbonn, Wilhelm: Das Glücksschiff: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0415

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^as Glücksschiff.

Erzählung von Wilhelm Schmidt-Bonn.*

Ein altes Mntterchen trippelte durch die Straßen,
immer dergab, dem Rhein zu.

Da es noch halbe Nacht war und die Laternen noch
brannten,rief einWächter hinüber: „He,Moder, wohin?"

„Naoh 'm Wasser erav," rief das Mülterchen,
ohne stehen zu bleiben, und zog ihr gelbes altmodisches
Tuch, das ihr hinten in einem Zipfel bis zu den
Schuhen hinunterhing, dichter um die Brust zusammen.

„Wohin Moder?" rief ein zweiter Wächler und
stellte sich, die Hände der Kälte wegen in den Taschen,
vor sie hin, wvllte sie im Scherz aufhalten.

„Et Schiff küt, ich moß mitfahre." Sie machte
einen Bogen um den Mann herum und trippelte
weiter. Wie schnell und regelmäßig fallende Steine
klangen ihre Schritte auf dem Pflaster, während sonst
alles umher ohne Laut war.

„Et fährt jo kein Schiff su fröh, jetzt im Winter,"
rief der Wächter hinter ihr her.

Aber das Mütterchen trippelte weiter, lief gegen
den dritten Wächter, der frierend auf und ab ging
und die Arme über der Brust schnell und unaufhörlich
zusammenschlug, um warm zu werden — denn fein
Standplatz war schon nahe am Waffer, und die Luft
blies hier kalt und nebelig herauf. „Na — wohin
Moder?" rief er, froh, daß ein unvermutetes Er-
eignis das Gleichmaß feiner Stunden unterbrach, und
zog spaßend dem Mütterchen das Tuch auseinander,
um in den Korb hineinzusehen, der unter dem Tuch
steckte. Da zeigten fich sonderbare Dinge: ein Vogel-
korb mit einem gelben Vogel darin, eine Kaffeemühle,
eine urväterlich alte Tasfe mit einem Henkel, der so
groß wie die Tasfe selber war, ein Gebetbuch nnt
dem Rosenkranz darum gewickelt, ein blauer llnterrock
und ein Strickstrumpf mit dem Wollknäuel daneben
und hindurchgesteckten Nadeln. „Wat? Jhr hatt jo
Üre janze Hausrat zosamme do — hät Üch der Haus-
herr vür de Tür jesatz?"

„Nä," sagte sie und barg den Korb wieder unter
dem Tuch, „ich waden op dal Jlöcksschiff — hatt
Jhr 't no nit kumme sin?"

Der Wächter ging neben der Frau her. „Wat?
Worop wad't Jhr? Wat es dat för e Schiff?"

Das Mütlerchen zog den Kopf zurück, wie ge-
kränkt, ungeduldig, daß sie eine so bekannte Sache
noch erst erklären sollte. „No — dat Jlöcksschiff!
Dat nimmt doch die Ärme op, alles wat ärm es —
dat kost' kein Jeld on kein Nix, mir steijen ein, on
et fährt vns dvvon."

„Wat? Wohin fährt et Üch?" Der Wächter ging
immer neben der Frau her, nahm ihre kurzen schnellen
Schritte an, sah ihr ins Gesicht, verwundert, fragend.

Das Mütterchen spie aus, trippelte noch schneller,
ganz erzürnt. „Wohin, wohin? No — dat süht mer
dann, dat weiß keiner. Mir steijen ein, on et fährt
ons dovon. Avver do han mer kein Sorg mieh on
kein Nut, do es alles ein Jlück on ein Silligkeit."

^ - Aus ..Nobm', G-schichtm v°m m.tern Rh-i» iVerlng Egon Fleischel L C°.,
B-rlin).

Der Wächter blieb stehen,. ohne begriffen zu haben,
sah der Frau nach, ging zurück, vom Rhein weg,
blieb aber dann wieder stehen, sah der Frau
wieder nach.

Die aber, kaum auf den sreien Platz am Ufer
hinausgetreten, drehte gleich den Kopf in die Richtuug
nach den sieben Bergen hin, von denen her der Strom
kam und von denen mit dem Strom auch das Schiff
kommen mußte. Doch da war nichts als schwarze
Nacht, nicht einmal ein roter Punkt irgendwo — ein
Licht, das am Mast hing und ein darunter treibendes
Schiff bezeichnete.

Das Mütterchen ließ sich dadurch nicht traurig
machen, ging, in der gleichen Eile wie vvrher, an
vielen Landebrücken vorbei gerade auf die zu, die die
letzte und kleinste war. Da hier nur kleine alte
Schiffe anlegten, die zmeimal in der Woche die Wäsche
der Stadt nach den Wiesen der Dvrfer hinaussuhren,
so war zu entnehmen, daß das Schiff, worauf die
Frau wartete, kein allzu glänzendes sein würde. Sie
setzte sich, nachdem sie sich von neuem gul in ihr Tuch
gewickelt, aus einen Holzstumpfen, der da stand und
einen Eisenring trug, um die anlegenden Schiffe daran
zu befestigen. Dann drehte sie den Kvpf wieder in
die Richtung, aus der der Strom kam, hielt ihn immer
so hingedreht und saß so da, mit blvßem weißsträh-
nigem Kvpf, mit unter dem Tuch srierend zusammen-
gestellten Knien.

Bald war aus dem Schwarz der Nacht ein Grau
geworden, nicht allmählich, sondern das Grau war so
plötzlich da, daß die Frau es nicht hatte kommen
sehen, obwohl sie danach so gut wie nach ihrem Schiff
ausgesehen hatte. Und dann zeigte sich auf dem
rechten Ufer ein handbreiter Streifen, weiß wie Milch
- und bei dem war nun deutlich wahrzunehmen,
wie er breiter und breiter ward, die Dächer von
Häusern, die Schornsteine der Fabriken, die allmäh-
lich zur Ebene abfallende Linie der Hügel und endlich
die sieben Kuppen der Berge, rund beginnend und
schroff endend, erscheinen ließ; sonderbar klein und
schwarz, so daß nicht mehr als die Umrisse zu er-
kennen waren, hoben sich diese Dinge von dem Weiß
dahinter ab.

Jetzt fingen die Raben an, über das Wasser hin
und her zu fliegen nnd zu schreien; — da das seit
Wochen. im Schnee liegende Ackerland ihnen nichts
mehr hergab, forderteu sie von dem Strom, den sie
im Sommer nicht einmal beachteten und von dem
weg sie in das Land fiogen, in heftigen, zornigen
und klagenden Tönen, daß er ihnen Dinge zur Nah-
rung herbeitrage. So hell war die Dämmerung ge-
morden, daß das Mütterchen die schwarzen sich ent-
sernenden Punkte bis weit auf das Wasser hinaus
verfolgen konntc. Die Raben aber, die stromabwärts
fiogen, kvnnte sie nicht versolgen, denn sie hielt den
Kopf immer in seiner Richtung den Strom hinauf
gedreht, konnte so nur sehen, was sie, ohne den Kopf
zu verschieben, mit einer Bewegung der Augen er-
reichen konnte.

Einmal knurrte sie etwas vor sich hin — es klang
hell, wie das Knurren eines kleinen Hundes, und wie
 
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