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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 15
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Schmidtbonn, Wilhelm: Das Glücksschiff: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0423

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Das Glücksschiff.

Körbe an die Erde und nahm die Kinder auf den
Schoß.

Das Mütterchen sah immer den Rhein hinauf,
küminerte sich um nichts.

Die Frau sah eine Weile nor sich hin, mit sonder-
bar glänzenden Augen, lachte aber dann das Mütterchen
wieder an, ein wenig verlegen, aber auch in einer
Art Ehrfurcht und sagte: „Wenn Jhr esu jod sen
wollt — ich jonn vch mit vp dat Schiff. ich sahren
och mit - wenn Jhr esu jod sen wollt." Auch sie
sprach in demselben leisen, merkwürdig erregten, ge-
heimnisvollen und seierlichen Ton, in dem das
Mütterchen seine Erzählung gemacht hatte. Der Ton
schien, selbst durch die spottende Übertragung ihres
Mannes hindurch, von dem Mütterchen auf sie über-
gegangen zu sein, oder es brachte ihn diese Sache
selber in ihrer Sonderbarkeit mit sich.

Als das Mütterchen nur immer geradeaus sah,
wie ganz schon in der Welt des Schiffes lebend, wie
ganz schon nnberührt von den Dingen, die noch an
diesem User vorgingen — sah auch die Junge nach
den Pappeln, nnt demselben steis gehaltenen Kopf,
mit starren, großen, immer merkwürdig glänzenden
Angen, drehte anch die Köpfe der Kinder in diese
Richtung, erzählte ihnen slusternd von dem Schiff und
den Dingen darauf — gerade, als ob sie, und nicht
das Mütterchen, das Schiff in der Nacht gesehen
hätte. Hin und wieder schloß sie die Augen, drückte
die Händchen der Kinder sest in die ihren und betete,
leise, erregt, stammelnd.

Eine zweite Frau kam daher, trng ihren Korb,
und mit demselben verlegenen ehrfürchtigen Lachen
sprach sie fast dieselben Worte: „Wenn Jhr esu jod
sen wollt, Moder — dann fahren ich och mit."

Jmmer neue Frauen kamen, lanfend, trugen ihren
Korb so gut wie die erste. Es war sonderbar, wie
die lachende Erzählung des Mannes nicht wieder ein
Lachen, sondern überall denselben Sehrecken, denselben
stumm ausschreienden Jubel, dasselbe Laufen nach dem
Rhein hin hervorrief.

Das Mütterchen sah immer geradeaus, wickelte
sich nur von Zeit zu Zeit aufs neue in ihr Tuch.

Kinder kamen, die sich irgend ein Glück erträumen
mochten, Windvögel, Pferdchen, neue Schuhe und
warme schöne Kleider wie die reichen Kinder, hielten
sich an der Hand, jedes mit einem Körbchen, trippelten
schnell über das Werst hin, sich nach den Pappeln
umdrehend, wie um noch zur Zeit zu kommen,
flüsterten nntereinander, mit scheuen ängstlichen Blicken
auf die Erwachsenen, setzten sich dann, fern von den
Erwachsenen, auf das Geländer der Brücke nieder,
ließen die Beinchen alle senkrecht nebeneinander
hängen und saßen so da, dicht zusammengerückt, ein
wenig frierend, die Köpfe alle nach den Pappeln hin-
gedreht, ließen nur hin und wieder die Augen mit
einer frommen Scheu auf dem Mütterchen ruhen.

Nun fingen auch die Menschen am Ufer an, nach
den Pappeln hinzusehen, zu fragen. Eine immer zu-
nehmende Erregung kam über die Scharen, die, wie
Tannengruppen anf dem Feld, ungeordnet, hier ein
Trupp und da ein Trupp, durcheinander standen.

Ein brausender Ton erhob sich, der von all den
sprechenden Stimmen herkam, ein einziges gleich-
mäßiges Schlagen von Schuhsohlen an die Erde er-
klang, das durch die Bewegung all der Scharen nach der
Brücke und dem Mütterchen hin hervorgerufen wurde.

Dann war, plötzlich, nur noch ein großes Schweigen
da. Alle standen stumm, bewegungslos, wie unter
dem Druck eines geheimnisvollen Zaubers, hielten
die Köpfe nach den Pappeln hingedreht. Jn der
Stille war deutlich zu hören, wie auf einem Schiff
am andern Ufer die Ankerkette hochgezogen wurde —
ein Geräusch, das sonst nur in der Nacht herüberdrang.

Um das Mütterchen her hatte sich ein Kreis von
Neugierigen, Erregten gebildet. Was war das für
eine Fraii, von der. obwohl sie klein und unscheinbar
auf ihrem Holz saß, diese ganze Erregung ausging?
Keiner kannte sie, da niemand gewohnt war, in den
menschenvollen Straßen auf ein altes kümmerliches
Frauchen zu achten, die doch länger durch die Straßen
ging, mehr zu der Stadt gehörte als alle, die an ihr
vorübergingen. Niemand wagte sich näher an sie
heran, alle sahen in einer schweigenden ehrfürchtigen
Scheu auf den geraden weißen Scheitel hinunter.

Das Mütterchen aber fing an, zornig über die
Menschenmassen zu werden, nahm plötzlich ihren Korb
von der Erde, ging durch die Menschen hindurch, die
vor ihr zurückwichen, setzte sich auf das äußerste Ende
der Brücke, das schon weit im Wasser lag und von
der Bewegung des Wassers auf und nieder geschaukelt
wurde. Dort stand wieder ein solcher Holzstumpfen,
um den die Taue der ankomnienden Schiffe ge-
schlungen wurden, und auf den setzte sie sich, saß da,
weit vor allen anderen: aber das kam ihr zu, das
war ihr Platz, sie hatte das Schiff in der Nacht ge-
sehen, ihr war es verheißen worden — sie will die
erste sein, die hinaufgeht.

Schiffe kamen, den Rhein hinauf, den Rhein
hinab. Aber die hinabfuhren, waren Dampfer, deren
Schlote dicke Rauchmassen von sich gaben, und die
keine Dampfer warev, waren nicht braun gestrichen,
und die braun gestrichen waren, hatten das Segel
nicht gespannt, und die das Segel gespannt hatten,
trugen keinen Flecken daraus, der so braun war wie
das Schiff selber.

Es war Mittag. Das Schweigen fing an, wieder
in laute Erregung überzugehen. Niemand wußie Be-
stimmtes, andere erzählten die sonderbarsten und aben-
tenerlichsten Dinge. Vom Rathaus her kamen neue
Scharen: Männer und Frauen, deuen nian dort Brot
und Kohlen hatte austeilen wollen, und die Brot
und Kohlen im Stich ließen, um das verheißene
Schiff zu sehen, das Glücksschiff, das Muttergottes-
schiff. Einzelne stritten: die wollten nur sehen, jene
aber gleich niitfahren — wohin? Es war gleich —
es mußte besser dort sein als es hier war.

Auch die Leute, die mittags in den Vorräumen
der Klöster sich zusammenfanden, um dort aus dem
großen Kessel warme krästige Suppen in Enipfang
zn nehmen, kamen, schnell, mit klappernden Sohlen
— denn es hieß, das Schiff sei schon da, liege an
der Brücke festgebunden und Lente auf Leute stiegen

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